Brandmauer in Ostdeutschland: Schwarz zu Blau

Wie halten Sie es mit der Brandmauer? Wer in ostdeutschen CDU-Kreisverbänden anruft und diese Frage stellt, kann das Schulterzucken auf der anderen Seite fast hören. Keine etablierte Partei stimmt im Osten öfter für Vorschläge der AfD. In den vergangenen fünf Jahren bekamen 58 Prozent der AfD-Anträge in Stadträten und Kreistagen Unterstützung aus der CDU, wie das Wissenschaftszentrum Berlin für namentliche Abstimmungen ermittelte.

Die Argumentation vieler Lokalpolitiker geht so: Wenn die AfD eine Straße teeren oder eine Kita bauen wolle, dann werde sich die CDU dem kaum verwehren. Aber manchmal geht es in den Kommunen auch um mehr als schnöde Sachpolitik – um Deutschlandflaggen, Ausländerbeauftragte und persönliche Entfremdungen. Fünf Geschichten aus Orten, an denen die Brandmauer sehr brüchig geworden ist.

Jerichower Land

Über dem Eingangstor des Rolandgymnasiums in Burg hängt seit Ende März eine Deutschlandflagge. Die AfD hofft, sie möge Identität stiften, einem „Mangel an Gemeinsinn“ entgegenwirken. Nach den Krisen der letzten Jahre könne die Flagge gar ein „Pflaster auf die Volksseele“ sein, schreibt die Fraktion in einem Antrag an den Kreistag. Die Deutschlandflagge, so beschloss es eine Mehrheit aus AfD und CDU, soll von nun an nicht mehr nur an Gedenk- und Feiertagen gehisst werden, sondern ganzjährig wehen. Zumindest an den sechs öffentlichen Gebäuden mit Fahnenmast. Der symbolische Wert des Beschlusses, glaubt Markus Kurze (CDU), Vorsitzender des Kreistags, strahle weit über das Jerichower Land hinaus: „Es ist schön zu wissen, dass wir etwas Großes mit angeschoben haben.“ Vielleicht würden andere Landkreise ja nachziehen. Ob ihn der deutschtümelnde Antrag der AfD mit Verweis auf die Nation als „Schicksals- und Bekenntnisgemeinschaft“ nicht abgeschreckt habe? Kurze sagt: Man müsse nicht jedes Wort der AfD auf die Goldwaage legen. „Wir brauchen keine Sprachpolizei. Der Antrag hätte so auch von uns kommen können.“

Landkreis Bautzen

Die Amtseinführung der neuen Kreisräte vergangenen August verfolgte Anna Piętak-Malinowska als Zuschauerin. Irgendwann sei sie gegangen, sagt sie heute. Niemand habe ihr gesagt, dass die AfD an diesem Abend noch einen spontanen Antrag in den Kreistag einbringen würde: den Posten der Ausländerbeauftragten zu streichen, den Piętak-Malinowska seit 2009 innehatte. Zu ihr waren die Leute gekommen, wenn sie einen Kitaplatz suchten, die Einbürgerung sich zog, ein Kind in der Schule gemobbt wurde. Jedes Jahr organisierte sie die Interkulturellen Wochen, zudem ein deutsch-polnisches Fest. Beides wird dieses Jahr wohl ausfallen. Die AfD fand: Der hoch verschuldete Landkreis könne den Lohn der Ausländerbeauftragten einsparen. Weil ein Landesgesetz die Einrichtung der Stelle vorschreibe, solle auch der Freistaat Sachsen dafür zahlen. Das habe die CDU-Fraktion entzweit, sagt deren Kreisrat Matthias Grahl. „Die Hälfte hat gesagt: Einem Antrag der AfD können wir nicht zustimmen, das sind doch Nazis, das schadet unserem Image!“ Die andere Hälfte habe den Antrag inhaltlich richtig gefunden, ihm wohl zur Mehrheit verholfen. Piętak-Malinowska sagt, sie verstehe, dass die CDU-Kreisräte sparen müssten. Sie habe angeboten, ehrenamtlich weiterzumachen. Das Landratsamt habe abgelehnt und sie stattdessen ins Ausländeramt in Kamenz versetzt. 15.000 Bürger unterschrieben eine Petition für Piętak-Malinowskas Wiedereinsetzung, ohne Erfolg. Nun klagt sie darauf mit einer Gewerkschaft vor dem Landesarbeitsgericht in Chemnitz. Auch wenn sie „die Auseinandersetzung viel Kraft kostet“.

Ruhla

Der Sicherheitsunternehmer Frank Böwe sitzt für die CDU im Stadtrat – im Kreistag aber für die AfD. Und das schon seit fünf Jahren. Der CDU-Ortsverband stellte Böwe bei der Kommunalwahl 2024 trotzdem wieder auf. Der Ruhlaer CDU-Bürgermeister, Stefan Hartung, sagt: „Da Herr Böwe bei der AfD kein Mitglied ist, widersprach die Aufstellung nicht den Regularien der CDU.“ Die Zusammenarbeit mit Böwe sei immer konstruktiv gewesen. Vom CDU-Landesvorstand hieß es damals nur, die Aufstellung werde „intern geprüft“. Doch im Thüringer Wahlgesetz steht: Wen ein Ortsverband aufstellt, entscheidet allein der Ortsverband. Und so steht Böwe bis heute mit einem Bein dies-, mit dem anderen jenseits der Brandmauer.

Boizenburg

Heidrun Dräger (SPD) war 25 Jahre lang Bürgervorsteherin und wäre es vergangenen Juli gerne wieder geworden. Sie sagt: „Mein Konkurrent hat sich mit den Stimmen von AfD und Ex-NPD wählen lassen.“ Der Konkurrent, Dennis Aukstein-Scheuten (CDU), sagt: „Niemand kann wissen, wer für mich abgestimmt hat. Es war eine geheime Wahl.“ Wenige Wochen zuvor demonstrierten Dräger und Aukstein-Scheuten noch Seite an Seite gegen eine Veranstaltung der AfD. Dort sprach auch die einzige Stadtverordnete der Partei. Ebenjene Frau, glaubt Dräger, habe Aukstein-Scheuten später in das höchste Amt der Stadtverordnetenversammlung gewählt. Schließlich hätten die Fraktionen links der Mitte versprochen, Dräger zu unterstützen. Aukstein-Scheuten gewann mit zehn Stimmen, dabei hat seine CDU-Fraktion nur sieben Mitglieder. Dräger unterlag mit neun Stimmen. Der neue Bürgervorsteher beteuert, mit Vertretern rechtsextremer Parteien treffe er keine Absprachen. Und wie ist heute der Umgang mit seiner Vorgängerin? „Leider nicht mehr so herzlich wie vor meiner Wahl.“

Landkreis Harz

Manche CDU-Kommunalpolitiker klingen so, als sei der Unvereinbarkeitsbeschluss ihrer Partei aus dem Jahr 2018 ein Pflaster, das kaum noch hält und unter dem es eitert. Im Kreisverband Harz will man es lieber mit einem Ruck abziehen. „An der CDU-Basis rumort es massiv“, schrieb der Kreisvorstand vergangene Woche an die Landespartei. Nachdem die CDU bei der Bundestagswahl in Sachsen-Anhalt keinen Wahlkreis gewann, habe es zahlreiche Austritte gegeben. Die Lösung? Der Landesvorstand müsse die Brandmauer endlich einreißen. Von dort schallte es zurück: „Keine Zusammenarbeit mit AfD und Linke!“ Die AfD dürfe weder zum „Ansprechpartner“ noch zum „Verbündeten“ werden. Ob sie das mancherorts nicht längst ist?