
„Man braucht kein Gehirn, um ein Problem zu lösen“, sagt der britische Biologe Merlin Sheldrake, der als populärwissenschaftlicher Autor seiner Leserschaft Pilze als Gemeinschaftswesen nahe gebracht hat wie der schreibende Förster Peter Wohlleben Bäume. Tatsächlich kann ein Schleimpilz in kürzester Zeit die effizienteste Verbindung zwischen Punkten in einem Netzwerk finden, obwohl er nicht einmal ein Nervensystem hat.
Künstlich geschaffene Symbiose
Im Haus der elektronischen Künste (HEK) in Basel steht Sheldrakes Zitat an einer Wand neben einer Installation, der ein Duft nach Waldboden entströmt. Zwei Austernpilzkulturen sind in Susanne Hartmanns aktueller Arbeit „Experiments III“ mit Myzelen in Petrischalen verdrahtet. Die bioelektrischen Signale der Speisepilze lassen, umgewandelt in ultraviolettes Licht, die wuchernden Fäden in den Gläsern aufscheinen – eine künstliche, doch gedeihliche Symbiose.

„Andere Intelligenzen“ heißt die Gruppenausstellung mit elf internationalen Beiträgen, die aufbauend auf früheren Schauen wie „Earthbound – Im Dialog mit der Natur“ oder „Entangled Realities“ wieder elektronische Kunst an der Schnittstelle zwischen Natur, Kultur und Technologie zeigt – dieses Mal unter einem weit gefassten Intelligenzbegriff, der adaptive Reiz-Reaktions-Muster aus der Biologie ebenso umfasst wie digitale Künstliche Intelligenz (KI).
Hybrider Konstruktionen stehen im Vordergrund. Künstlerisch vermitteln sie eine Ahnung davon, wie das Leben künftig gesteuert werden könnte. Dem HEK-Stammpublikum schon vertraut ist die Installation „PL’AI“ (2022) aus der Werkreihe „Plant Machine“ von Špela Petrič: Er lässt in einem Terrarium Gurkenpflanzen sprießen, deren Wachstum kontinuierlich ein Scanner überwacht. Dessen Daten verarbeitet ein KI-System, welches wiederum eine Mechanik steuert, die passgenau Kugeln an Drähten als Kletterhilfen auf das Beet herabsenkt.
Die Biologie wird überschrieben
Betrachten lässt sich das mit dem distanzierten Blick eines Bio-Ingenieurs. Die meisten Arbeiten setzen dagegen auf Immersion und Einfühlung. Wie in einem Sitzsack plumpst man auf die mit Krakenarmen versehene Stoffskulptur von Isabell Bullerschens „Ipseria“ (2022), setzt sich eine Virtual-Reality-Brille auf und wird multisensorisch – das Möbel vibriert – mit fiktiven Mikroorganismen eine Speiseröhre hinabgespült. Das soll durch Anverwandlung an eine fluide Lebensform die Verbindung zur eigenen Körperlichkeit stärken.

Tatsächlich wird der eigene Leib technisch unentwegt erweitert und überschrieben. Das Spiegelkabinett des Video-Triptychons „Neural Fiction“ von Niculin Barandun (2024) demonstriert es. Bewegtbilder der Betrachter werden in Echtzeit von einer generativen KI mit einem Bildfluss auf Grundlage kunsthistorischer Werke reflektiert. So sieht man, mit Arthur Rimbaud gesagt: „Ich ist ein anderer.“
Die Dissoziation geht apokalyptisch weiter mit Alice Bucknells Videospiel „The Alluvials“ (2024), in der man als Wolfsrudel ein bedrohtes Ökosystem durchstreifen kann. In einer Zukunft ohne Menschen entwickelt KI imaginäre Wasserlebewesen in Joey Holders Videoarbeit „Ambiogenesis“ (2025). Daneben wirkt der spinnenartig Cyborg „Splice (2020) von Yiming Yan, der mit Metallbeinen scharf über Metall kratzenden auf Besucherbewegungen reagiert, fast beruhigend vertraut wie der mechanische Unterbau einer Geisterbahnfigur – zumindest ist er physisch noch fassbar.
Es ist keine heimelige Welt der vielfältigen Informationsverarbeitung, die sich in dieser Schau probeweise betreten lässt. In ihr dominiert Netzwerkdenken, das den Menschen nicht braucht; alles folgt einer dynamischen dezentralen Organisation. Das Überleben, legen die Kunstwerke nahe, scheint unter diesen Bedingungen eine Grundvoraussetzung zu haben: Empathie für „andere Intelligenzen“.
„Andere Intelligenzen“, HEK Basel; bis zum 10. August. Kein Katalog