Ausstellung einer vergessenen Künstlerin: Malerin im Zwiespalt

Kräftige Farbrücken drücken sich von den Leinwänden der deutsch-südafrikanischen Expressionistin Irma Stern (1894–1966) ab, lassen ihre Subjekte aus der Flachheit in den Raum drängen. Flecken ihres Signaturrots blitzen in mal mehr, mal weniger antagonistischen Augen des porträtlastigen Œuvres auf, welches das Brücke-Museum aktuell in der erst zweiten institutionellen Einzelausstellung der Künstlerin in Deutschland seit ihrer Ächtung durch den NS präsentiert. Die erste, in der Kunsthalle Bielefeld, liegt bald 30 Jahre zurück.

Irma Sterns charaktervolle Porträtmalerei Schwarzer und arabischer Personen bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen kolonialistischer Exotisierung und auffälliger Subjektsouveränität. So bietet das Werk der jüdischen, aber weißen Stern im Südafrika der Apartheid eine dankbare Übung im postkolonialen Denken an: die Verschränkung von Dimensionen der Unterdrückung und der Privilegierung.

Um die differenzierte Aufarbeitung ist die kleine Schau durchaus bemüht. Doch letztlich fehlt der Kuration der lange Atem. Denn ihre Historisierung von Sterns Werk bleibt schmerzhaft indirekt.

Zahlreiche politische Eckpunkte werden zwar gesetzt. Aber nur sehr vereinzelt spürt die Ausstellung den konkreten oder kulturpolitischen Folgen für Künstlerin und Werk nach.

„Irma Stern. Eine Künstlerin der Moderne zwischen Berlin und Kapstadt“: Brücke-Museum, Berlin. Bis 2. November

Erfolg dank Exotismus

Geboren in der Kleinstadt Schweizer-Reneke in einem burischen Siedlungsgebiet und künstlerisch ausgebildet in Berlin und Weimar, genießt Stern mit ihren Afrikadarstellungen im Anschluss an die europäische Avantgarde seit den 1920er Jahren große Erfolge in Europa. Dort bedient die vermeintliche Afrikaexpertin den Hunger nach Bildern des Außereuropäischen.

Infolge dieser Anerkennung avanciert sie zugleich auch innerhalb Südafrikas zu einer bedeutenden Vertreterin des europäischen Modernismus. Unerwähnt bleibt in der Ausstellung jedoch, dass die Apartheidregierung ab 1948 den Höhepunkt von Sterns Karriere hervorbringt.

Indem das Regime ihr Schaffen durch Reiseunterstützung und die Finanzierung internationaler Ausstellungen massiv fördert, instrumentalisiert es ihre Arbeit auch, um das Staatsprojekt als modern und auf eurozentrischen Werten basierend zu verteidigen. Währenddessen erschweren die Besuchsbeschränkungen Schwarzer Gemeinden der Künstlerin den Zugang zu ihren Sujets.

Warum die pochende Frage nach Sterns politischer Wegfindung, die von der geschichtssensiblen Rahmung der Ausstellung klar in den Raum gestellt wird, nicht anhand ihrer aussagekräftigen Schriften diskutiert wird, ist unverständlich.

Ihr aktives Nutznießen der Apartheid und der innere Konflikt, der in ihren teils widersprüchlichen Texten aufflammt, bleiben ebenso unterbelichtet wie die nur angedeuteten Anfeindungen im durchaus antisemitischen Südafrika.

Wertungen sind schwer nachvollziehbar

Ist eine dekoloniale Umschulung des hegemonialen Blicks Ziel der Aufarbeitung, so wünscht man sich nebst Quellenmaterial der damaligen Blickregime eine entschiedenere Einbettung in den malerischen Diskurs. Denn die Wandtexte benennen zwar reduktive Gesten, wie die Feminisierung arabischer Männer und die Typologisierung von Gesichtszügen in Anlehnung an westafrikanische Masken.

Für ein allgemeines Publikum, das koloniale Bildsprachen noch nicht dekonstruiert hat und innerlich abrufen kann, sind diese Wertungen ohne genauen Beleg am Bild schwer nachvollziehbar. Davon zeugt das Gästebuch, voll mit Unverständnis für ein vermeintlich anachronistisches Überstülpen heutiger Analysekategorien.

Vermutlich hätten historische Vergleichswerke orientalisierender oder primitivistischer Malarten als kunstdidaktischer Grundstock eine bessere Brücke für die Vermittlung schlagen können. Den zwei vorhandenen Maskenbildern fehlt jedenfalls die Problematisierung.

Denn letztlich bleibt die genaue Verfolgung von Sterns Malweise ausschlaggebend. Die Wandtexte laden dazu ein, die Reserviertheit der Porträtierten als ein Sichentziehen des weißen Künstlerinnenblicks zu betrachten. Die imaginierte Steigerung der Handlungsfähigkeit von BIPoC-Figuren wäre ein wichtiger Schritt im Verlernen des eurozentrischen Bildblicks, wenn sie nicht ohne Kontextualisierung ahistorisch im Raum schwebte.

So wird die spannungsreichste Facette an Sterns Werk – ihre Entscheidung für die Darstellung von Unzugänglichkeit in Subjekten – komplett ausgehebelt. Dabei liegt gerade hier die zentrale unbeantwortete Frage: Inwiefern reproduziert die Künstlerin modernistische Rassismen mit ihrem wild-pastosen Pinselstrich und inwiefern reagiert sie in der Selbstreflexivität der Malsituation möglicherweise gleichzeitig kritisch auf rassistische Hierarchien?