Bayer Leverkusen gegen Köln: Sogar die Verlierer schwärmen von Terrier – Sport

Alle sprachen später über Martin Terrier und sein Tor zum 1:0 für Bayer Leverkusen. War es, wie er selbst aus dem Fußballfranzösischen übersetzte, ein „Skorpion“? Die Abwandlung eines René Higuita, der, wenn er gute Laune hatte, seinen Torwartjob erfüllte, indem er nach vorn sprang und den Ball hinterrücks mit den Hacken wegkickte? Oder war es nicht eher die gekonnte Nachahmung des einbeinigen Eseltritts? Oder doch bloß ein Glückstreffer? Letzteres würden nur Menschen behaupten, die meinen, ein Rolls Royce Silver Cloud III oder ein Lancia Fulvia Coupé seien doch auch nur Autos. Blechbüchsen, die der Fortbewegung dienten.

Die Kölner Spieler erwiesen Kennerschaft und bekannten sich zur Faszination an der Schönheit. Eric Martel verlieh später das Prädikat „Weltklasse“, der Verteidiger Sebastian Sebulonsen konnte schon an Ort und Stelle ein anerkennendes Lächeln über den Streich des Gegners nicht unterdrücken. Selbst wenn dieses 0:1 bedeutete, dass der 1. FC Köln bei Bayer Leverkusen auf einen Weg geraten war, von dem es nach Lage der Spielentwicklung wahrscheinlich keine Umkehr mehr geben würde: auf die sogenannte Verliererstraße nämlich. Und so war es ja auch: Leverkusen gewann das rheinische Derby mit 2:0, „ich glaube hochverdient“, wie nicht nur Robert Andrich meinte. Martin Terrier hatte mit seinem Zaubertor den entscheidenden Anstoß gegeben.

Der 28 Jahre alte Angreifer hatte bisher noch gar nicht richtig zeigen können, welcher Artist in ihm steckt. Im Sommer 2024 aus Rennes ins Rheinland gewechselt, hatte er sich im Winter einen Achillessehnenriss zugezogen. Neun Monate vergingen bis zum Comeback, seitdem musste er sich mit Kurzeinsätzen begnügen. Auch am Samstagabend kam er als Einwechselspieler aufs Feld, nach der zweiten Ballberührung und kaum vier Minuten später lief er Gefahr, von seinen Mitspielern erdrückt zu werden. So viele Leute warfen sich auf ihn, dass sich in das Menschenknäuel möglicherweise auch Ordner und andere Passanten mischten.

Das Tor brachte doppelt Erlösung: Für Bayer 04, das seit dem Beginn der zweiten Hälfte eine Dauerbelagerung des Kölner Strafraums inszeniert hatte, aber partout nicht zum Führungstor gelangte. Und für Terrier, der seine aktuelle Situation in Leverkusen nicht als befriedigend empfindet. In der Reserve zu stehen, das kenne er gar nicht, sagte er am Samstagabend. In Frankreich war er ein etablierter Ligue-1-Spieler, bevor er für 20 Millionen Euro Ablöse nach Leverkusen wechselte. „Martin pusht, und ja: Er könnte mehr spielen“, räumte Bayer-Trainer Kasper Hjulmand ein.

Doch erst mal galt es, den „magic Moment“ zu feiern, wie Hjulmand es formulierte. Dieses Tor sei sicherlich das schönste seiner Karriere, meinte Terrier, als er den Ursprung der Geschichte erklärte: „Es ist Stürmer-Instinkt. In dem Moment habe ich gar nicht nachgedacht. Ich glaube, ich war zu schnell und stand zu weit vorn, die Flanke kam etwas in meinen Rücken. Dann habe ich es einfach probiert. Ich wollte den Ball so nehmen.“ Am Rand der Szenerie verfolgte Andrich, erneut als Abwehrchef besetzt, den Vorgang: „Reingezittert“ habe er als Zuschauer Terriers Ball, der sich, so konnte einem das wirklich vorkommen, wie verlangsamt über Torwart Marvin Schwäbe in die lange Ecke senkte. Anschließend war Staunen angesagt, nicht nur bei Andrich: „Ich stand auf dem Feld und hab’ mich gefragt: Hat er den wirklich so reingemacht?“

Die organisierte Kölner Fanszene verlässt aus Protest das Stadion, die Leverkusener Ultras schließen sich später an

Dass der Kölner Trainer Lukas Kwasniok im Gespräch mit dem ZDF-Reporter freundlich, aber ausdrücklich einen schwärmerischen Kommentar zum Gegentor verweigerte, hatte nichts damit zu tun, dass er die Schönheit des 0:1 nicht anerkannte. Er hatte bloß einfach schlechte Laune, weil erstens sein Plan nicht funktioniert hatte, mit eigener Offensive dagegenzuhalten. Und weil ihm zweitens auch die Tendenz im Auftritt seiner Elf nicht gefallen konnte. Selten hatte der 1. FC Köln in dieser Saison so sehr wie ein Außenseiter ausgesehen wie am Samstagabend: Es gebe „gar nicht viel zu erzählen“, kommentierte Kwasniok frustriert, jederzeit habe er den Unterschied zwischen Champions-League-Aspirant und Aufsteiger gesehen, auch beim Pausenstand von 0:0 blieb er pessimistisch. „Heute haben wir keine Chance“, ging es ihm durch den Kopf, wie er später offenbarte: „Dafür waren Geist und Beine nicht gut genug.“

Diskutiert wurde am Rande, ob vielleicht der Abmarsch und das Fehlen der Kölner Ultras das FC-Team geschwächt haben könnte. 500 bis 600 Fans, weite Teile der sogenannten aktiven Szene, hatten den Schauplatz Leverkusen verlassen, weil einer der Wortführer von der Polizei so gründlich durchsucht worden war, dass es als übergriffig empfunden wurde. In einem separaten Raum für Polizei-Angelegenheiten hatte sich der Betroffene weitgehend entkleiden müssen. Dabei kam zwar kein Bengalo zum Vorschein, aber eine „passive Bewaffnung“, wie die Polizei mitteilte. Genauer: ein Mundschutz als Vorkehrung für eine eventuelle Prügelei. Gefunden hatte man diesen in der Unterhose des Betroffenen. Auf Kommando ihrer obersten Vertreter verließ der organisierte Szene-Pulk daraufhin protesthalber das Stadiongelände. Die Leverkusener Ultras schlossen sich später solidarisch an, nachdem sie zu Beginn des Spiels ihr reichhaltiges Pyro-Arsenal abgebrannt hatten.

Kwasniok ist aber kein Freund von Ausreden, auch diesmal zog er es vor, ehrlich zu bleiben: „Schade, dass die Fans nicht da waren“, sagte er, „aber der Hamburger SV hatte heute 15 000 Fans in Hoffenheim – und hat trotzdem 1:4 verloren.“