Anreize statt Verbote: So hat Norwegen die Verkehrswende geschafft

Wer ein Auto mit Diesel- oder Benzinmotor neu kauft, gehört in Norwegen zu einer Minderheit: Im Juli hatten 97 Prozent der neu zugelassenen Fahrzeuge einen E-Antrieb. In Deutschland sind es nicht mal 19 Prozent. Woran liegt das?

Eigentlich steht schon fest, wohin die Reise geht: Um ihre Klimaziele zu erreichen, haben die EU-Länder gemeinschaftlich beschlossen, Autos mit klimaschädlichem Verbrennungsmotor schrittweise aus dem Verkehr zu ziehen. Ab 2035 sollen nur noch Neufahrzeuge eine Zulassung erhalten, die klimaneutral fahren. Der Umstieg aufs Elektroauto scheint damit schon beschlossen – oder?

Für den deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz ist das offenbar längst nicht ausgemacht. Auf einer Pressekonferenz Ende Juli sagt er einen bemerkenswerten Satz zum geplanten Verbrenner-Aus: „Die Automobilindustrie ist eine der Kernindustrien des europäischen Kontinents, und wir dürfen uns diese Industrie nicht durch eine Verengung auf Technologien zerstören lassen, von denen wir gar nicht wissen, ob sie zu diesem bestimmten Datum alle schon so marktfähig sind, dass man nur noch auf diese Technologie setzen kann.“

E-MobilitätNeuzulassungen nach Antriebsart

Bemerkenswert ist die Aussage vor allem deshalb, weil neben Merz ein Mann steht, der sehr wohl das Gegenteil bezeugen könnte. Jonas Gahr Støre, Ministerpräsident von Norwegen, vertritt ein Land, in dem die Verkehrswende längst vollzogen ist. Norwegen gilt sogar als globaler Vorreiter in Sachen E-Mobilität. Im Juli hatten 97 Prozent der neu zugelassenen Fahrzeuge einen E-Antrieb. In Deutschland sind es nicht mal 19 Prozent. Doch wie hat Norwegen diese Komplettwende geschafft? Was haben die Skandinavier, was Deutschland nicht hat?

Günstiger als in Deutschland

Die erste Antwort ist recht simpel: Norwegen hat von Natur aus viel Wasser und Gefälle – und kann deshalb sehr viel, sehr günstigen Strom selbst produzieren. Allein dadurch können Elektroautos in Norwegen deutlich billiger betrieben werden als in Deutschland.

Rund 88 Prozent ihres Stroms gewinnen die Norweger aus Wasserkraftwerken im eigenen Land. Dadurch sind sie weitgehend energieautark und haben einen der klimafreundlichsten Energiesektoren der Welt. Insgesamt 99 Prozent des Stroms stammen aus erneuerbaren Energien.

Deutschland kann da natürlich nicht mithalten. Hierzulande wird der Energiebedarf noch zur Hälfte mit fossilen Brennstoffen gedeckt. Rohstoffe wie Kohle und Gas unterliegen großen Preisschwankungen am Markt. Unterm Strich ist der Strom in Deutschland dadurch deutlich teurer: Zahlt man in Deutschland beim Laden zuhause knapp 26 Euro für eine Vollladung, so ist es mit 12,50 Euro in Norwegen gerade einmal knapp die Hälfte.

Aber auch die Netzgebühren und staatlichen Abgaben sind in Norwegen niedriger als hierzulande. Dadurch sind Elektroautos auch über die Anschaffung hinaus für die Nutzer finanziell sehr attraktiv.

Zauberwort Ladeinfrastruktur

Norwegen hat zudem ein relativ dichtes Netzwerk an öffentlichen Schnellladesäulen aufgebaut, das selbst entlegene Regionen abdeckt. Und der Ausbau von Schnellladesäulen wird noch weiter verstärkt: Künftig muss im Abstand von maximal 50 Kilometern an sämtlichen Hauptstraßen in Norwegen ein Schnellladepunkt installiert werden.

An den Schnellladern dauert das Aufladen durchschnittlich etwa 30 Minuten für 80 Prozent, während es bei normalen Ladesäulen schon mal zwei bis sechs Stunden dauern kann, bis die Batterie wieder voll ist. Bei diesen Angaben kommt es aber sehr auf die Batterie – also das Fahrzeug – und die Ladesäule an.

Doch auch Deutschland hat in Sachen Ladeinfrastruktur einiges erreicht. Tatsächlich gibt es hierzulande sogar deutlich mehr Ladepunkte als in Norwegen, und das, obwohl beide Länder in etwa gleich groß sind. Allerdings hat Norwegen nur rund fünf Millionen Einwohner. Etwa 95 Prozent der Landesfläche besteht aus Wildnis. Deutschland ist dagegen dicht besiedelt und braucht logischerweise mehr Ladesäulen pro Quadratkilometer.

Trotzdem stehen wir gut da: Mehr als 65 Ladepunkte gibt es hierzulande pro 100 Kilometer Straße, in Norwegen sind es nur 21. Damit belegt Deutschland Platz fünf in Europa. Allerdings ist der Anteil an Schnellladesäulen in Deutschland niedriger als in Norwegen.

Nachholbedarf gibt es in beiden Ländern in der Benutzerfreundlichkeit der Ladepunkte. Nutzer müssen sich mit einer Vielzahl von verschiedenen Betreibern, Apps und Zahlungssystemen auseinandersetzen, um Zugang zur gesamten Ladeinfrastruktur zu erhalten.

Hinzu kommt, dass das Laden an der Säule eines „Fremdanbieters“ in Deutschland teuer werden kann – sogar teurer als Tanken mit Benzin und Diesel, wie eine Auswertung des Stromanbieters Lichtblick zeigt. Der ADAC macht Hoffnung, dass der Flickenteppich sich bald etwas lichten könnte, weil sich immerhin vier der großen Anbieter zu einem Verbund zusammenschließen wollen.

Konsequente Politik über Jahrzehnte

In Norwegen sind E-Autos nicht nur deutlich günstiger als Fahrzeuge mit Verbrennermotor. Der Staat lockt die Käufer auch noch mit einer Reihe von weiteren Vorteilen. Zum Beispiel dürfen Elektroautos in Norwegen grundsätzlich Bus- und Taxispuren nutzen, erhalten oft kostenlose oder billigere Parkplätze und sind vielfach von Mautgebühren befreit. Auch auf Fähren fahren reine E-Autos zu reduzierten Preisen mit.

Auch in Deutschland versuchen Bund, Länder und Kommunen, den Umstieg aufs Elektroauto mit solchen Anreizen zu fördern. Größere Effekte hat das aber bislang nicht gezeigt: Während in Norwegen jeder vierte Pkw elektrisch fährt, sind es in Deutschland gerade einmal drei Prozent aller Pkw.

Ein entscheidender Faktor könnte sein, dass Deutschlands Verkehrspolitik in den vergangenen Jahren eher einem Schlingerkurs glich. Norwegens Kurs in Richtung Elektrifizierung hingegen wurde teils auf Jahrzehnte im Voraus festgelegt und trotz wechselnder Regierungsmehrheiten konsequent verfolgt.

Zu den ersten Fördermaßnahmen zählten diverse Steuervergünstigungen und Gebührenbefreiungen in den 1990er Jahren. Inzwischen zahlen die Norweger seit mehr als 20 Jahren beim Kauf eines E-Autos keine Mehrwertsteuer. Bei einem Steuersatz von 25 Prozent bedeutet das einen recht beachtlichen Rabatt, während importierte Verbrenner-Autos hoch besteuert werden. Diese dauerhaften Steuervorteile gelten als einer der größten finanziellen Anreize für den Umstieg aufs Elektroauto.

Im deutschen Förderdschungel dagegen verliert man schnell den Durchblick. In den vergangenen Jahren wurden verschiedene Programme aufgesetzt, mehrfach überarbeitet oder wieder zurückgenommen. Der Umweltbonus – eine staatliche Kaufprämie für E-Autos – beispielsweise wurde 2016 eingeführt, ab Januar 2023 drastisch reduziert und kurz darauf ganz abgeschafft.

In den Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes sieht man deutlich, wie die Neuzulassungen von E-Autos daraufhin nach einer Spitze im Dezember 2022 regelrecht eingebrochen sind. Ab September 2023 konnten dann nur noch Privatpersonen den Umweltbonus beantragen, auch das lässt sich in den Zulassungszahlen erkennen: Im August haben die Gewerbekunden nochmal zugeschlagen und ihre Elektro-Flotten aufgestockt.

Als einzige größere Konstante in der deutschen E-Auto-Förderung könnte man die Kfz-Steuerbefreiung bezeichnen. Diese gilt immerhin seit 2011 – läuft aber voraussichtlich 2030 aus. Bisher wurden Käufer eines reinen Elektroautos dadurch für zehn Jahre (bei Einführung waren es zunächst fünf Jahre) von der Kfz-Steuer befreit. Läuft die Befreiung aus, ermäßigt sich die Steuer auf die Hälfte des regulären Satzes.

Ob die Regelung über 2030 hinaus fortgesetzt wird, ist bisher unklar. Das heißt: Wer in diesem Jahr ein E-Auto erwirbt, zahlt voraussichtlich schon in fünf Jahren wieder Kfz-Steuer, dann aber immerhin einen ermäßigten Betrag.

Käufer brauchen Planungssicherheit

Das politische Tauziehen um Subventionen und Fördergelder gilt als eines der größten Hemmnisse für die Verkehrswende in Deutschland. Käufer und vor allem Unternehmen wünschen sich finanzielle Planbarkeit. Ihre Investitionen in die Zukunft sollen sich am Ende lohnen. Doch wenn selbst die Politik die Zukunftsfähigkeit der E-Mobilität wiederholt in Frage stellt, wird es schwer, die Bevölkerung davon zu überzeugen.

Norwegen hatte es auch in dieser Hinsicht leichter: Klima- und Umweltschutz genießen in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Hinzu kommt, dass die norwegische Regierung nie abwägen musste zwischen dem Verlust von Arbeitsplätzen oder einem radikalen Umbau des Verkehrssektors. Anders als Deutschland hat das Land keine wirtschaftlich und politisch einflussreiche Autoindustrie. So konnte die Politik den Umwelt- und Klimaschutz priorisieren, ohne Widerstand aus Wirtschaft und Gesellschaft fürchten zu müssen.

In Deutschland sieht das anders aus – darauf spielt auch Merz an. Die Automobilindustrie ist in der Wirtschaft tief verwurzelt. Schätzungsweise 1,5 Millionen Arbeitsplätze sind direkt oder indirekt mit ihr verbunden. Zu Hochzeiten erwirtschaftete die Branche etwa fünf Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Das Lohnniveau bei deutschen Branchenführern wie VW und Mercedes ist immer noch überdurchschnittlich und inzwischen ein Problem. Das Verkehrssystem und die Automobilbranche zu transformieren hat daher eine ganz andere Tragweite als in Norwegen und erklärt vielleicht, warum die deutsche Politik so zögerlich agiert.

Unterdessen hat sich der Markt in Norwegen und anderswo längst gewandelt – und mit ihr auch die Exportbilanz der deutschen Autobauer. Volkswagen zum Beispiel verschifft inzwischen nur noch E-Modelle nach Skandinavien. Für Verbrenner besteht schlichtweg kein Bedarf mehr – außer vielleicht im Mietwagensegment. Denn unter Touristen sind Autos mit Diesel- und Benzinmotor interessanterweise immer noch gefragt.