
„Das
Fehlen von Freiheit ist ein Schmerz, der einen auf Dauer verrückt macht“, sagte
Boualem Sansal, als ihm 2011 der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wurde. Vor knapp dreieinhalb Monaten wurde der algerisch-französische Autor am
Flughafen der algerischen Hauptstadt Algier festgenommen. Die konkreten
Hintergründe sind bislang unklar. Seit der Festnahme stagniert jeglicher
Kontakt zu ihm. Seine Frau darf ihn nur selten besuchen, seinem Anwalt wird die
Einreise verweigert.
In der deutschen Literaturszene regt sich seither Protest. Im
Dezember organisierte das PEN-Zentrum Deutschland eine Lesung im Literaturhaus
Leipzig. Eine ähnliche Veranstaltung fand vergangenen Freitag im Deutschen
Theater in Berlin statt. Anfang der Woche hatten Mitglieder der PEN Berlin
außerdem auf der Tourismusmesse ITB protestiert. „Free Sansal“ war auf großen
Transparenten zu lesen, mit denen sich die Beteiligten vor dem Stand des
algerischen Tourismusverbands aufstellten. Thea Dorn, Schriftstellerin und
Mitorganisatorin, sprach von einem „verzweifelten Versuch, Aufmerksamkeit auf
den Fall zu lenken“.
Zumindest innerhalb der Literaturszene ist das gelungen. Die
Solidaritätsveranstaltung am Freitag war ausverkauft. Der RBB übertrug die
Sendung live. Die Moderatorin Natascha Freundel und Sansals deutsche Verlegerin
Katharina Meyer zeichneten das Bild eines Mannes, der privat höflich und
zurückhaltend war, der „Fragen stellte und sie in Literatur überführte“. Dessen gesellschaftskritische Werke in seiner Heimat aber dennoch auf Hass
und Diffamierung stießen. Und der sein Haus in Algerien mit Stacheldraht schützte.
Schriftsteller wie Daniel Kehlmann, Aleida Assmann und Herta Müller
lasen am Freitagabend aus den Büchern und Reden des Inhaftierten. Sansal übte in
seinen Erzählungen und Interviews immer wieder Kritik an den Zuständen
in seinem Heimatland. Sein Roman 2084 handelt von einem Mann, der sich gegen ein
ideologisch-religiöses Regime auflehnt. In Das Dorf der Deutschen (2007) taucht ein Sohn in die düstere Vergangenheit seines als Helden
gefeierten Vaters ein.
Der algerische Autor
Kamel Daoud, der für die Veranstaltung aus Frankreich angereist
war, gab Einblicke in die Situation in Algerien. Islamistische Kräfte übernähmen immer mehr die
Kontrolle über den Kulturbereich, erzählte er. Autoren gebe es nur noch wenige. Rund zwei Drittel der Verlage und Buchhandlungen
hätten ihre Arbeit eingestellt. Daoud selbst wanderte nach eigenen
Angaben 2020 nach Frankreich aus. Die Festnahme von
Sansal sieht er vor allem als einen Einschüchterungsversuch gegenüber zukünftigen
Schriftstellergenerationen.
Sansal hatte 2024 die französische Staatsbürgerschaft
angenommen. Daoud zufolge plante er, ein Haus in Frankreich zu kaufen. Die
Gründe für seine Verhaftung bleiben schwammig. Sein Pariser Anwalt François
Zimeray sagte ZEIT ONLINE vor einigen Wochen, dass sein Mandant wohl nach
Artikel 87 des algerischen Strafgesetzbuches angeklagt werden soll. Der Vorwurf
lautet „Vergehen gegen die Staatssicherheit“. Viele Beteiligte vermuten
außerdem einen Zusammenhang mit einem Interview, das Sansal im Oktober dem als
französischen Medienportal Frontières gegeben hatte.
Sansal äußerte sich darin zum sogenannten Westsahara-Konflikt – und gab an, dass
Marokko zu Recht seine Ansprüche auf gewisse rohstoffreiche Teile
der Westsahara erhebe. Eine Haltung, die auch
Frankreich vertritt, der Algerien aber widerspricht. Sowohl Sansals
Anwalt Zimeray als auch Daoud vermuten, dass der Schriftsteller zum
„Sündenbock“ in diesem jüngst wieder zugespitzten Konflikt geworden ist.