Ausstellung von Erik Schmidt: Ein durchschnittlicher Mann von Welt

Ein Mann will nach oben. Er schiebt sich an Häuserfassaden hoch, Wände und Gitter rauf. Klettert auf Bäume, Anhöhen und Zäune. Weit kommt er aber nicht, egal wo er anfängt, sein absurder Parcours führt nirgendwohin. An den generischen Neubauten, die er zum Großteil zu erklettern versucht, findet er keinen Halt.

Die Stadt ist Berlin, man erkennt sie an Plätzen, Straßen, der Architektur, Kunstwerken. Etwa an jenen merkwürdigen künstlichen Palmen, die vor dem Gebäude des Bundesnachrichtendienstes, wie es auf dessen Website heißt, „für Ferne und fremde Kulturen stehen“ sollen. Glatte, seelenlose Dinger, an denen der Künstler Erik Schmidt, von dem die Videoarbeit „The Bottom Line“ stammt, gar nicht erst Hand oder Fuß anlegt.

Fährt man mit dem Aufzug nach oben in den zweiten Stock des Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst in Neukölln, ist „The Bottom Line“ die erste Arbeit, auf die man in Schmidts Einzelausstellung blickt. Und bei der man gleich mitten drin steckt in Schmidts Kosmos.

Zwei Protagonisten an einem Ort

Vor allem auch stellt sie die beiden wichtigsten Protagonisten seines Werks und der Ausstellung vor, als da wären der Künstler selbst und Berlin. „The Rise and Fall of Erik Schmidt“ – so der Titel der Schau – führt gewissermaßen genauso Aufstieg und Fall der Stadt vor Augen, durch die Schmidt sich bewegt, als Mensch, als Flaneur, als Künstler, und die immer wieder Schauplatz seiner Arbeiten ist: Berlin. Er hat sich die Hauptstadt über die Jahrzehnte angeeignet.

Erik Schmidt – die Ausstellung

„The Rise and Fall of Erik Schmidt“: Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Berlin. Bis 1. Februar 2026

Geboren ist Erik Schmidt in der westdeutschen Provinz, in Herford, 1968. Erst studierte er in Hamburg an der HfbK (1992-1997), dann an der Universität der Künste Berlin (1998–2000). Malerei und Illustration waren das zunächst, und so verfolgt Schmidt in seiner künstlerischen Praxis zwei Pfade – warum auch nicht? Er ist ebenso Maler wie Videokünstler. Nähert sich von zwei Seiten seinen Themen und Motiven an.

Die Ausstellung im Kindl ist nicht chronologisch aufgebaut. Kurz vor dem Ende des Rundgangs geht es zurück zu den Anfängen, in die 1990er Jahre. Zu Pilli auf die Mönckebergstraße zum Beispiel, von der Schmidt in seinem ikonischen Video „I love my hair“ (1997) erzählt, davon, wie dieser zwischen den Models auf den Werbeplakaten die Selbstzweifel über die Ohren wachsen.

Am Haupthaar ergötzt

Er tut das, während er sich auf der Bildebene überdreht am Schwung des eigenen Haupthaars ergötzt. Oder zu der herrlich ironischen Videoarbeit „Einzelgruppe Berlin“ (1995), einem Gemeinschaftswerk von Schmidt mit Corinna Weidner, in dem sich aalglatte Fuzzis aus der Medien-Kunst-Blase in Plattitüden suhlen. Schöne junge Menschen mit auf Hochglanz poliertem Zahnpastalächeln verlieren sich in Posen, erzählen von Hypes und Trends und Projekten. Vielleicht macht es heute sogar noch mehr Spaß, sich das anzusehen als damals, in jener Zeit, als Berlin noch cool war.

Da schon, wie auch später, scheint Schmidt sich in seinen Videoarbeiten seinen Platz in der Welt zu suchen – oder auch einfach einen Parkplatz wie in „Parking“ (2000). Er tritt auf als Individuum und Stellvertreter, Versuchskaninchen für das Austesten von Grenzen und Freiheiten der Subjektivität.

Noch lieber seziert er dafür speziellere Gruppen, männlich geprägte Jagdgesellschaften etwa, wie er sie aus seiner ostwestfälischen Heimat kennt. Untersucht dort wie anderswo, was es heißt, ein Mann zu sein. Ein Mann von Welt – oder doch einfach nur Durchschnitt, wie er es in „Fine“ durchdekliniert, nach dem er sich das gute italienische Olivenöl über den Kopf gegossen und mit Meersalz den Anzug abgerieben hat.

Anonyme Anzüge

Ein Mann mit Funktion oder mit einem Auftrag, auch das, was man seit ein paar Jahren toxische Männlichkeit nennt. Männeranzüge oder Männer in Anzügen, noch so ein Erik-Schmidt-Topos. Gemalt und gezeichnet hat er die. Sich selbst darin inszeniert. Als gesichtsloser Geschäftsmann etwa, der in „Suitwatcher’s Anonymous“ einen gepolsterten Bürostuhl auspeitscht, bis die Daunen fliegen.

Äußerlichkeiten, Oberflächen und das, was sich darunter befindet, darum geht es oft auch in seiner Malerei. Übermalungen sind dort eine seiner Spezialitäten. Seine Ölgemälde gleichen Skulpturen, so pastos ist die Farbe aufgetragen. Als Untergrund dienen ihm oft großgezogene Fotografien oder Bilder aus Magazinen.

Mit dem Pinsel scheint er sich die Welt, seine Welt, Auszüge davon, urbane Landschaften, an die er wie eine Kamera ranzoomt, zu dechiffrieren. Ein guter Beobachter von Menschen ist er aber auch, von Menschen in diesem Stadtraum, in New York, wo er unter anderem die Occupy-Bewegung dokumentierte, in Tokio oder eben Berlin.

Die jüngste Auseinandersetzung Schmidts mit seiner Wahlheimat erfolgt dann aber doch wieder durch die Kamera. Die Videoarbeit „Rough Trade“ entstand für die Ausstellung. Wenn man will, kann man darin Figuren, Motive, Fragestellungen aus früheren Arbeiten wieder entdecken. Sie umkreisen sich, Schmidt umkreist sie, flaniert wieder durch die Stadt. Nur etwas älter ist er geworden.