
Dass die neuen Wunderwaffen sehr schnell alt aussehen könnten, war schon ihrem Entdecker Alexander Fleming klar. Als er 1945 den Medizin-Nobelpreis für seine Arbeit am weltweit ersten Antibiotikum Penicillin bekam, warnte er bereits in diesen fernen Tagen, dass die Mikroben gegen das Medikament resistent werden können. Er behielt Recht.
„Die Antibiotikaresistenzen schreiten schneller voran als die Fortschritte der modernen Medizin“, mahnte der Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, am Montag in einer Pressemitteilung. Die Gesundheit von Menschen auf der ganzen Welt sei damit bedroht.
Tedros beruft sich mit der Warnung auf den neuesten WHO-Report zu den weltweiten Resistenzen. Demnach versagte im Jahr 2023 in 17 Prozent aller Infektionen mindestens ein Antibiotikum. Das entspreche einer Steigerung um 40 Prozent innerhalb von nur fünf Jahren.
Das Bild wird auch nicht besser, wenn man in die Details schaut. Von 16 weitverbreiteten Resistenzen traten sieben noch häufiger auf als vor fünf Jahren. Neun stagnierten in ihrem Ausmaß. Keine einzige nahm auf globaler Ebene ab.
Die Zahlen des Berichtes kommen mit einigen Unsicherheiten daher.
Am häufigsten hatten die Medikamente ihre Schlagkraft in Südostasien, dem Nahen Osten und Nordafrika verloren. In etwa einem Drittel der dokumentierten Infektionen traten dort Resistenzen auf. In der WHO-Region Europa, zu der auch einige asiatische Länder gehören, lag die Rate zuletzt bei zehn Prozent.
Als Folge der Resistenzen seien Mediziner zunehmend gezwungen, auf intravenöse Therapien umzusteigen sowie auf die letzten noch wirksamen Reserveantibiotika zurückzugreifen, sagte Yvan Hutin auf einer Pressekonferenz der WHO. Er ist bei der Organisation für antimikrobielle Resistenzen zuständig. Die Notfallmedikamente aber sind teurer und oft weniger gut verträglich. Nicht immer gelingt der Wechsel auf das Ausweichpräparat rechtzeitig, um die Infektion einzudämmen. In ärmeren Regionen fehlt die Option oft, da die Medikamente zu viel kosten. In diesen Fällen droht den Infizierten der Tod. Etwa 1,1 Millionen Sterbefälle weltweit führte die WHO 2021 auf Antibiotikaresistenzen zurück.
Als besonders besorgniserregende Bakterien sehen die Autoren Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae. Gelangen sie in die Blutbahn, helfen die Standardmedikamente in 40 beziehungsweise 55 Prozent der weltweiten Fälle nicht mehr. In Afrika versagen die Antibiotika sogar in über 70 Prozent dieser Fälle. Die Keime im Blutstrom können zu Sepsis, Organversagen und dem Tod führen.
Fast die Hälfte der Länder liefert keine Daten
Die Zahlen des Berichtes kommen mit einigen Unsicherheiten daher. Zwar melden mittlerweile etwas mehr als 100 Länder Resistenzdaten an die WHO. Allerdings lieferten die Hälfte von ihnen nur unvollständige und nicht ausreichend verlässliche Informationen, schreiben die Autorinnen und Autoren. Einige Staaten testeten beispielsweise nur in Hochrisiko-Einrichtungen, etwa Kliniken, in den sich die resistenten Mikroben längst festgesetzt haben. Dies kann dazu führen, dass die Resistenzraten überschätzt werden. Mehr Kopfzerbrechen bereiten den Fachleuten jedoch jene 48 Prozent der Staaten, aus denen keine Daten fließen.
„In einer Reihe von Ländern und Regionen befinden wir uns definitiv im Blindflug“, sagte Yvan Hutin. Das sei vor allem deshalb problematisch, weil diese Staaten zugleich besonders stark von Resistenzen betroffen sein dürften. Denn sowohl das mangelnde Monitoring als auch das Zirkulieren vieler resistenter Erreger gehen Hutins Worten zufolge auf dieselbe Ursache zurück: ein schwaches Gesundheitssystem. Es fehle dann eben auch an den Möglichkeiten für eine gründliche Diagnostik von Infektionserkrankungen, für angemessene Behandlungen, für die schnelle Eindämmung von resistenten Keimen, für die Regulierung des Antibiotika-Einsatzes – alles Faktoren, die Resistenzen begünstigen.
Die WHO appelliert daher an die Mitgliedsstaaten, die Überwachung der Resistenzen auszubauen. Für Erkrankte hat Hutin drei Ratschläge: Sie sollten versuchen, Infektionen vor allem durch Hygiene und Impfungen vorzubeugen. Sie sollten Arzt oder Ärztin vertrauen, wenn diese keine Antibiotika verordnen. Zumindest in wohlhabenden Staaten bedeute dies in der Regel, „dass der Arzt die Situation gut beurteilt hat und seine Patienten gut betreut“, so der Experte. Schließlich seien Patienten auch Bürger und könnten ihre politischen Einfluss- und Wahlmöglichkeiten nutzen, um ihre Regierungen zu mehr Engagement gegen die Resistenzen zu animieren.