Pablo Picasso präsentierte sich gerne oberkörperfrei. Versucht ein deutscher Künstler dem charismatischen Spanier nachzueifern, wenn er sich ohne T-Shirt bei der Arbeit filmen lässt? Die Werke in Leon Löwentrauts Atelier erinnern allerdings wenig an Picasso, sie sind höchstens kitschig bunte Nachahmungen.
Auch wenn dies die vorherrschende Meinung der etablierten Kunstszene ist, hat Löwentraut großen Erfolg: Die Bilder des 27-Jährigen werden in New York, Zürich und London ausgestellt, auf Instagram feiern ihn über 1,4 Millionen Follower, seine Werke kosten zehntausende Euro. In der ARD-Produktion „Leon Löwentraut – Genie oder Einbildung?“ begleitet Regisseur Phillip Lutz nun sowohl den Künstler als auch die Privatperson.
Ein Feuilletonist stellt fest: „Auf grelle Weise übersteuert“
Schnell zeigt der Film, dass Löwentraut zumindest genial darin ist, jedes erdenkliche Pseudo-Künstler-Klischee traumwandlerisch sicher zu bedienen: Denn natürlich verarbeite er in seiner Kunst den Schmerz, den er erfahren hat. Die Abende, die er allein in Hotelzimmern verbringt, seien hart. Zu den Rockstar-Floskeln kommt dann auch eine gehörige Portion Großspurigkeit hinzu. „Ich habe die Kunst neu definiert“, sagt Löwentraut. Er kündigt an, dass er mit seinen Werken in die Kunstgeschichte eingehen möchte.
Die Dokumentation demaskiert diesen Größenwahn geschickt, indem sie die Aussagen des 27-Jährigen durch Einordnungen etablierter Kunstkritiker konterkariert. So bescheinigt sich Löwentraut selbst ein „unglaubliches Farbgefühl“. „Vieles wirkt sehr bonbonhaft und auf grelle Weise übersteuert“, urteilt dagegen Hanno Rauterberg, stellvertretender Feuilleton-Leiter der Zeit. Der Film zeigt indessen, wie Löwentraut Acrylfarbe aus der Tube direkt auf eine riesige Leinwand schmiert. Stolz verkündet er, dass er mit „großen Pinseln“ arbeite, als handele es sich dabei um ein Qualitätsmerkmal.
Wer so große Töne spuckt, muss mit Kritik rechnen
Je länger der Film dann dauert, desto müder wird man der Platituden, die Löwentraut und seine Eltern von sich geben. Die Dokumentation wird zur Familien-Soap: „Er gibt mir alles“, sagt Löwentrauts Mutter mit feuchten Augen über ihren Sohn. In einer schwierigen Zeit habe er sogar ihre Miete übernommen. Generell zeigt die Dokumentation den 27-Jährigen auffallend häufig in Gegenwart seiner Eltern – ein Gefühl von Nahbarkeit bleibt dennoch aus.
Denn da steht der junge Künstler auch schon wieder in seinem Atelier oder isst mit einem Galeristen Muscheln. Der Film und Löwentrauts Kunst müssen sich an dieser Stelle den gleichen Vorwurf gefallen lassen: Beide kommen uninspiriert und repetitiv daher. Es hätte der Dokumentation gut getan, wenn sie den Erfolg des jungen Künstlers als gesellschaftliches Phänomen betrachtet und dabei sich aufdrängende Fragen gestellt hätte: Wäre seine Karriere ohne die sozialen Medien denkbar?
An manchen Stellen mag man sich dennoch fragen, ob die scharfe Kritik der Kunstwelt an Löwentraut gerechtfertigt ist. Sollte man diesem mittelbegabten Künstler nicht einfach zugestehen, dass er auf eine merkwürdige Weise den Nerv der Zeit trifft? Wenn Löwentraut dann aber behauptet, dass seine besten Werke der Wut über schlechte Kritiken entsprungen seien und dabei auch noch ein weiteres Klischee, nämlich das des missverstandenen Genies bedient, ist man den kritischen Einordnungen am Ende doch dankbar. Wer weiß: Vielleicht erwartet uns als Reaktion auf die Doku schon bald wirklich ein Meisterwerk Löwentrauts.
„Leon Löwentraut – Genie oder Einbildung?“, 6. Dezember um 21.55 Uhr auf 3sat und in der ARD-Mediathek.
