
Die äußeren Pole des mitteldeutschen Bach-Universums sind nur 150 Luftlinien-Kilometer voneinander entfernt: Eisenach, die Geburtsstadt, mit seinem Bachhaus als lebendigem Gedenkort; und Leipzig, Johann Sebastian Bachs längste Wirkungs- und schließlich Sterbestätte, das mit Bach-Archiv, -Museum und -Festen seit 75 Jahren zentral für Erforschung wie Pflege seines Werkes und Umfeldes geworden ist. Sie üben offenbar ihre Anziehungskraft auch auf Privatsammler und -forscher aus, die die Früchte ihrer Bemühungen nun dorthin delegieren, wo sie optimal betreut und ins Zukünftige hinein geöffnet werden: Beide Bach-Städte vermeldeten jüngst die Zueignung bedeutender Schenkungen, die nunmehr in repräsentativen Teilen auch für Besucher zugänglich gemacht worden sind.
Die Leipziger Zuwächse bestehen aus 130 Autographen, Briefen und einigen Erstdrucken vorrangig der vier komponierenden Söhne Johann Sebastians – darunter allein 45 Briefe Carl Philipp Emanuels, bei denen ansonsten schon der Erwerb eines einzelnen als rarer Treffer gilt. Als sie der amerikanische Musikforscher Elias N. Kulukundis (im Hauptberuf Reeder) seit den Fünfzigerjahren zu sammeln begann, waren solche Stücke auf dem Markt noch erschwinglich; inzwischen verkörpern sie Millionenwerte. Archivdirektor Peter Wollny kann bei dieser größten Schenkung seit Bestehen der Einrichtung aber nicht nur deshalb von einem einmaligen Glücksfall sprechen, sondern auch, „weil die neuen Objekte perfekt zu unserem bisherigen Sammlungsaufbau passen“. Das auszutesten, gab es übrigens schon länger Gelegenheit: Die Stücke waren bereits seit fünfzehn Jahren wissenschaftlicher Forschung zugänglich, unter dem Dach der Einrichtung – bisher aber als Leihgaben, deren weiterer Verbleib stets an den dünnen Fäden bürokratischer Bestimmungen hing. „Wir haben“, so Wollny, „alle empfunden, dass sich unser Schenker in Leipzig sehr wohlfühlte, und schon lange gab es Andeutungen, dass er hier vielleicht auch seiner großartigen Sammlung, mit der er sich selbst intensiv wissenschaftlich auseinandergesetzt hat, eine endgültige Heimat geben könnte. Und trotzdem war es eine enorm freudige Überraschung, als dann vor einem knappen Jahr die entscheidende Mail – nicht mehr als vier oder fünf Zeilen – kam.“ Von ihr profitieren nun auch die Besucher des Leipziger Bach-Museums: Der Schenkungsakt hat es erleichtert, den Vorhang über dem bisher nur der Expertenwelt zugänglichen Konvolut zu lüften.

Auch im anderen Bachhaus, in Eisenach, trifft man dessen Direktor Jörg Hansen im Zustand glückselig entspannter Erschöpfung. Allein die optische Pracht der Neuzugänge, präsentiert in einem dafür neu zugänglich gemachten Raum des Museums, hat jede Mühe gelohnt: In drei großen, königsblau ausgeschlagenen Wandvitrinen haben hier historische Musikinstrumente Platz gefunden – ein knappes Drittel jener Schenkung, die der Sammler Günter Hett aus Bergisch Gladbach dem Haus übereignet hat, vorrangig Blechblasinstrumente aller Formate, die sich hier zu einer Art rauschhaftem Klassentreffen finden. Geht es in Leipzig um die Faszination authentischer Personalzeugnisse, so überwältigt hier die fast brachiale Materialität der leibhaftigen Klangwerkzeuge, ohne die jedes noch so wertvolle Notenblatt verloren wäre: zwei Seiten der gleichen wunderbaren Sache – im Thüringischen verkörpert durch eine gleichsam stumm lärmende Parade, wo walfischhafte, kaum handhabbar scheinende Rieseninstrumente wie ein Sousaphon neben Neckereien wie Glasposaune oder einem „Double Bell“-Euphonium mit zwei alternierend einsetzbaren Schalltrichtern aufziehen und dabei einen nahezu geschlossenen Überblick über die vielen Stränge der Blechbläser-Entwicklung, konzentriert im 19. Jahrhundert, ermöglichen.

Die Beziehung zum Namenspatron des Hauses scheint zunächst eher lose, doch war es ja gerade das Jahrhundert nach Bach, in dem seine Musik ihre Breitenwirkung entfaltete, wobei Fragen der angemessenen und notfalls auch „passend gemachten“ Instrumentation immer eine Rolle spielten. Zudem aber umfasst die Sammlung Hett auch etliche tatsächlich bachzeitliche Instrumente, die nun nicht im neuen Saal, sondern direkt in der Dauerausstellung des Hauses zu sehen sind: voran jene prachtvolle, um 1720 in Nürnberg gebaute Silbertrompete, über deren (damals noch kommerziellen) Erwerb vor Jahresfrist die so fruchtbringende Verbindung zwischen dem rheinländischen Sammler und dem Eisenacher Haus zustande kam.

Der Schenker war zur öffentlichen Freigabe auch selbst vor Ort, fähig und bereit zu detaillierten Auskünften über jedes einzelne Stück; lange als Ingenieur und Amateur-Blechbläser zugange, ehe er sich ganz den Instrumenten, deren Sammlung, Restauration und Nachbau widmete, verkörpert er in dieser Zweitprofession so etwas wie eine praxisnähere Variante des Nebenberufs-Musikologen, Editors und Leipziger Donators Kulukundis.
Schon die kleine Auswahl der Leipziger Schenkungsobjekte, die im Museum gegenüber der Thomaskirche zu sehen ist, zeigt, wie vielfältig nicht nur die musikalischen, sondern auch haushälterischen Beziehungen zwischen Johann Sebastian und seinen Söhnen waren: Sie agierten beispielsweise als Kopisten, Generalbassbezifferer oder Quittungsunterzeichner und legten später ihre Erinnerungen an das Familienoberhaupt in Briefen an dessen ersten Biographen Forkel nieder. Und so nüchtern-sachbezogen diese Dokumente auf den ersten Blick erscheinen, geben sie doch auch der Phantasie Raum: Wenn man beispielsweise die kräftig-feste, bis ins Alter energisch zusammengefasste Handschrift Carl Philipp Emanuels neben der um einiges flüssigeren und nervöseren seines zwei Jahrzehnte jüngeren Bruders Johann Christian sieht, meint man darin fast auch die unterschiedlichen künstlerischen Temperamente, Entwicklungen und Klangresultate wiederzufinden. Die Schenkung aus Connecticut öffnet nicht nur der strengen Wissenschaft, sondern auch der heiteren Spekulation weitere Möglichkeiten.