Bayern Münchens Basketballer und die Angst vor dem Chaos

Es führt fast immer in die Irre, wenn man auf eine Basketball-Frage eine Fußball-Antwort gibt. Doch in diesem Fall versteht man dadurch vor dem ersten von 38 Spieltagen der Euroleague ganz gut, wie der FC Bayern München in dieser Saison mit den besten Mannschaften des europäischen Basketballs mithalten will. Oder wie man mittlerweile sagen muss: wie er mithalten wollte. Denn der Weg zum Ziel, einem Play-off-Platz, der sehr schwer gewesen wäre, ist seit der Europameisterschaft plötzlich sehr, sehr schwer geworden.

An diesem Dienstag (20.15 Uhr, Magentasport) spielt der FC Bayern in Athen gegen Panathinaikos, gegen einen Klub, der dank den Millionen des Multimillionärs Dimitrios Giannakopoulos vermutlich wieder doppelt so viel Geld für seine Spieler und Trainer ausgeben kann und wird. Wie wollte der deutsche Meister da mithalten? Die Fußball-Antwort auf diese Basketball-Frage: mit dem Toni-Kroos-Effekt.

Als der Nationaltrainer Julian Nagelsmann vor der Fußball-EM 2024 eine Lösung für die Probleme der deutschen Nationalmannschaft gesucht hat, hat er Toni Kroos gefunden. Nach der EM war es dann Konsens, dass die Nationalmannschaft erst durch Kroos’ Comeback so gut geworden war, dass sie im Viertelfinale den späteren Champion Spanien mehr herausgefordert hat als jedes andere Team in dem Turnier.

Der Jokubaitis-Effekt

Das lag in erster Linie aber nicht an Kroos’ Können als Individualist, sondern an dem, was sich daraus für die anderen Individualisten abgeleitet hat. Für Joshua Kimmich, für İlkay Gündoğan, für fast alle anderen, die dadurch auf einmal ein ganz klein bisschen weniger machen mussten. Toni Kroos war das Teil, durch dessen Hinzugabe sich die anderen Teilchen geordnet haben.

Kopf oben: Rakos Jokubaitis (rechts) hat ein Auge für seine Mitspieler.
Kopf oben: Rakos Jokubaitis (rechts) hat ein Auge für seine Mitspieler.EPA

Das, was Kroos damals für seine Fußballmannschaft war, sollte Rokas Jokubaitis jetzt für die Basketballmannschaft des FC Bayern München sein. Als der Sport-Geschäftsführer der Bayern, Dragan Tarlac, vor der Basketball-EM einen Spieler gesucht hat, mit dem aus Chaos Ordnung werden kann, hat er Jokubaitis, 24 Jahre alt, gefunden. Der Litauer ist nicht der beste Spielmacher der Euroleague, aber der beste, den die Bayern seit Langem hatten. Und wer ihn dann in den ersten vier Gruppenspielen der EM gesehen hat, konnte sich wirklich vorstellen, wie sich das Spiel der Bayern mit ihm verändern würde.

Mit ihm hätten sich die neuen Guards Kamar Baldwin und Xavier Ra­than-Mayes auf das konzentrieren können, was sie am besten können: den Ball in den Korb zu bringen. Mit ihm hätte An­dreas Obst wegen der unvorhersehbaren Pässe beim Werfen an der Dreipunktelinie etwas mehr Platz und Zeit gehabt. Und mit ihm wäre auch der 36 Jahre alte Vladimir Lučić im Angriff weiter entlastet worden. Doch dann hat Jokubaitis im fünften Gruppenspiel der EM eine Knieverletzung erlitten, so schwer, dass er mindestens sechs Monate ausfallen wird. Und da, wo mit ihm Ordnung entstehen sollte, könnte ohne ihn auf einmal wieder Chaos sein.

Wie viel mehr können die Spieler beitragen?

Kamar Baldwin und Xavier Rathan-Mayes werden sich etwas weniger auf das Ball-in-den-Korb-Bringen und etwas mehr aufs Passen konzentrieren müssen. Andreas Obst wird, weil die Pässe wohl etwas vorhersehbarer werden, beim Werfen etwas weniger Platz und Zeit haben. Und der 36 Jahre alte Vladimir Lučić wird im Angriff doch etwas weniger entlastet werden.

Am Beispiel von Justus Hollatz, einem von fünf deutschen Europameistern im Kader der Bayern, wird man den Effekt mutmaßlich besonders sehen können. Er kann mit der Energie, die er einer Mannschaft gibt, auch in der Euroleague eine Rolle spielen, aber sein Einfluss ist dort dann am größten, wenn seine Rolle nicht zu groß wird. Und auch wenn die Bayern nach der Verletzung von Jokubaitis noch den spielschlauen, aber nicht so schnellen serbischen Spielmacher Stefan Jovic verpflichtet haben, scheint es momentan so, dass die meisten Spieler etwas mehr werden beitragen müssen, als sie auf Euroleague-Niveau beitragen sollten.

sampics

Wie wollen die Bayern ohne den Jokubaitis-Effekt mithalten? Sie müssen auf den Herbert-Effekt hoffen.

In seiner ersten Saison in München hat der Trainer Gordon Herbert gezeigt, dass er in wenigen Wochen aus Spielern eine Mannschaft formen kann. Am Ende fehlte seinem Team für die Teilnahme an den Play-offs ein einziger Sieg. Doch das funktionierte damals auch deswegen so gut, weil er seine Mannschaft um den schnellen Carsen Edwards formen konnte, der 20,4 Punkte pro Spiel gemacht hat, mehr als jeder andere Euroleague-Spieler.

Im Basketball wollen die Besten nicht für die Bayern spielen

In der neuen Saison wird Edwards aber für Virtus Bologna spielen, das Team, das in der vergangenen Saison Tabellenvorletzter wurde. Und spätestens an dieser Stelle kann man sich aus Sicht des FC Bayern München den Basketball-Fragen nicht mehr mit Fußball-Antwort annähern: weil die Allerbesten wegen des Geldes, das bei anderen Klubs verdient werden kann, für die Bayern nicht infrage kommen.

Das ändert aber nichts daran, dass die Führungsfiguren des FC Bayern immer wollen, dass ihr Klub zu den Besten zählt. Und weil der Präsident Herbert Hainer in der vergangenen Woche bei einer Pressekonferenz einen Play-off-Platz als Ziel ausgegeben hat, suchen der Sport-Geschäftsführer Dragan Tarlac und sein Team nach neuen Wegen. Und damit nach neuen Spielern.

Tarlac hat bei der erwähnten Pressekonferenz gesagt, dass er in den nächsten Wochen vor allem nach Nordamerika schauen werde. Dort müssen sich die Klubs der NBA, der besten Basketballliga der Welt, spätestens bis zum 20. Oktober auf ihre finalen Kader festlegen. Und manche der Spieler, die es nicht in die NBA schaffen, kommen danach wieder nach Europa.

Am 20. Oktober wird der FC Bayern schon fünf Euroleague-Spiele hinter sich haben. In diesen fünf Spielen kann er zwar keinen Play-off-Platz erreichen. Doch er könnte sich im schlimmsten Fall in eine Situation bringen, in der der Weg zum Ziel nicht nur sehr, sehr schwer, sondern fast unmöglich wird.