
Zu den vielen Dingen, die der Fußball dem argentinischen Fußballtrainer Miguel Ángel Russo gab, zählte die Freundschaft zum katalanischen Sänger und Poeten Joan Manuel Serrat, 81. „Dreimal hatte ich Krebs – und hier stehe ich immer noch!“, sagte der Mann, der Ende der Sechzigerjahre Spanien beim Grand Prix Eurovision de la Chanson vertreten hatte und ein bekennender Barça-Fan ist, zu Russo. Serrat sagte ihm bei einer Begegnung aus dem Jahre 2018 auch dies: „Krebs ist eine der wenigen demokratischen Erfahrungen, der man im Leben begegnet. Er ist also keine Ungerechtigkeit, aber sehr wohl großer Mist.“ So schilderte es am Donnerstag die Zeitung Clarín, als sie vom Ableben Russos berichtete, mit der gleichen Trauer, die auch die anderen Gazetten Argentiniens füllte. „Sogar die guten Kerle sterben“, schrieb Clarín über den Tod „des Trainers aller“ Argentinier, den Olé beweinte.
Russo wurde 69 Jahre alt, er starb am Mittwoch, ohne je in Rente gegangen zu sein. Bis zum letzten Atemzug war er Cheftrainer von Boca Juniors, einem der beiden Großklubs der Hauptstadt Buenos Aires. Seinen letzten, großen Auftritt hatte Russo im vergangenen Sommer bei der Klub-WM in den USA. Boca Juniors spielte dort unter anderem gegen den FC Bayern. Für ihn, der als defensiver Mittelfeldmann siebzehnmal Nationalspieler gewesen war, stellte es die erste WM-Teilnahme dar. In der Qualifikation zur WM 1986, die Argentinien mit Diego Maradona gewann, hatte Russo zwar ein entscheidendes Tor geschossen; Trainer Carlos Salvador Bilardo aber strich ihn aus dem Kader. Ausgerechnet Bilardo, der für ihn als Trainer bei Estudiantes La Plata so prägend gewesen war wie kein Zweiter.

:Verführer des Fußballs
Er trainierte Maradona und verehrte Pelé, er liebte aber auch Che Guevara, den Tango, die Literatur, das Rauchen und den deutschen Fußball. Nun ist Argentiniens wortmächtiger Weltmeistertrainer César Luis Menotti im Alter von 85 Jahren gestorben.
Wer Russo im Juni in Miami sah, erkannte einen Mann, der längst wieder schwer von der Krankheit gezeichnet war. Aber er lächelte. Allein im vergangenen Monat wurde er dreimal ins Krankenhaus eingewiesen, bei den letzten Spielen vertrat ihn sein Assistent. Bocas für Samstag vorgesehenes Ligaspiel gegen Barracas Central wurde noch am Donnerstag abgesagt.
Der Schmerz, der dem innewohnte, galt einem Mann, der als Spieler nur einen Klub kannte: Estudiantes La Plata. Mit 32 Jahren musste Russo seine Karriere wegen einer Knieblessur aufgeben; er wurde nicht nur umgehend Trainer bei Lanús, sondern hatte auch mit den Rezepten seines Estudiantes-Mentors Bilardo einigen Erfolg. Er reihte 25 Trainerstationen in Argentinien, Chile, Spanien, Mexiko, Kolumbien, Peru, Paraguay und Saudi-Arabien aneinander – allein bei Boca Juniors war er dreimal beschäftigt.
Dort feierte er 2007 seinen größten Triumph: Er gewann mit Boca die Copa Libertadores, den wichtigsten Vereinswettbewerb Südamerikas. Der Krebs ereilte ihn 2017 in Kolumbien, zwischen zwei Titeln, die er bei Millonarios aus Bogota gewann. Es kam vor, dass „Miguelo“, wie er genannt wurde, seine Ärzte zur Weißglut trieb und in Staunen versetzte, weil er sich nach Chemo-Therapie-Sitzungen auf die Bank setzte. „Alles heilt die Liebe“, sagte er einmal, und er lebte, als sei das wahr.