

Maria ist in der Alten Wacht noch nicht angekommen. Das Zollhaus am einzigen Eingang ins enge Großarltal gleich unterhalb des Alpenhauptkammes sorgte früher dafür, dass kein Kupfererz des Salzburger Erzbischofs illegal hinausgeschafft wurde und dass keine Reisenden Seuchen hineinbrachten. In einem hölzernen Schaukasten am Großarler Krippenweg haben Mitglieder des Krippenbauvereins das historische Panorama mit dem halsbrecherischen Pfad durchs Gebirge naturgetreu nachgebildet. Im Stall der alten Wacht steht am dritten Adventswochenende aber noch keine Krippe. Nur ein Engel ist mit einem Besen zugange.
Der Krippenbauverein Großarl hat seine Heimat ebenfalls in einem Stall gefunden, in dem der alte Pfarrer bis in die 1990er-Jahre neben der katholischen Pfarrkirche noch seine Arbeitspferde stehen hatte. Hier zeigen Hans Ganitzer und seine Kollegen, was sie im zurückliegenden Herbst geleistet haben. Ob alpine Landschaft oder lieber nahöstlich-exotisch: „Jede Familie im Tal soll eine Krippe bekommen“, berichtet Ganitzer von der Mission, mit der der Verein 2002 gegründet wurde. 15 bis 20 Mitbürgern helfen die Mitglieder jedes Jahr. „Wer Krippenbau lernen möchte, muss zwei bis drei Jahre auf einen Platz warten“, sagt Ganitzer. Dabei unterstützen die alten Hasen auch originelle Ideen wie eine Krippe im alten Speckfass oder einem ausgehöhlten Röhrenfernseher.
Wer so lange nicht warten möchte, kann unten im Dorf bei Barbara Kopriva eine Krippe kaufen. Ab Anfang September wandert die Großarlerin in die Bergwälder der Umgebung, sucht nach Wurzeln oder Schwammholz, säubert ihre Funde sorgfältig, beklebt sie mit Moos, Zapfen oder Steinen und hängt einen Kometenstern auf. 60 Krippen schaffe sie im Jahr, überschlägt die Krippenbauerin. Kopriva ist ein typisches Beispiel für die Händler beim Salzburger Bergadvent in Großarl. Fast alle stammen aus dem Dorf und verkaufen Selbstgemachtes. Da gibt es Kletzenbrot mit Rosinen, gedörrten Birnen (Kletzen), Sauerkirschen und einem ordentlichen Schuss Obstler von der Bäckerei Unterkofler. Nebenan wird Hollerschnaps ausgeschenkt, oder Marille im Glas oder Vogelbeere. Und in der alten Metzgerei hat Margaretha Huttegger ihre Sammlung von Strickpuppen und -tieren in der Theke drapiert. „Strickpullover braucht keiner mehr“, sagt die Mathe-Lehrerin. So hat sie mit ihren Stricknadeln ein ganzes Klassenzimmer bevölkert, in Miniatur versteht sich.
Seit 19 Jahren gibt es den Bergadvent. Kurz zuvor waren Tourismus-Chef Thomas Wirnsperger und seine Kollegen mit der Idee für ein großes Konzert-Event am Widerstand der Bevölkerung gescheitert. Die Großarler wollten sich ihre Beschaulichkeit im Dezember nicht nehmen lassen. Der Bergadvent war die Antwort darauf. Hier gibt es viel Zeit zum Erzählen für die Großen und ein Zelt für die Märchenerzählerin, ein Engel-Postamt für Wunschzettel und Keksebacken für die Kleinen. Und die jungen Zicklein aus dem Streichelzoo stehen abends beim Hirtenspiel auf der Bühne. „Erst in einigen Jahren werden sie dann zur Krampusmaske“, verrät Wirnsperger.
Auch im katholischen Pongau haben sich nämlich bis heute bäuerlich-heidnische Wintertraditionen gehalten. Der Krampus, ein vielfach gehörntes Wesen mit schiefen Zähnen, ist im östlichen Alpenraum der Widersacher vom Nikolaus, der dessen Sack aufschlitzt und die frechen Kinder zurechtweist.
Rupert Kreuzer hat schon als Schüler seine erste Krampusmaske geschnitzt, gewinnbringend verkauft und sich eine neue gebastelt. Darüber wurde er Bildhauer. Vorne in seiner „Astei“ steht allerlei Geschnitztes zum Verkauf. Aber im Grunde interessiert das Kunsthandwerk Kreuzer nicht mehr. Aus dem Handwerker ist ein Künstler geworden, dessen Skulpturen heute in internationalen Sammlungen stehen. Männliche Oberkörper wachsen aus zersplitternden Altholzstämmen hervor. Manche sind schmerzverzerrt, andere tragen noch kleine Hörner wie der Krampus. „Ich erfinde keine Traditionen“, sagt Kreuzer. Aber er hat dem früher groben Krampus menschliche Züge gegeben – und ebenso auch den Masken der Perchten, einer ganzen Gruppe von bäuerlichen Glücksbringen, die in den Rauhnächten um Weihnachten die Höfe aufsuchen. Seit fünf Jahren tun sie das auch wieder in Großarl immer in der Thomasnacht am 21. Dezember. Dann schlagen sie mit ihren Ruten für Fruchtbarkeit und erschrecken die kleinen Kinder. Zehn der 100 aktiven Höfe im Tal statten sie so jedes Jahr einen Besuch ab, damit das Tal der Almen seinen bäuerlichen Charakter behält.
Wer den im Winter erleben möchte, steigt am besten in eine Pferdekutsche und lässt sich von den gutmütigen Pinzgauer Pferden vom Weiler Hüttschlag zum Talabschluss kutschieren. Raureif hängt an den Ästen und der Atem der Tiere dampft in der Winterluft. Der letzte Hof konnte nicht saniert werden, weil der Lawinenschutz das untersagt, erzählt der Kutscher. Dabei stehe das Haus seit 400 Jahren. Nur eine Kapelle war erlaubt. In der hat der letzte Besitzer inzwischen seine Ruhe gefunden.
Elisabeth Eder-Marböck hat ihr Glück unten im Tal der Salzach gesucht. Mit ihrer Sopran-Stimme ist die Großarlerin seit Jahren als singender Engel die zentrale Lichtgestalt beim traditionellen Adventssingen im Salzburger Festspielhaus. Die Aufführung ist eine Mischung aus vielstimmigem Chorkonzert und alpenländischem Krippenspiel und kommt 2026 im 80. Jahr zur Aufführung. Sie ist ein bewusster Kontrapunkt zum Trubel auf dem Christkindlmarkt vor dem barocken Dom, der mit Zupfbrot, Buchteln, Schnitzelsemmeln und heißem Apfelmost jedes Jahr Hunderttausende aus aller Welt in die Stadt lockt. Seit einigen Jahren hat Salzburg sogar ein Weihnachtsmuseum, das die Entstehung vieler Festtagstraditionen ab 1840 dokumentiert. Geschäftigkeit liegt in der Luft.
„In der Stadt haben sie die Uhr“, sagen die Hirtenkinder beim Adventssingen, „wir haben die Zeit“. Die kann man sich aber auch in Salzburg nehmen, etwa am Ende der Getreidegasse kurz vor der Felswand des Mönchsberges. Auf der engen Gasse treffen sich die Salzburger seit 1903 immer im Dezember auf einen Punsch beim Sporer. Das Rezept ist ein streng gehütetes Geheimnis.
Diese Recherche wurde von der TSG Salzburg und vom Tourismusverband Großarltal unterstützt.
