
Danke für die Glückwünsche. Und ich muss Ihnen gleich widersprechen: Die Bundeswehr ist in einer deutlich besseren Verfassung, als es der Berichterstattung gelegentlich zu entnehmen ist. Und die Truppe ist vor allem deutlich besser aufgestellt als noch vor einigen Jahren. Wir sind auf Kurs, wir nehmen Geschwindigkeit auf. Wir haben zum Beispiel viel mehr Verträge für Waffensysteme abgeschlossen als in den Jahren zuvor. Wir haben einen klaren Plan für den Aufwuchs bei Personal und Infrastruktur. Und schon bevor der neue Wehrdienst in Kraft tritt, steigen die Bewerbungs- und Einstellungszahlen. Das macht sich im Übrigen bereits in der Truppe bemerkbar. Und ja, wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen, aber wir sind auf bestem Weg. Und wir haben uns viel vorgenommen.
Sie selbst sind bald drei Jahre im Amt, eine Ewigkeit, gemessen am Tempo der Veränderungen. Was freut, was frustriert Sie am meisten – Freude mit den Soldaten, Frust mit der SPD-Fraktion?
Dass es in der SPD zu Sicherheitspolitik und Verteidigung unterschiedliche Auffassungen gibt und dass darüber im besten Sinne lebhaft diskutiert wird, ist für mich völlig okay. Im Übrigen: Ich kann mich über mangelnde Unterstützung für unseren sicherheitspolitischen Kurs nicht beklagen. Das sehen Sie ja beim Kompromiss zum Neuen Wehrdienst. Was mich besonders antreibt: die Begegnungen mit der Truppe. Die Soldatinnen und Soldaten sind top ausgebildet und motiviert. Sie nehmen sehr deutlich wahr, dass sich Dinge verändern, dass Material eintrifft, dass sich die eigene Ausstattung deutlich verbessert hat. Aber auch dass die Wertschätzung in der Gesellschaft für sie zunimmt.
Sie selbst sagen: Unsere Art zu leben ist bedroht, und wir haben keine Zeit zu verlieren. Haben Sie den Eindruck, Partei und Parlament seien schnell und entschlossen genug, um den Bedrohungen zu begegnen?
Putin macht kein Geheimnis aus seinen imperialen Phantasien, in der unsere Freiheit, unsere Ordnung, so wie wir sie kennen, keine Bedeutung haben. Auf diese Bedrohung müssen wir schnell und deutlich reagieren, indem wir unsere Verteidigungsfähigkeit stärken. Es gibt viel zu tun. Denn unsere Streitkräfte wurden jahrzehntelang vernachlässigt, die Infrastruktur ist zum Teil heruntergekommen, und der Personalbestand ist enorm verkleinert. Die Notwendigkeit, entschlossen zu handeln, haben nach meiner Wahrnehmung die Parteien der demokratischen Mitte verinnerlicht. Wir ziehen hier an einem Strang. Wir haben in den vergangenen Jahren gemeinsam einen Kurswechsel vorgenommen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wir müssen bei allem, was wir tun, noch schneller werden.
Es gibt jetzt einen Kompromiss für ein neues Wehrdienstgesetz. War der Hickhack darum unvermeidlich? Sie haben den Entwurf schließlich schon vor anderthalb Jahren vorgelegt.
Wir sind im Zeitplan. Der Neue Wehrdienst kann – wie innerhalb der Koalition besprochen – nach Zustimmung des Parlaments Anfang Dezember zu Beginn des neuen Jahres in Kraft treten. Das ist eine richtig gute Nachricht. Wir werden die Wehrerfassung wieder einführen, die bei Aussetzung der Wehrpflicht einfach zerschlagen wurde. Sie ist eine Grundvoraussetzung für unsere Verteidigungsfähigkeit, daher brauchen wir sie dringend. Wir werden ab Mitte 2027 flächendeckend mustern, um zu wissen, wen wir in einem Verteidigungsfall einziehen könnten. Wir werden die Reserve schrittweise mit ehemaligen Wehrdienstleistenden aufbauen – und somit unsere Verteidigungsfähigkeit insgesamt stärken. Ja, es stimmt, es gab schon vor der parlamentarischen Befassung Kritik. Das ist bei einem so wichtigen Vorhaben aber auch überhaupt nicht ungewöhnlich. Wir haben uns schnell zusammengefunden und einen wirklich guten Kompromiss erzielt. Das zählt für mich. Alles andere ist jetzt Schnee von gestern.
Man hat allerdings den Eindruck, beim Mindset ist die Bevölkerung weiter als die Politik. In Umfragen hat die Wehrpflicht jedenfalls eine Mehrheit.
Wo sollen die 350.000 jungen Männer eines Jahrgangs untergebracht werden? Wer soll sie ausbilden? Um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht, wie wir sie von früher kennen, kann es derzeit gar nicht gehen. Wir setzen bewusst auf Freiwilligkeit. Wir wollen diejenigen, die motiviert und geeignet sind. Davon haben wir langfristig – auch wenn wir über den Dienst in der Reserve sprechen – viel mehr, als wenn wir die jungen Menschen zum Dienst zwingen. Bei meinen Gesprächen mit jungen Männern und Frauen spüre ich, dass sie sehr wohl für die Sicherheit Deutschlands eintreten. Sie sind durchaus bereit, ein Leben in Freiheit zu schützen. So wie in Ländern wie Schweden oder Dänemark ja auch. Und wenn wir nicht genügend Freiwillige haben sollten, darüber sind sich alle einig, dann muss es eine Verpflichtung geben. Darüber wird dann der Bundestag entscheiden, wenn es so weit kommen sollte. Und das ist auch richtig so.
Die Frage bleibt spekulativ. Militärexperten und Nachrichtendienste können in etwa abschätzen, wann Russland seine Streitkräfte so wiederhergestellt haben wird, dass es in der Lage wäre, einen Angriff auf ein NATO-Mitgliedsland im Osten zu führen. Wir haben immer gesagt, das könnte ab 2029 der Fall sein. Jetzt gibt es allerdings andere, die sagen, dies sei schon ab 2028 denkbar, und manche Militärhistoriker meinen sogar, wir hätten schon den letzten Sommer im Frieden gehabt. Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, dass die NATO sich nicht wehren könne. Das kann sie. Sie hat ein beachtliches Abschreckungspotential. Konventionell, aber natürlich auch nuklear. Unabhängig davon haben wir kampffähige Streitkräfte, aber ja, wir müssen sie noch besser ausstatten.

Ja, Russland produziert mehr Shaheds und vergleichbare Drohnen, als es einsetzt. Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass die Drohnen eine enorme Bedeutung in der heutigen Kriegsführung haben. Aber dennoch werden auch Großgeräte weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Militärexperten sagen uns: Ein Krieg in der Zukunft wird ein Krieg der verbundenen Waffen sein, also auch mit Haubitzen, Panzern und Flugzeugen, im Cyberraum und natürlich auch mit unbemannten Systemen.
Bei der Entwicklung von Drohnen erleben wir gerade immer kürzer werdende Innovationszyklen. Innerhalb von zwei bis drei Monaten verändert sich die Technologie entscheidend, auch bei der Drohnenabwehr. Deshalb würde es auch keinen Sinn machen, wenn wir uns heute für Milliarden Euro Drohnen in die Depots legen würden, die übermorgen veraltet wären. Stattdessen werden wir neue Beschaffungswege gehen. Wir entwickeln selbst, bringen Nutzer und Entwickler gleich am Anfang zusammen. Wir werden gemeinsam mit den Unternehmen dafür sorgen, dass diese modernsten Varianten in einem Verteidigungsfall schnell in Masse produziert werden können.
Sie haben Anfang November auf einer Tagung von Generalität und Admiralität fundamentale Veränderungen angekündigt. Was sind die wichtigsten?
Das eine ist eine Militärstrategie, die der Generalinspekteur vorlegen muss. Unsere Bedrohungslage hat sich stark verändert. Das wurde erst 2022 und damit spät wahrgenommen. Jetzt ist klar: Es gibt einen großen Gegner in Moskau, der maximal rücksichtslos und imperialistisch agiert. Darauf müssen wir uns noch besser einstellen. Wir müssen einen möglichen Krieg der Zukunft antizipieren können und vorsorglich agile, resiliente Strukturen schaffen. Dann brauchen wir einen Aufwuchsplan für die aktive Truppe, also die Zeit- und Berufssoldaten. Das wird ergänzt um eine deutliche Stärkung der Reserve. Ich habe daher eine Reservestrategie sowie ein Gesetz zur Stärkung der Reserve in Auftrag gegeben.
Dann geht es um eine weitere Beschleunigung unserer Beschaffung. Das Beschaffungsamt in Koblenz hat in den vergangenen Jahren beeindruckende Arbeit gemacht. Mit den nun höheren Beschaffungsvolumina müssen wir uns aber anschauen, wie wir Strukturen und Abläufe noch weiter verbessern können. Wir müssen dabei auch über zusätzliche Standorte sprechen – insbesondere, um noch mehr Fachleute für das Amt zu gewinnen. Es soll künftig auch möglich sein, bei Projekten, die wir prioritär betrachten, neue, flexiblere Beschaffungsprozesse zu nutzen. Mit dem Innovationszentrum in Erding gehen wir ganz neue Wege für Innovationen. Das wird Vorbild für weitere Zentren zum Beispiel in Norddeutschland sein.
Und schließlich werden wir uns auch den gesamten Beschaffungsprozess noch einmal genau anschauen. Und schließlich, das ist ein ganz wichtiger Punkt, brauchen wir eine mutige Führungs- und Fehlerkultur in der Truppe. Man muss auf den jeweiligen Ebenen entscheiden, was zu tun ist, statt aus Angst vor falschen Entscheidungen keine Entscheidungen zu treffen.
Auf der Tagung war viel vom Operationsplan Deutschland die Rede, der die militärische und zivile Aufstellung in Deutschland regelt. Viele beklagten, das laufe auf der zivilen Seite auf Landes- und Kommunalebene schlecht. Es fehle an Ansprechpartnern und Strukturen.
Der Operationsplan Deutschland regelt in erster Linie die militärische Verteidigung des Landes. Dazu zählt zum Beispiel, dass Brücken stabilisiert werden – etwa für den Fall, dass Deutschland zum Durchmarschgebiet werden sollte. Dies ist aber nur ein Teil der Gesamtverteidigung. Auch die zivile Seite muss – insbesondere auf Landes- und kommunaler Ebene – auf einen Ernstfall vorbereitet sein. Sie muss eine Antwort darauf haben, ob die Zahl der Krankenhäuser ausreichen würde oder erhöht werden muss. Wir haben mit dem Operationsplan viele Verantwortliche in der zivilen Welt wachgerüttelt. Jetzt müssen Maßnahmen erarbeitet und umgesetzt werden.

Manche sagen, wir brauchen auch in der Rüstungsindustrie eingemottete Kapazitäten. Stimmen Sie zu?
Eher weniger. Was wir brauchen, sind klare Absprachen mit der Rüstungsindustrie, um die Produktionskapazitäten im Ernstfall schnell hochfahren zu können, um dann zügig moderne Systeme in Masse produzieren zu können.
Viele Rüstungsbetriebe arbeiten nur eine Schicht pro Tag und nur an fünf Tagen in der Woche statt an sieben.
Ja. Ich spreche die Geschwindigkeit der Produktion regelmäßig in meinen Runden mit der Industrie an. Manche Unternehmen sind schon weiter, aber auch dann gibt es immer wieder Verzögerungen. Und unabhängig von der Frage, wie viel Zeit wir haben, sage ich: Wir können die Dinge nicht erzwingen.
Wenn die Ukrainer immer gesagt hätten, wir können nicht, hätten sie längst verloren.
Die Ukraine ist im Krieg und braucht eine Kriegswirtschaft, um zu überleben. Aber wir sind in einer Phase, in der es mehr als je zuvor auf Abschreckung ankommt. Auch auf ökonomische Abschreckung. Und das geht nicht mit „Wir können nicht“. Jetzt gilt: „Wir müssen“. Aber allein die Aussage „Wir müssen“ führt ja nicht dazu, dass die Realität eine andere wird. Zentral ist, dass wir langfristig verlässlich bei den Beschaffungen sind. Die Voraussetzung haben wir mit der Bereichsausnahme und einem klaren Bekenntnis zu unseren Verteidigungsausgaben geschaffen. Darüber hinaus schaffen wir bessere Rahmenbedingungen für den Ausbau der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland. Dabei spielt auch das Gesetz zur Beschleunigung von Planung und Beschaffung eine wichtige Rolle. Es soll ebenfalls noch in diesem Jahr vom Parlament verabschiedet werden. Klar ist aber auch: Die Unternehmen müssen auch selbst noch schneller im Auf- und Ausbau der Produktion werden.
Ein Beispiel dagegen: Wir lesen, Deutschland werde im nächsten Jahr zehntausend Drohnen anschaffen. Viel weniger als die Ukraine.
Die Ukraine ist im Krieg und muss sich verteidigen. Bei uns kommt es nicht auf eine besonders hohe Stückzahl an, sondern auf einen klugen Fähigkeitsmix und innovative Beschaffungs- und Vorhalteverträge. Entscheidend ist: Wir werden Drohnen zur Aufklärung und Wirkung in unterschiedlichster Reichweite und in verschiedenen Höhen anschaffen. Und wir haben Drohnen auch jetzt schon breit in der Truppe – für die Aufklärung und in der Ausbildung im Grundwehrdienst. Außerdem werden wir auch „Loitering Munition“, also Drohnen mit Sprengkopf, beschaffen.
Sie sagen, wir wollen nicht für einen künftigen Fall produzieren, von dem wir nicht wissen, was er erfordern wird. Ist es da nicht widersinnig, jetzt zusammen mit Frankreich Flugzeuge und Panzer für Anfang der Vierzigerjahre zu bestellen und Fregatten für die Dreißiger zu planen?
Die deutsch-französischen Projekte für Flugzeuge und Panzer galten als beispielhaft, als sie vor sieben oder acht Jahren in die Welt gesetzt wurden. Niemand hatte damals vor Augen, was im Februar 2022 die Zeitenwende einläuten würde. Man glaubte, Zeit zu haben. Heute aber muss man sagen, dass sich die Zeit geändert hat. Man muss jetzt sehr genau überlegen: Machen sehr langfristige Projekte noch Sinn? Sind sie auf der Zeitachse noch richtig terminiert – also 2040 plus? Wir sind darüber selbstverständlich auch mit Frankreich im Austausch. Wir müssen und werden die gemeinsamen Projekte vor diesem Hintergrund neu justieren.
Wie wird die Bundeswehr zu ihrem 75. Geburtstag aussehen?
Unser Plan ist für 2030 eine Reserve von mehr als 200.000 Soldatinnen und Soldaten. Wir werden in der aktiven Truppe auf 210.000 bis 220.000 aufgewachsen sein. Wir werden in der Beschaffung noch mal mehr Geschwindigkeit aufgenommen haben. Neue F-35-Kampfflugzeuge und Chinook-Hubschrauber werden fliegen, das Heer wird Leopard 2A8 und Skyranger nutzen. Eine voll aufgestellte Brigade Litauen wird bereits einige Jahre an der NATO-Ostflanke stehen. Die wird nach meiner Überzeugung ein Musterprojekt, beispielgebend für andere Verbände. Gleichzeitig hoffe ich, dass wir in der NATO bei der Geschlossenheit bleiben, die wir heute noch haben. Und die heute Achtzehnjährigen erzählen rückblickend stolz von ihrem Wehrdienst für unser Land.
