
Früher war mehr Schnitzel, das weiß, wer dieser Tage das deutsche Feuilleton durchblättert. Lametta war früher wohl auch mehr, denn die großen Partys der Frankfurter Buchmesse fielen in diesem Jahr weitestgehend aus, doch es scheint vor allem das Schnitzel, traditionell aufgetischt beim Empfang der österreichischen Verlage, das 2025 schmerzlich vermisst wurde.
So ganz wird man dabei das Gefühl nicht los, es ist weniger die ersatzweise gereichte Kartoffelsuppe, die die Gemüter erregte, sondern die Vegetarisierung ganz allgemein, zumindest vermeldete man in der Welt genüsslich, dem Kritikerbauch habe man stattdessen ein Backhendl einverleibt.
Wahrscheinlich hat die Sorge über die karge Bewirtung jedoch einen ernsten Kern: Verliert die Kritik an Bedeutung? Der Programmleiterin des Claassen Verlags, Miryam Schellbach, zufolge spiele die Literaturkritik finanziell zumindest keine Rolle mehr.
Man erachte sie jedoch weiterhin als wichtig, sagt Schellbach bei einer Diskussionsrunde auf der Messe, weil sie „Gespräche über Literatur“ vitalisiere. Das Panel streift die Reizthemen der letzten Jahre, Midcult, Booktok, Romance, um schließlich bei Caroline Wahl zu landen.
Mega geil, bekannt zu sein
Die Bestseller-Autorin taucht denn auch regelmäßig auf auf der Messe. Am Stand der Zeit spricht sie mit Volker Weidermann über die Kritik gegen sie und ihre Bücher, über einen Shitstorm, den keiner von beiden rekonstruieren kann. Irgendeinen „blöden Artikel“ habe es wohl gegeben, meint Wahl, aber es ist eigentlich auch egal. Jetzt sei sie eben noch bekannter, sagt sie, dass das Buch polarisiere, findet sie „mega geil“.
Man ist sich nicht ganz sicher, welches Spiel Volker Weidermann spielt, ob er sich insgeheim über Wahl lustig macht. Er lobt ihre schönen Sätze, insbesondere die Stelle, wo jemand in Wahls neuem Roman der „Assistentin“ sagt, sie habe ein schönes Gesicht, und diese ernsthaft entgegnet: „Ich glaube, das ist das Romantischste, was je einer zu mir gesagt hat.“ Ganz geheuer scheint Weidermann die Situation jedenfalls nicht, das Gespräch endet nach weniger als 30 Minuten.
Den meisten Zuschauer:innen mit gezückter Handykamera war es wohl ohnehin gleich, worüber gesprochen würde. „Ich will sie nur mal sehen“, sagt eine Jugendliche und bedauert, dass sie und ihre Freundinnen Nelio Biedermann verpasst haben. Biedermann hat mit „Lázár“ das Lieblingsbuch der Buchhändler:innen geschrieben, das sich offenbar phänomenal verkauft. Dass er erst 22 ist und zudem einen aristokratischen Hintergrund hat, das spielt dabei gewiss bloß eine untergeordnete Rolle.
Bücher aus dem Puppenhaus
Bücher, die sich gut verkaufen, davon gibt es einige auf der Buchmesse. Die Hallen der New-Adult-Verlage sind im wahrsten Wortsinne atemberaubend voll; überall Schlangen an jungen Frauen. Die Dark-Romance-Autorin D. C. Odesza gibt Autogramme im Akkord. Fans haben ihren Namen schon auf einem kleinen Post-it notiert, sodass die Bestseller-Autorin bloß abschreiben muss. Gerade ist Martina an der Reihe, die sich sieben Aufkleber mit Widmung für ihre Heimbibliothek wünscht. Schnell noch ein Foto; das war’s.
Alles bekannt und im letzten Jahr genauso beobachtet, über die Infantilisierung des Ganzen erschrickt man aber dann doch aufs Neue. War der Stand des Bastei-Lübbe-Imprints Lyx 2024 auch schon einem pinkfarbenen Puppenhaus nachempfunden?
Und die Männer? Gibt es das in Frankfurt, so richtig männliche Literatur? Die rechten Verlage reisen eigentlich nicht mehr an, doch mitunter stößt man, neben Angehörigen christlicher Sekten, die Vorbeilaufenden Broschüren aufnötigen, auch auf echte Rechte im Burschenschaftler-Dress. Feixende Männer stehen am Stand des Wiener Castrum Verlags und unterhalten sich über „konservative Ästhetik“. „Castrum ist rein“, ist dort zu lesen. Der Verlag hat unter anderem den Incel-Flüsterer Sebastian Schwaerzel im Programm.
Kampagne gegen den Verlagspreis
Überhaupt waren die Rechten Thema auf dieser Buchmesse. Nachdem das rechte Portal Nius eine Kampagne gegen den deutschen Verlagspreis losgetreten hatte, von hohen Summen an Steuergeldern, die in die Hände von Linksextremist:innen fielen, halluzinierte, griffen auch andere rechte Medien das Thema auf. Ausgezeichnet wurden mit dem Unrast und dem März Verlag trotzdem zwei der Geschmähten.
Ein Klima setzt sich aus mehreren Wetterlagen zusammen. Dass bei Kritikerempfängen liberalkonservative Professoren in Erinnerungen an Karl May und die Fußball-WM 1954 (!) schwelgen (Hans Ulrich Gumbrecht), bei Verlagsabendessen missverstandene Kulturkritiker atemlose Reden über die Auflösung von rechts und links als politische Kategorien schwingen dürfen (Simon Strauss), ja, all das deutet darauf hin, dass sich die Winde gedreht haben.
Krise also, wieder mal und weiterhin? Dass der zu Recht mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnete Roman von Dorothee Elmiger, „Die Holländerinnen“, wochenlang aufgrund von Engpässen bei den Druckereien nicht lieferbar war, mutet aberwitzig an, in Zeiten, in denen der Umsatz in der Buchbranche eher schrumpft denn wächst, so man die Zahlen inflationsbereinigt betrachtet.
Aber nun zum Ausland. Es herrscht gähnende Leere auf den Fluren der internationalen Verlage. Die Ölstaaten protzen mit Ständen in Duty-Free-Shop-Optik, bei den Amerikanern ist nicht viel los. Besonders belebt ist es auch im luftigen Pavillon des Gastlandes Philippinen nicht, doch als die Journalistin Maria Ressa auf der großen Bühne im Forum spricht, sind deutlich mehr Zuschauer:innen als Sitzplätze da.
Ressa, die aufgrund ihrer Berichterstattung über den „war on drugs“ ins Visier von Ex-Präsident Duterte geriet, scheint auch über den neuen Staatsführer und Diktatorensohn Ferdinand Marcos Jr. nicht glücklich. „Wir sind von der Hölle ins Fegefeuer gekommen“, sagt sie. Der Inselstaat im Pazifik sei Testlabor gewesen, wie man mit Desinformationen eine Wahl übers Internet gewinnt.
Nirgendwo auf der Welt verbrächten die Menschen so viel Zeit auf Social Media wie auf den Philippinen. Die Friedensnobelpreisträgerin kritisiert den Suchtfaktor von Smartphone-Apps, die konstante Dopamin-Ausschüttung scharf. „Wir sind zur Ware geworden“, so Ressa.
Wellengang des Betriebs
Über die Kommodifizierung von Mensch und Welt lässt sich auch anders sprechen. Lyrisch zum Beispiel, wie es die Autorin Natascha Gangl tut, in einem Text, der die Leistungssprache „aushöhlt“, wie sie sagt. Gangls Bücher erscheinen bei dem österreichischen Ritter Verlag, einem kleinen, experimentellen Haus, und man freut sich dann doch über den Wellengang des literarischen Betriebs, der manchmal unerwarteterweise Gewächse wie Gangl an die Oberfläche spült.
Dass sie den Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb in diesem Jahr für sich entscheiden konnte, ist zu verdanken, dass die Schriftstellerin nun live bei 3sat vom Arbeit geben, nehmen und wegnehmen sprechen darf, in einer Sprache, die man im Fernsehen eigentlich weder spricht noch versteht. Bei welchen Einschaltquoten allerdings, das steht auf einem anderen Blatt.