

„Wenn Björn Höcke kommt, ist die Bude voll“, sagt eine Frau von der Security. Allerdings flögen bei Veranstaltungen mit Höcke auch mal Tomaten oder faule Eier. Selbst mit Buttersäure sei sie schon attackiert worden, und Buttersäure stinke entsetzlich.
An diesem Abend im Gasthaus Stadt Bad Sulza will dem Sicherheitspersonal niemand etwas Böses. Die Besucher des AfD-Bürgerdialogs mit dem thüringischen Partei-Chef Björn Höcke und seinem Kollegen Peter Gerhardt zum Thema „10 Jahre offene Grenzen“ warten gut gelaunt in einer langen Schlange auf Einlass. Man begrüßt einander, man kennt sich. Schulterklopfen. „Schön, du auch hier!“ Ein älterer, freundlicher Herr, der mit seiner Frau im Eigenheim lebt und häufig in die Therme in Bad Sulza geht, sagt: „Die Ukrainer liegen da den ganzen Tag im warmen Wasser.“ Überhaupt findet er, dass die Ausländer im Stadtbild „einfach nicht schön aussehen.“
Wo bleibt Höcke?
Im Saal des Gasthauses stehen lange Tische, es gibt Getränke und für jeden Gast eine blaue Mappe mit Informationsmaterial über den Niedergang Deutschlands, seit Angela Merkel 2015 das „geltende Recht außer Vollzug“ gesetzt und die Grenzen für Migranten aus aller Welt geöffnet hat. Die Plätze füllen sich rasch, viele müssen stehen. Die meisten der mehr als zweihundert Besucher sind im Rentenalter, aber auch Jüngere warten sichtlich gespannt auf Höcke. Bislang ist allerdings nur Peter Gerhardt da, von Höcke weit und breit keine Spur. Gerhardt ist dreiunddreißig Jahre alt, Mitglied des Thüringer Landtags und europapolitischer Sprecher der Fraktion.
Er eröffnet den Abend mit einem Videoclip: „Schicksalsjahr 2015“. Es ertönt dramatische Musik. Auf der Leinwand erscheinen Bilder von Menschenmassen. Vor allem Männer mit Sack und Pack sind unterwegs. Es folgen Aufnahmen der Kölner Silvesternacht und Attentatsbilder vom Berliner Breitscheidplatz.
Dann taucht Höcke in einer Gruppe Trauerender auf. Er hält eine weiße Rose in der Hand: „Ich stehe hier in einer Mischung aus Wut und Trauer (…). Ich kann die Städte nicht mehr aufzählen, ich kann die Namen nicht mehr aufzählen, die in den letzten Jahren ums Leben gekommen sind durch eine verfehlte Politik der offenen Grenzen.“ Im Video ist von Massenschlägereien, Messerstechereien und täglichen Massenvergewaltigungen auf unseren Straßen die Rede. „Nur die AfD kann Ordnung und Gerechtigkeit wieder herstellen.“
Recht und Ordnung
In Bad Sulza ist Björn Höcke allerdings noch immer nicht eingetroffen, um eine baldige Wiederherstellung von Recht und Ordnung zu versprechen. Zwar gibt sich Gerhardt als Vorband redlich Mühe, redet von zehn Jahren Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme und zehn Jahren Veränderung des Stadtbilds, aber so richtig zündet sein Auftritt nicht. Als Höcke, eskortiert von Personenschützern, endlich eintrifft, bricht im Saal Jubel aus. Er hebt die Daumen, strahlt. Handys werden gezückt, vor allem von Frauen.
Wer nur Ausschnitte aus Höckes Reden kennt, in die er immer wieder NS-Vokabular einstreut, wäre wohl erstaunt, dass diesem Mann so gar nichts Grobes anhaftet, im Gegenteil. Er scheint freundlich, höflich, zugewandt. Das stammtischhafte Poltern, das unter den Anwesenden zum guten Ton zu gehören scheint, liegt im fern. Vielleicht wirkt Höcke deshalb auf eine seltsame Weise unheimlich. Seine kältesten Sätze sagt er mit einem Lächeln: „Die Kartellparteien schaffen sich gerade ein neues Volk. Die lösen unsere Identität auf wie eine Kukident-Tablette in einem lauwarmen Glas Wasser.“
Höcke ist kein Aufpeitscher. Er schürt Ängste und stilisiert sich zum Retter, der, sobald er an der Macht ist, die brachliegende Heimat wieder in eine blühende Landschaft verwandeln will. Das Geld dafür sei da. Fünfzig Milliarden Euro würden im Jahr für die Unterbringung und Verpflegung von Migranten ausgegeben. „Hätten wir diese Zuwanderung nicht zugelassen, könnten wir die Rente von heute auf gleich um hundert Prozent erhöhen.“ Bei diesen Zahlen schaut ein junger Mann mit strengem Seitenscheitel gleich noch grimmiger drein. Blickt man sich um, sieht man in empörte Gesichter. Köpfe werden geschüttelt. Migration und Überfremdungserzählungen treffen hier rhetorisch zuverlässig ins Schwarze. Höcke, von seinem Parteikollegen Gerhardt „Ministerpräsident der Herzen“ genannt, malt sich seine Herrschaft in Thüringen aus. Er will das „Weltsozialamt Deutschland in der Abteilung Thüringen“ sofort schließen. „Wir müssen regmigrieren, remigrieren, remigrieren, remigrieren.“
„Bett, Brot und Seife“
Als Ministerpräsident würde Höcke in der Migrationspolitik sofort auf Sachleistungen umstellen: „Bett, Brot und Seife.“ Dafür gibt’s ordentlich Applaus. „Jawohl“-Rufe ertönen. Sämtliche Migranten sollen auf dem umgestalteten Erfurter Flughafen in „menschenwürdigen“ Wohncontainern zentriert werden. Wer keinen positiven Asylbescheid hat, darf das Gelände nicht verlassen. „Und wenn dieses Asylverfahren negativ beantwortet wird, dann wird der in den Flieger gesetzt und zwar subito!“
Die zweite Hälfte des Abends gehört den Sorgen der Bürger. Sie dürfen Fragen stellen. Den Menschen liegt vieles auf dem Herzen, zum Beispiel, dass etliche Betriebe wegen der hohen Energiekosten drohen, „abzuschmieren“. Ein Mann wünscht sich deshalb die Reparatur der Pipeline Nord Stream 2 und billiges Gas aus Russland. Höcke nickt. Das sei genau seine Position. Einen anderen Herrn treibt der Zustand der Schulen um. In den Kantinen bekämen die Kinder keine Nudeln mit Jägerschnitzel mehr. Höcke, ein ehemaliger Lehrer, versichert ihm, dass Bildung Chefsache sei. Versteht man ihn richtig, gehört dazu auch der Speiseplan der Schulkantine. Dann meldet sich ein Mann zu Wort und fragt, wie die AfD das Corona-Unrecht aufarbeiten möchte? Freunde, Verwandte, Bekannte hätten damals schwer gelitten. Mit jedem Wort wird seine Stimme emotionaler.
Plötzlich spricht er von „Affenpocken und allem Scheiß“, gegen den man sich impfen lassen soll. Höcke sagt, damals sei schweres Unrecht geschehen. „Wir arbeiten daran.“ Dieser Satz ist einer seiner Standardsätze. Er sagt auch gern: „Ich kann Ihnen versichern…“ Zum Beispiel versichert er seinen Zuhörern, dass die AfD alles tue, „um die Verschandelung Thüringens zu verhindern und die Windmühlen der Schande nicht noch mehr werden zu lassen.“ Falls es allerdings tatsächlich so komme, wie die Landesregierung es im Moment plane, „wird unser Land vollständig entstellt.“ Die Windräder erzürnen die Leute hier in Bad Sulza sehr. Sie sind zum Symbol der Entfremdung zwischen Bevölkerung und ihren politischen Repräsentanten geworden.
Wann wird das Gendern abgeschafft?
Die erste Frau, die sich nach einiger Zeit meldet, möchte wissen, ob „dieses Gendern“ irgendwann wieder abgeschafft wird. Höcke lächelt. Ja, sagt er, dieses Gendern, da gebe es absurde Stilblüten. Er erzählt eine Anekdote aus dem Landtag. Bei einer Sitzung habe die Vizepräsidentin Frau Güngör – bei der Aussprache ihres Namens tut Höcke, als wisse er nicht, wie sie genau heißt – die parlamentarischen Geschäftsführer zu sich gerufen. Offenbar bezeichnete sie diese als „PGFInnen“. „Man merkt, wie widernatürlich das Gendern ist“, sagt Höcke. Privat sei ihm egal, wie sich die Menschen ansprechen, sie könnten sich auch Tiernamen geben. Großes Gelächter im Saal.
Zur Stadtbilddebatte äußert sich Höcke nur kurz. Diese Debatte sei schließlich bereits 2010 geführt worden, nur hieß sie damals „Deutschland schafft sich ab“. Thilo Sarrazin habe mit seinem „bahnbrechenden Buch“ unsere Gegenwart vorhergesagt. Er selbst habe Angsträume für „unsere Frauen“ prophezeit. Dafür sei er medial geprügelt worden. „Rechtsradikaler, Rechtsextremist, Ausländerfeind, Nazi, Faschist. Ich habe jede Keule aufs Haupt bekommen, die man aufs Haupt bekommen kann in dieser Republik.“ Aber er, Björn Höcke, lässt sich nicht unterkriegen. Diese Standhaftigkeit im Kampf gegen die „Kartellparteien“ fordert er auch von seinen Anhängern. „Lasst euch den Mund nicht verbieten. Am Ende werden wir siegen. Es lebe unsere Heimat Thüringen, es lebe unser deutsches Vaterland!“
Nach zweieinhalb Stunden Wir-Gefühl steht Björn Höcke noch für Autogramme und Selfies zur Verfügung. Er ist geduldig. Die Leute schätzen seine Nahbarkeit. Sie fühlen sich von ihm ernst genommen und gehört. „Ein richtig toller Abend“ sei das gewesen, sagen sie. Höcke habe nichts zu tun mit den elitären Politikern anderer Parteien – denen sei das Volk doch sowieso egal.
Höcke weiß, dass er die Herzen der Menschen hier längst gewonnen hat. Aber er braucht auch die Herzen derer, die noch schwanken. Für die Überzeugungsarbeit im Freundes- und Bekanntenkreis kann er jetzt auf die Besucher des Bürgerdialogs setzen, die nun frohen Mutes nach Hause gehen, im Kopf die Bilder eines Deutschlands ohne Migranten und eines Thüringens ohne Windräder.
