

„From Tel Aviv Beach to Bondi Beach“ steht am Sonntagnachmittag auf einem Plakat an der Strandpromenade in Tel Aviv. Auf einem Tisch dahinter ist ein achtarmiger Chanukka-Leuchter auf einer weißen Tischdecke aufgestellt, daneben eine israelische und eine australische Flagge. Die Cafés sind gefüllt, im Sand kicken junge Männer Bälle hin und her. Und doch ist auch in Israel der erste Tag des jüdischen Lichterfests Chanukka überschattet von dem Anschlag, der sich Stunden zuvor im australischen Sydney ereignet hat.
Die Bestürzung über den antisemitischen Angriff, bei dem die Attentäter mindestens 15 Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt haben, ist groß. Am Abend kommen an der Strandpromenade in Tel Aviv mehrere Hundert Menschen zusammen, um gemeinsam der Opfer zu gedenken. Viele australische Israelis sind darunter, aber auch andere, die ihre Solidarität bekunden wollen. Aus kleinen Teelichtern formen sie auf dem Boden einen Davidstern, singen und beten gemeinsam, halten eine Schweigeminute ab.
Israelische Medien zitieren eine Teilnehmerin mit den Worten, sie sei schockiert von der brutalen Attacke – „aber nicht überrascht“. Die Aussage dürfte beschreibend sein für viele Menschen in Israel, die die steigenden Fälle antisemitischer Vorfälle im Ausland mit größter Sorge beobachten. Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem anschließenden Krieg im Gazastreifen sehen sich jüdische Menschen weltweit gezielten Attacken ausgesetzt. Nicht selten schlägt Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung dabei in Antisemitismus um. Immer wieder kommt es darüber hinaus zu tödlichen Gewalttaten, zuletzt etwa in Washington, wo im Mai dieses Jahres zwei Mitarbeiter der israelischen Botschaft getötet wurden.
Immer größeres Unwohlsein, sich als Jude im Ausland zu zeigen
In der israelischen Gesellschaft hinterlässt das deutliche Spuren. Auf den Straßen Tel Avivs und Jerusalems erzählen junge Leute von Reisen, auf denen sie sich „zur Sicherheit“ als Staatsbürger eines anderen Landes ausgegeben hätten – oder von einem unangenehmen Gefühl, wenn sie am Flughafen ihren israelischen Pass vorlegen müssen. Manche haben Angst vor konkreten Angriffen, andere wollen vor allem aufgeheizte Diskussionen vermeiden. Was sie eint, ist ein immer größeres Unwohlsein, sich als Israeli, als Jude oder Jüdin im Ausland zu zeigen.
Elhanan Miller, der eine Zeit lang als Rabbi in Australien gearbeitet hat und seit mehreren Jahren wieder in Israel lebt, ist auch am Montag noch tief erschüttert von dem Angriff in Sydney. Die jüdische Gemeinde vor Ort kennt er gut; das Sicherheitsgefühl der Menschen dort habe sich seit Beginn des Krieges im Gazastreifen zunehmend verschlechtert, sagt Miller. Dass der Anschlag während einer religiösen Feier verübt wurde, mache den Schock auch für die Menschen in Israel besonders groß. „Das macht für alle eindeutig klar, dass es sich um einen Angriff auf Juden als Juden gehandelt hat.“
Für viele Menschen in Israel verstärkten Attacken wie die am Bondi Beach das Gefühl, nur in Israel selbst eine sichere Heimat zu haben, vermutet Miller. „Viele sehen darin eine Bestätigung ihrer Sorge, dass Juden tatsächlich überall auf der Welt in Gefahr sind“, sagt er. Zwar habe sich seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober auch in Israel das Bedrohungsempfinden verstärkt. Überlegungen, ins Ausland zu gehen, würden dennoch immer seltener: „Vielleicht sind wir auch hier nicht sicher“, sei momentan das vorherrschende Gefühl vieler Israelis. „Aber zumindest sicher auf eine andere Art.“
Miller befürchtet, dass die israelische Gesellschaft sich dadurch zunehmend abschottet, verschlossener wird. „Das ist die traurige Folge solcher Taten“, sagt er. Auch der Rabbi kritisiert, dass gegen den wachsenden Antisemitismus allzu oft nicht genug getan werde. Harsche Reaktionen wie die des israelischen Ministerpräsidenten hält er dennoch für wenig zielführend.
Benjamin Netanjahu hatte der australischen Regierung am Sonntag eine Mitschuld an dem „kaltblütigen Mord“ vorgeworfen, mit der Anerkennung eines Staates Palästina habe Australien „Öl ins antisemitische Feuer“ gegossen. Miller hält das für eine unangemessene „Politisierung“, die der Tragik der Attacke nicht gerecht werde. „Es ist ein Moment der Trauer und des Schmerzes für die jüdische Gemeinschaft“, sagt er. „Mehr ist dem nicht hinzuzufügen.“
