
Die Meldung, so hieß es schon in den allerersten Einschätzungen von Fachleuten, war zu schön, um wahr zu sein. Wissenschaftler der Holy Spirit University of Kaslik in Libanon hatten im März 2024 eine klinische Studie vorgelegt, wonach junge Menschen mit simplem Apfelessig ordentlich abnehmen könnten. Über die Arbeit hatten viele Medien, auch die SZ, berichtet. Nun wurde sie vom Journal BMJ Nutrition, Prevention and Health zurückgezogen.
Expertinnen und Experten hatten von Anfang an vieles an der nur sechs Seiten umfassenden Arbeit bemängelt. In Briefen an die Fachzeitschrift und Stellungnahmen kritisierten sie unter anderem unzureichende Angaben zu den Probanden und eine fehlende Registrierung der Studie. Die Registrierung von geplanten klinischen Studien ist in vielen Ländern Standard und in etlichen Fachzeitschriften Voraussetzung für eine Veröffentlichung. Studienregister dienen dazu, andere Wissenschaftler über Forschungsvorhaben zu informieren und von vornherein Methodik und Ziele transparent und verbindlich zu gestalten.
Eine weitere Kritik an der Abnehm-Studie lautete, dass es an einer plausiblen biologischen Erklärung fehle, wie Apfelessig zu den berichteten Ergebnissen führen könnte. Die Studienteilnehmer hatten der Arbeit zufolge unter dem Einfluss der sauren Flüssigkeit innerhalb von zwölf Wochen durchschnittlich fünf bis sieben Kilogramm Gewicht verloren. Untersucht wurden 120 junge Menschen, die täglich entweder ein Placebo oder Apfelessig in unterschiedlichen Dosierungen zu sich nahmen. Die Wissenschaftler hatten dann die Gruppen über verschiedene Zeiträume verglichen und anschließend statistisch bewertet.
Die Autoren der Studie haben selbst Mängel eingeräumt
An dieser Bewertung entzündete sich die heftigste Kritik. Die statistische Methode, mit der die libanesischen Forscher die Robustheit ihrer Resultate belegen wollten, sei ungeeignet, monierten Fachleute. Zudem schienen die statistischen Unsicherheiten der Ergebnisse auffällig klein dafür, dass hier Gruppen mit relativ wenigen Teilnehmern verglichen wurden.
Schließlich beauftragte die BMJ Group als verantwortlicher Verlag eine Gruppe von Statistik-Experten damit, die Arbeit zu prüfen. Laut einer Pressemitteilung gelang es den Statistikern nicht, die Ergebnisse zu reproduzieren. Zudem stellten sie mehrere Fehler in der statistischen Analyse fest. Schließlich fielen den Prüfern auch Unregelmäßigkeiten in den Ursprungsdaten auf, die von den Teilnehmern erhoben wurden. Sie bedürften einer weiteren unabhängigen Überprüfung, befanden die herbeigezogenen Fachleute.
Die Autoren akzeptierten nach Angaben des Verlags die Zurückziehung und räumten Mängel ein. Ihnen seien demnach Rundungsfehler unterlaufen. Außerdem habe es Probleme beim Übertragen der Daten von der statistischen Software in die Tabellen des Textes gegeben sowie Verwechslungen von Textversionen.
Die für Ethik und Integrität zuständige Redakteurin bei der BMJ Group, Helen Macdonald, sagte in der Mitteilung des Verlags: „So verlockend es auch sein mag, die Leser auf ein scheinbar einfaches und offenbar hilfreiches Mittel zum Gewichtsverlust aufmerksam zu machen – die Ergebnisse der Studie sind derzeit unzuverlässig“. Sie sollten nicht weiter verbreitet werden.
Martin Kohlmeier, Chefredakteur der Fachzeitschrift, bezeichnete die Entscheidung zur Veröffentlichung der Studie im Nachhinein als falsch. „Aber die Autoren kommen aus einem wissenschaftlichen Umfeld, das in der Ernährungsforschung unterrepräsentiert ist, und die Zeitschrift ist bestrebt, hochwertige Evidenz vorzuziehen, die in der Regel aus klinischen Studien stammt“. Denn diese seien im Bereich der Ernährungswissenschaft vergleichsweise rar.