Eine bedrückende Stille lag über der Dortmunder Südtribüne, als die letzte Chance vergeben und das Duell gegen den FC Barcelona verloren war. Hätten sie nur die 2:3-Niederlage ihres BVB betrauern müssen, wäre der Schmerz wahrscheinlich schnell in einen wärmenden Applaus übergegangen, schließlich hatte das Publikum zwischenzeitlich den ganzen Zauber einer großen Europapokalnacht zu spüren bekommen. BVB-Fußball, wie ihn die Leute hier lieben. Aber dort unten im Fünfmeterraum lag Nico Schlotterbeck, der beide Hände vor sein Gesicht hielt, umringt von Medizinern und Mitspielern. Von Menschen, in deren Gesichtern eine ziemlich unmissverständliche Botschaft lag: Hier ist etwas Schlimmes passiert.
Bei seinem letzten Versuch, den Ausgleich zu köpfen, war Schlotterbeck umgeknickt, sein Fuß hatte sich auf eine Art und Weise verformt, dass empfindliche Menschen kaum hinsehen konnten, als die ersten Bilder des Unfalls die Runde machten. Eine Diagnose mochte im Verlauf des Abends erstmal niemand wagen, aber dieser Schock war die tragische Pointe einer Partie, die sich für alle Dortmunder noch wenige Minuten zuvor nach einem weiteren herrlichen Champions League-Abenteuer angefühlt hatte. Zwischenzeitlich konnte der aufmerksamere Teil des Publikums sogar über einen neuen Entwicklungsschritt nachdenken. „Mit dem Ball sind wir viel mutiger, spielen es besser aus“, sagte der Torhüter Gregor Kobel, „auch dieses Spiel ist gut für unsere Moral gewesen.“
Die Dortmunder machen einfach zu viele Fehler
Sportdirektor Sebastian Kehl lobte die Dortmunder Spieler, weil sie mit „ganz viel Leidenschaft, ganz viel Mut alles versucht“ haben, aber die beiden Ausgleichstreffer von Serhou Guirassy (60., 78.) zum 1:1 und 2:2 reichten nicht. Und wer am Abend zuvor die weniger unterhaltsame, dafür aber die viel makelloser gespielte Partie zwischen Leverkusen und Inter Mailand gesehen hatte, konnte gut erkennen, wo die Defizite liegen: Die Dortmunder machen einfach zu viele Fehler, individuell aber auch kollektiv. Und sie sind auch weiterhin nicht einmal in diesen ganz großen Spielen immer bereit, jeden Arbeitsschritt zu erledigen, der einfach nötig ist.
Vor dem 0:1 durch Raphinha (52.) agierte der über weite Strecken wieder einmal starke Felix Nmecha nicht konsequent genug in einem Zweikampf; und vielleicht hätte Schlotterbeck auch mit weniger Risiko verteidigen müssen. Das zweite Gegentor (Ferran Torres, 75.) wurde möglich, weil Jamie Gittens auf dem Flügel zu sorglos agierte und seinen Gegenspieler Jules Koundé ungestört flanken ließ, auch Gregor Kobel machte nicht die beste Figur. Besonders schlimm war aber die Nachlässigkeit von Gittens vor Torres‘ 2:3 (86.), als er einfach nicht zu einem Ball ging, den ihm Pascal Groß – womöglich etwas zu ungenau – zugespielt hatte. „Dass wir solche Fehler machen, das geht einfach nicht“, zürnte Sahin angesichts dieser Mixtur unterschiedlicher Missgeschicke. „Das macht mich traurig.“
Sahin: „Es kocht in mir“
Schon seine Vorgänger Lucien Favre, Marco Rose und Edin Terzic hatten mit dieser Sorte Probleme zu kämpfen, von denen es oft heißt, dass sie ein unvermeidbares Nebenprodukt seien, wenn man mit jungen Spielern arbeitet. Sahin mag sich diesem Fatalismus aber nicht mehr hingeben, „es kocht in mir“, sagte er. Der Trainer war schon einverstanden mit der Gesamtleistung seiner Mannschaft, stellte in seinem Resümee aber eindeutig die kritischen Töne in den Vordergrund. „Wenn wir zu Gewinnern werden wollen, müssen wir diese Spiele gewinnen. Ich will nicht hören, dass wir ein gutes Spiel gemacht haben“, sagte er.
Es wird spannend sein, ob diese neue Art der Kommunikation zu einem Fortschritt beiträgt, der dem BVB seit Jahren nicht gelingt. Eine gewisse Bequemlichkeit und das Bedürfnis, das eigene Projekt gegen Kritiker zu schützen ist ja tief verkankert in diesem Klub. Ein Trainer der nach einem guten Spiel sagt, er wolle kein Lob hören, wirkt fremde, aber Sahin ist offenbar ziemlich furchtlos. Die Idee von einem mutigen Spielaufbau, die sein Vorgänger Edin Terzic bei Widerständen schnell aufgab, wird jetzt auch gegen starke Pressingteams wie den FC Barcelona durchgezogen. Außerdem findet Sahin trotz der verletzungsbedingt eingeschränkten Auswahl gesunder Spieler gestalterische Freiheiten bei der Arbeit an seinen Aufstellungen.
Gegen Barcelona stand überraschend der wild aufspielende Julien Duranville in der Startelf, dessen Stil die Spanier überraschte. Außerdem spielte der ebenfalls starke Giovanni Reyna, die etablierteren Profis Donyell Malen und Pascal Groß saßen hingegen auf der Bank. Das funktionierte nicht nur gut, solche Entscheidungen zeigen auch den Willen dieses Trainers, Ideen umzusezten und Intuitionen zu folgen. Vermutlich wird genau diese Eigenschaft in den verbleibenden Partien dieses Jahres gegen Hoffenheim und in Wolfsburg besonders dringend nötig sein, denn nach den Verletzungen von Schlotterbeck, Niklas Süle und Waldemar Anton ist derzeit kein einziger Innenverteidiger richtig gesund. Wobei bei Anton immerhin die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr besteht.