Am Anfang ihrer steilen Karriere stand 1995 die Einladung zur renommierten Whitney-Biennale. Es folgte eine Enttäuschung. Ursprünglich war ihr Auftritt in der zweiten Etage des Museums in Manhattan neben einem Raum von Jason Rhoades vorgesehen gewesen, auch er damals eine aufstrebende Größe der Gegenwartskunst. Beide, erzählt Nicole Eisenman, hatten vorgehabt, ein Loch in die Wand zu bohren, um eine direkte Verbindung zwischen ihren Beiträgen herzustellen. Dann aber wurde der 1965 in Verdun geborenen Amerikanerin beschieden, sie möge mit einem Platz im Keller vorliebnehmen, was sie naturgemäß als Degradierung aufnahm.
Spontan malte Eisenman dort unten in wenigen Tagen ein monumentales Bild von vier Meter Höhe und über neun Meter Breite auf die Wand: „Self-Portrait with Exploded Whitney“. Das Museum legte sie darin in Schutt und Asche. „Wie würde ich mein Werk sichtbarer machen?“, habe sie sich gefragt. Ihre Idee bestand darin, „das ganze Museum in die Luft zu jagen, sodass nichts außer meiner Wand im Keller des Whitney übrig bleiben würde“. Für das Figurenpersonal in dem Wimmelbild hatten zwei Mitarbeiter des Museums nächtlich Modell gestanden; sich selbst gab Eisenman als Malerin wieder, die inmitten der Apokalypse unverdrossen weitermalt und einen hellen Lichtblick darstellt. So machte sie ihrem Ärger Luft, setzte diesen aber auch humorig, in grotesker Übersteigerung in Szene.
Erst vor wenigen Monaten hat Eisenman ihre Seccomalerei im Altbau des Museums disloziert. Sie beschreibt es als exemplarisch dafür, wie aus einem Gefühl ein erzählerisches Bild entstehen kann. Genau das interessiert sie bis heute brennend.
Beeindruckt von Wandmalerei der Renaissance
Kaum bekannt ist, dass Eisenman in dem frühen Opus magnum noch ein zweites Mal auftaucht, diesmal als Liegende in einer Agonie, während eine Ärztin Erste Hilfe leistet und sie rettet. Die Künstlerin hatte seinerzeit, Folge ihrer Drogensucht, in den Abgrund geschaut. Auch das schildert sie bei unserem Besuch in ihrem Studio in Brooklyn im Stadtteil Williamsburg, das zugleich ihr Wohnhaus ist. Fraglos ist das „explodierte Whitney“ eine sehr spezielle Atelier-Allegorie und Sinnbild einer auf sich gestellten Künstlerin, zugleich ein verschwiegenes Bekenntnis zu einer persönlichen, existenziellen Krise.
Die Malerin, eine der erfolgreichsten Künstlerinnen ihrer Generation, beschreibt, wie sehr sie anfangs von der Wandmalerei der Renaissance beeindruckt war, namentlich von den Fresken Andrea Mantegnas, bevor sie die mexikanischen Muralisten für sich entdeckt habe. „Das war die Handelsroute meiner Malerei: Die mexikanischen Wandmaler schauten auf die italienischen, und die amerikanischen schauten auf die mexikanischen.“ Dann habe sie, um 2008, das Musée d’Orsay in Paris zum ersten Mal besucht, für sie „eine Offenbarung“, ihre Einflusslinie sei „von Süden nach Norden gewandert, von Italien nach Frankreich“.
Einen Namen gemacht hat sich Eisenman in den vergangenen zwanzig Jahren als künstlerische Stimme im Zeichen von LGBTQ, schon früh malte sie Bilder, in denen sie soziale und sexuelle Rollenkonventionen ungehemmt aushebelte, mit schneidendem Sarkasmus dysfunktionale Familien bloßstellte, einen surrealen, veristischen, auch zotigen Furor entfachte. Eisenman kombinierte kunstgeschichtliche mit popkulturellen, obszönen und pornographischen Motiven. Wie eine Neue Sachlichkeit in neuem Gewand. Mit den Jahren hat sich ihre Malerei ausdifferenziert, bisweilen finden sich unterschiedlichste Gesten und Stile in einem einzigen Bild, sodass die figurativen Werke häufig auch eine Menge über die Abstraktion artikulieren.
„Das Atelier ist ein sehr einsamer Ort“
Dass Kunst sich ebenso kritisch zur eigenen Gegenwart verhält wie zu sich selbst, ist ein Gemeinplatz. Malerei stellt aber auch eine lustvolle Angelegenheit dar. Maler wie George Grosz oder Otto Dix haben zu Zeiten der Weimar Republik heftige, gar brutale Sujets mit Leidenschaft fürs Detail auf die Leinwand gebracht, zogen sämtliche Register von Könnerschaft und Technik, um den Zeitgeist einzufangen. Von Dix gebe es Porträts wie jenes der schlanken Dame im rosa Café, sagt sie, in denen so etwas wie eine betörende, eine verlockende Gemeinheit stecke, sogar eine Art Grausamkeit, „aber eben auch so viel Sorgfalt und Akribie wie immer bei großer Kunst“. Als sie jenes „Bildnis der Journalistin Sylvia von Harden“ von 1926 vor langer Zeit gesehen habe, habe sie sich gewundert, mit welcher Hingabe es gemalt sei: „Auf einer gewissen Ebene muss man etwas lieben, um ihm diese Art von Aufmerksamkeit zu schenken.“
Sie sei eigentlich kein Fan von Auguste Renoir, aber eine bestimmte Praxis des Impressionisten habe sie überzeugt: „Er hatte eine Staffelei in einer Bar aufgestellt, arbeitete den ganzen Sommer lang jedes Wochenende an einem Gemälde und lud jedes Wochenende Menschen ein, in diese Bar zu kommen und für sein Gemälde Modell zu stehen. Er hat nach dem Leben gemalt.“ Das halte sie für eine außergewöhnlich gute Idee, denn man dürfe nicht vergessen: „Das Atelier ist ein sehr einsamer Ort. Man verbringt hier sehr viel Zeit allein. Den größten Teil meines Lebens habe ich hier allein verbracht, dieses Arbeitsumfeld ist sehr isolierend.“ Sie habe sich dann gefragt, wie sie ihre künstlerische Praxis „sozialer gestalten“ könne. Ihre Freundinnen und Freunde regelmäßig ins Atelier einzuladen sei in einer, gelinde gesagt, geschäftigen Stadt wie New York nicht machbar. Dann habe sie über ihre persönlichen Netzwerke als Thema nachgedacht – und gemerkt, da gebe es „eine Verbindung zwischen den Impressionisten und vielen meiner großformatigen, multifigurativen Kompositionen“.
Zum Beispiel in dem Bild „Abolitionists“ von 2020/21 mit der Demo im New Yorker City Hall Park nach dem Polizistenmord an George Floyd. Sie forderte, das Budget für die städtische Polizei zu kürzen, unter den Demonstranten waren die Künstlerinnen und Autoren Hannah Black, Tobi Haslett, Sarah Nicole Prickett und Jasmine Sanders. Eine Versammlung mit realen, aber auch mit skurrilen Teilnehmern, manche erscheinen gläsern oder von innen illuminiert.
Auch so kann Historienmalerei aussehen
Eisenman spricht über die blauen Planen, auf denen sich die Demonstranten wie auf einer Wasserfläche niedergelassen hatten, offenbar ein erhabener Eindruck; über den Bildraum mit den nach hinten kleiner werdenden Figuren, über geometrische Aspekte der Komposition, schließlich, ihr besonders wichtig, über die beiden Sneaker, die das Bild unten rechts abdichten. Auch so kann Historienmalerei aussehen: als Gruppenporträt von Zeitgenossen, die sich hier nicht, wie bei einem Édouard Manet im neunzehnten Jahrhundert, zu Musik im Pariser Tuileriengarten einfinden, sondern zu einer gewaltfreien Demo gegen die Staatsgewalt.
Auch sich selbst mit ihren beiden Kindern hat Eisenman darin abgebildet. Diese Rückbindung an die eigene Existenz findet sich auch in einem anderen Schlüsselwerk, dem Bild „Coping“ (Bewältigung) von 2008 – ein familiärer Hinweis, der selbst hellsichtigen Betrachtern nicht auffallen muss. Ein kleinstädtischer Platz ist geflutet mit einem Strom aus Fäkalien, in dem einige Passanten, seltsam clownesk kostümiert oder entkleidet wie eine Frau, verloren umherwaten. Der Strudel zieht mehr den Blick als die Menschen in die Tiefe.
Den Ort könnte man vielleicht für verbautes, fränkisches Ambiente halten, tatsächlich handelt es sich, so die Malerin, um ihren Heimatort Scarsdale in Upstate New York (der sich googeln und mühelos wiedererkennen lässt). Der Himmel diesseits der betörenden Abendröte ist verhangen mit abjekten Wolken. Leicht zu übersehen am Rand des Geschehens und wiederum kaum bekannt ist ein Detail: Die kleine Figurengruppe vor einem umgekippten Auto besteht aus ihrem fürsorglichen Vater und ihr selbst mit ihrem Baby.
Die Bekanntheit Eisenmans in Deutschland rührt von zuletzt mehreren größeren Museumsausstellungen, vor allem aber wohl von ihrem „Sketch for a Fountain“, dem Brunnen für die Skulptur Projekte Münster von 2017, der leider wiederholt von Vandalismus heimgesucht wurde. Keine andere Stadt außerhalb der Vereinigten Staaten kenne sie so gut wie Münster, nirgends sonst habe sie sich so ausgiebig aufgehalten. Gerade hier habe sie mit den Übergriffen auf ihr Werk nicht gerechnet, so Eisenman, möchte sie aber auch nicht zu wichtig nehmen.
Den Standort des Ensembles queerer Figuren findet sie so „ideal wie einen White Cube“. Hat diese Gruppe mit ihren entspannt sitzenden, liegenden, stehenden Menschen aus Bronze wie ihre Bilder ebenfalls eine Story? Eher nicht, für sie stelle diese Arbeit „sociality“ dar, Gemeinschaftlichkeit, eine Einladung, dazuzukommen, sich niederzulassen, dabei zu sein. „Womöglich kann man das als Zeichen lesen.“ Und der riesige rote Baukran, den Eisenman bis März im Madison Squarein New York quergelegt hat und der dort (so das Magazin „Brooklyn Rail“) wie ein gestürzter Obelisk wirkt, werfe Fragen auf – ob man sich nicht vorstellen könne, ob das „nächste, neue, höchste Gebäude im Erdgeschoss einen grünen Markt unter freiem Himmel im Parterre“ hätte und darüber irgendwo, „verdammt noch mal, eine Kindertagesstätte und eine Seniorenwohnanlage“. Aber ihre jüngste, an Duchamp angelehnte Skulptur wolle sich auch nicht einfach auf Kritik an den New Yorker Immobilienverhältnissen reduzieren lassen.
In drei Stunden intensiven Austauschs über Picasso und den immer noch virulenten Kubismus, über Warhol und all die deutschen Künstler wie Markus Lüpertz, Jörg Immendorff und Georg Baselitz, die sie in jungen Jahren in der New Yorker Galerie Mary Boone studierte, wurde gar nicht über gegenwärtige Politik gesprochen. Anruf bei der Künstlerin – wie denkt sie etwa über die Zukunft der Demokratie in Amerika? Eisenman winkt ab. Viel zu komplex, dieses Thema, um darüber mal schnell zu telefonieren.