„Anlaufstelle gegen Gewalt“ vor dem Aus: Was wir uns leisten müssen


An dieser Stelle geht es ausnahmsweise mal nicht um Milliarden Euro, auch nicht um Millionen oder hunderttausend, die mancher Großmeister des Sports, warum auch immer, an einem Tag verdienen soll. Es geht um 60.000 Euro. Viel Geld. Für was?

Zum Wohle von Sportlerinnen und Sportlern, die, statt die schöne, heile Welt des Sports erleben zu dürfen, die Hölle ertragen mussten, physische, psychische, sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch in allen möglichen Varianten.

Das kommt vor in Vereinen und Verbänden, wird aber kaum publik. Die Veröffentlichungen des teils eklatanten Fehlverhaltens von Trainern und Trainerinnen im deutschen Kunstturnen seit Dezember 2024 bilden, Experten zweifeln nicht, nur die Spitze des Eisberges.

Wie kann man mit so wenig so viel erreichen?

Im Schnitt melden sich zwei Menschen pro Woche bei der „Anlaufstelle gegen Gewalt“. Macht gut hundert im Jahr. Manche brauchen nur einen Rat, wollen nur, dass endlich jemand erfährt, was abgeht. Andere haben eine Betreuung nötig über Wochen und Monate, mitunter dauert es viel länger.

Seit gut dreieinhalb Jahren gibt es diese von der Athletenvertretung Athleten Deutschland e.V. initiierte, vom organisierten Sport unabhängige Einrichtung. Zwei Frauen bilden Herz und Hirn. Sie haben 300 Fälle aufgenommen bislang, ein Drittel ist noch nicht abgeschlossen. Aber jetzt soll Schluss sein. In diesen Tagen steht zumindest in den Sternen, wie es weitergeht mit der Anlaufstelle. Weil 60.000 Euro fehlen.

Die Geldgeber, zwei Stiftungen, wollen nicht mehr geradestehen oder nur noch für einen kleinen Betrag des kleinen Betrages. Sie verstanden sich als Anschubfinanzierer. Ohne ihren Beitrag lässt sich diese Sozialarbeit zur Linderung der Folgen des schlimmsten Übels beim Sport nicht so fortsetzen wie zuletzt: mit einer 30-Stunden-Stelle und einer Honorarkraft, die zehn Stunden zur Verfügung steht. 40 werden bezahlt.

Ein Narr, wer glaubt, die Frauen schauten ständig auf die Uhr, riefen Feierabend, wenn sich Verzweifelte, Minderjährige meldeten, deren Eltern. Die 60.000, die 2026 zu fehlen drohen, dienen nicht allein als Lohnzahlung. Von diesem Betrag werden auch Kosten, etwa für juristische oder psychologische Beratung, bezahlt. Sie entsprechen 90 Prozent des Jahresbudgets.

Betroffene, die mit der F.A.Z. gesprochen haben über ihren Fall, schilderten „Anlauf gegen Gewalt“ lange vor dem Finanzierungsproblem als so seriös wie segensreich. Weil sie über das immer noch alles andere als selbstverständliche Gehörtwerden hinaus konkrete Hilfe erfuhren. Das merkt fast niemand aus guten Gründen. Kaum jemand nimmt bewundernd wahr, wie sich die tonnenschwere Last von einer gequetschten Seele löst, nachdem Betroffene erkannt haben, wer sich statt ihrer schämen müsste für das ihnen angetane Leid. Ein stilles Glück, endlich. Und so drängen sich drei Fragen auf:

Wie kann man mit so wenig so viel erreichen? Wie kann es sein, dass am Mittwoch Athleten Deutschland e.V. ein Crowdfunding initiieren musste, damit „Anlauf gegen Gewalt“ im gegenwärtigen Umfang eine Zukunft hat? Sind wir gerade dabei, uns ein Armutszeugnis auszustellen?