Bild und die Casino-Katastrophe | Lese-Letter von Medieninsider

Schön, dass du dabei bist! Was dich in dieser Woche unter anderem im Lese-Letter erwartet:

Der Kicker startet ein „Transformationsprojekt“ – entscheidend dafür wird sein, wie die Führung mit Verunsicherung umgeht (Editorial)

Wie das neue Editorial Board beim Kicker aussehen soll, welche Befürchtungen damit einhergehen und wie Verlegerin Bärbel Schnell darauf reagiert (direkt zum Artikel)

Der neue Digital News Report des Reuters Institutes ist da: Alexandra Borchardt hat ihn auf besondere Weise analysiert (direkt zum Artikel)

Bild und die Casino-Katastrophe: Kurz nach Judy S. produziert Springers Boulevardtitel die nächste Fake News (am Ende des Newsletters)

„Veränderung bedeutet nicht immer Verbesserung, aber um zu verbessern, muss man sich verändern.“

Dieses hundert Jahre alte Zitat von Winston Churchill fasst zusammen, was sich derzeit beim Kicker ereignet.

In dieser Woche berichten wir über das „Transformationsprojekt“, das die Verlagsleitung von Deutschlands Leitmedium in der Fußballberichterstattung kürzlich angekündigt hat – und das mit dem Rauswurf der langjährigen Chefredakteure begann.

Der Olympia Verlag begeht damit eine Zäsur, um den Traditionstitel zeitgemäß aufzustellen. Die allgemein als überholt geltende Trennung zwischen Print- und Onlineaktivitäten soll abgeschafft werden, eine integrierte Redaktion entstehen. Auch ein neues Führungsmodell soll es geben. Zukünftig soll die Redaktion von einem vierköpfigen „Editorial Board“ mit klar zugewiesenen Verantwortungsbereichen geführt werden, wie aus einer internen Übersicht hervorgeht, die Medieninsider vorliegt. Bemerkenswert an der Konstellation: Über diesem Board wird keine klassische Chefredaktion mehr stehen.

Die Geschichte rund um den Kicker steht exemplarisch für einen Wandel, wie er sich derzeit in vielen Medienhäusern vollzieht. Daher lohnen die Einblicke für alle, die sich mit Veränderung beschäftigen. Ob sie am Ende auch zu Verbesserungen führt? Das ist auch davon abhängig, wie man auf Verunsicherung reagiert. Diese macht sich auch im vorliegenden Fall breit, wie ein Schreiben aus der Redaktion zeigt, das Medieninsider ebenfalls vorliegt.

Vor diesem Hintergrund lässt sich Churchills Zitat heute womöglich erweitern:

Veränderung bedeutet nicht immer Verbesserung, aber um zu verbessern, muss man sich verändern – und dabei die Betroffenen mitnehmen.

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Bild und die Casino-Katastrophe

Es ist nicht lange her, dass sich Bild für die erfundene Geschichte rund um Judy S. rechtfertigen und entschuldigen musste, schon fliegt der nächste Fake-News-Skandal auf.

Anfang Juni erschien bei Bild ein Transparenz-Hinweis, dass man einen Artikel des Schweizer Blick falsch abgeschrieben hatte. Es ging um eine Bande, die ein Schweizer Casino betrogen haben soll. Der Artikel enthielt falsche Angaben und Zitate, deren Ursprung vollkommen unklar sind.

Wie es zur Stellungnahme kam? Darüber klärt nun der YouTube-Kanal Izzy auf, dessen Dokumentation auch die Grundlage für den Blick-Artikel war. Izzy ist ein Kanal der Schweizer Mediengruppe Ringier, zu der auch der Blick gehört. Daher hatte die Redaktion Zugriff auf die erst vor einigen Tagen veröffentlichte Doku.

Das Aufklärungsvideo macht den Fall für Bild nur noch schlimmer. 

Auf satirische Weise hatte Cedric Schild von Izzy den Bild-Autoren nach Veröffentlichung seines falschen Artikels telefonisch konfrontiert. Dessen Einsicht: null. Der Journalist verteidigte sich damit, dass Abschreiben im Journalismus normal sei. Anschließend übermittelte er dem Izzy-Team einen weiteren Artikel, der die bislang unbelegten Angaben untermauern sollte. Das Problem: Laut dem Izzy-Team ist auch dieser Artikel erfunden. In der Tat lässt er sich im Netz nicht finden. 

Ein Text mit falschen Angaben und erfundenen Quellen? Nachvollziehbar, dass Filmemacher Cedric Schild fragt im Film fragt:

Der schreibt seit 2008 für die Bild. Wie viele Geschichten hat er in all diesen Jahren erfunden?

Bild-Chefin Marion Horn soll übrigens ebenfalls mit einem interessanten Verständnis von Journalismus auf die Fake-Nummer reagiert haben. Am Telefon soll sie gefragt haben, ob das Izzy-Team den Vorfall wirklich thematisieren müsse.

Als wäre dies nicht schon ein ausreichend großer Widerspruch zur stets von der Chefredakteurin propagierten Transparenz, verzichtet sie auch auf weitere Aufklärung. Wie kam es zur Casino-Katastrophe? In Redaktionskreisen kursiert folgende Erklärung:

Der Blick-Artikel soll nicht im Original vorgelegen haben, weil er hinter einer Paywall lag. Und habe man eines der gängigen Large-Language-Modelle gefragt, was im Artikel steht. Das Large-Language-Modell tat, was so ein Large-Language-Modell eben tut: Es fantasierte sich ein bisschen etwas zusammen. Beteiligt gewesen sein soll nicht nur der Autor, sondern auch ein weiterer Kollege. Beide sollen freigestellt worden sein. Damit konfrontiert kommt von Bild – wie sooft – nichts. Eine Anfrage von Medieninsider ließ Pressesprecher Christian Senft zum wiederholten Male gänzlich unbeantwortet.

Der Fall führt zu zwei Erkenntnissen:

Erstens: Die Redakteure scheinen KI genau so verwendet zu haben, wie es auf gar keinen Fall sein sollte. Gleichwohl gelingt es Axel Springer und Bild nicht, ihre „AI first“-Strategie sinnvoll zu vermitteln. Womöglich sollte sich die Chefredaktion eher darauf konzentrieren, anstatt Drohungen für Rechtschreibfehler auszusprechen.

Zweitens: Das „A“ in Bild steht für Aufrichtigkeit. Ein solcher Vorfall unmittelbar nach dem Gau rund um Judy S. zeigt, dass nicht die richtigen Lehren gezogen worden sind – womöglich, weil es keine umfassende und ernsthafte Aufarbeitung gegeben hat. Nur so lassen sich Maßnahmen ableiten, um die Qualitätskontrolle wirklich zu verbessern.

P.S.: Die Casino-Causa ist nicht nur für Bild eine Peinlichkeit. Auch beim Stern pflegt man das Handwerk des hemmungslosen „Aggregierens“ und „Kuratierens“, wie es die „Profis“ gerne nennen. Dort blieb die Variante des Bild-Fakes auch nach dortiger Richtigstellung noch eine Weile online, wie unter anderem persoenlich.com dokumentierte. Einen Transparenzhinweis oder eine Richtigstellung sucht man vergebens.

Viele Grüße sendet dir
Marvin

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