Boris Pistorius zum Wehrdienst: „Wir haben die Zuwachszahlen“


Friedrich Merz (CDU) hat deutlich gemacht, dass er an dem beschlossenen Weg der Koalition zum neuen Wehrdienstgesetz festhält, auch wenn es gerade etwas länger dauert – und der Bundeskanzler offensichtlich Zweifel hat, dass er in dieser Form schon zum Erfolg führt. „Wir wollen das jetzt mit der SPD zunächst freiwillig versuchen hinzubekommen“, sagte Merz (CDU) am Sonntagabend in der ARD mit Blick auf den Gesetzentwurf aus dem Haus von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Aber: „Ich vermute, es wird bei Freiwilligkeit allein nicht bleiben.“ Er zweifle daran, dass das Freiwilligenmodell das Ziel erreiche und der Bundeswehr genügend neues Personal bringe.

Mit diesem Dilemma ringt man in der Union schon seit den Koalitionsverhandlungen. Da hatte man es nur geschafft, der SPD den Satz abzuringen: „Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert.“ Seitdem versucht die SPD Zuversicht mit Blick auf die Freiwilligkeit zu verbreiten, und in der Union versucht man klarzustellen, wann und wie der Übergang zur Pflicht beginnt – denn nicht nur bei Merz sind die Zweifel groß, dass es mit der Freiwilligkeit nicht reicht.

Nachdem Pistorius seinen Gesetzentwurf vorgestellt hatte, richtete der in der CDU/CSU-Fraktion für Außen- und Verteidigungspolitik zuständige Norbert Röttgen seine Kritik sogleich auf diesen Schwachpunkt: Es gebe keine Zahlen und Fristen, wann was erreicht sein müsste beim Wehrdienst.

Mit seinem SPD-Pendant Siemtje Möller führt Röttgen seit der gemeinsamen Fraktionsklausur in Würzburg im Auftrag der Fraktionsvorsitzenden Verhandlungen, um den Pistorius-Entwurf anzupassen. Weil zu viele Fragen noch nicht geeint waren, musste die ursprünglich für diesen Donnerstag geplante Befassung des Bundestages um eine Woche verschoben werden. Vorerst.

Pistorius bezeichnet Verhalten der Union als „fahrlässig“

Pistorius hatte auf die Verschiebung am Wochenende mit Unverständnis reagiert und das Verhalten der Union als „fahrlässig“ kritisiert. Die Unionsfraktion drohe die Einführung des neuen Wehrdienstes zu gefährden. Merz merkte zu Pistorius am Sonntagabend an, es könne sein, „dass er die internen Vorgänge im Parlament nicht so mitbekommen hat“.

Pistorius bekräftigte am Montag, dass er die Bedenken der Union nicht teile: „Wir haben die Zuwachszahlen“, sagte Pistorius dem Mediendienst „Table“. „Wir werden allein in diesem Jahr schon 30 Prozent mehr militärische Einstellungen haben als im Vorjahr.“ In den kommenden Jahren werde die Bundeswehr 40.000 neue Wohnplätze für Rekruten in den deutschen Kasernen aufbauen und mit dem neuen Gesetz die Attraktivität des Dienstes weiter steigern. „Die Linie stimmt“, sagte er.

Die Zusammenarbeit zwischen Union und SPD läuft in der Arbeitsgruppe dem Vernehmen nach gut. Trotzdem beklagte sich am Montag SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf über die Debatte. Im Koalitionsvertrag sei das Freiwilligenmodell vereinbart, sagte er. Die jetzige Diskussion, etwa die Forderung von CSU-Chef Markus Söder, sofort die Wehrpflicht wieder einzuführen, verunsichere junge Menschen. Genauso die Aussage von Merz, er könne sich ein allgemeines Pflichtjahr vorstellen. Klüssendorf sagte allerdings nichts zu dem möglichen Kompromiss beim Wehrgesetz, konkrete Zahlen und Fristen in den Gesetzentwurf zu schreiben – womit die Freiwilligkeit ja zunächst gewährleistet wäre.

Dabei geht es nicht nur darum, Fristen und Zielmarken in den Entwurf festzuschreiben. Gerne würde die Union auch klären lassen, ob man einem Argument gegen die allgemeine Wehrpflicht rechtssicher entgegentreten könne: dass man ja gar nicht ganze Jahrgänge an Männern brauche, sondern nur einen bestimmten Anteil. So macht man es beim schwedischen Modell – das auch im Koalitionsvertrag als Orientierung genannt wird.

„Wir streben eine Wehrpflicht an, die sich am militärischen Bedarf orientiert“, sagte Röttgen der F.A.Z. „Das halten wir für verfassungsrechtlich geboten, weil sie der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr dient und einen viel milderen Eingriff bedeutet in die Grundrechte.“ Ob das allerdings auch vom Grundgesetz gedeckt ist, soll nun in einem Rechtsgutachten geklärt werden, das die Unionsfraktion in Auftrag gegeben hat. Denn als die Wehrpflicht einst ausgesetzt wurde, stand schon ein Begriff im Fokus: Wehrgerechtigkeit.