
Die Videoaufnahmen ähneln sich. Ein Schnellboot mit mehreren Außenbordmotoren sticht durch das schwarze Wasser. In der Mitte des Bootes ist ein kleines Kreuz erkennbar. Dann erfolgt eine heftige Explosion. Das Bild wird weiß von einem Feuerball, dann schwarz vom aufsteigenden Rauch. Man sieht ein brennendes Bootswrack und Trümmerteile, die auf der Wasseroberfläche schwimmen. Dann bricht das Video ab.
Mehrere solcher Aufnahmen, die gezielte Schläge auf angebliche Rauschgiftboote zeigen, haben das Pentagon und Minister der amerikanischen Regierung in den vergangenen Monaten veröffentlicht. Bisher wurden nach offiziellen Angaben 29 Boote vernichtet und dabei mehr als hundert Personen getötet. Die Aktionen sollen der Öffentlichkeit in den USA und anderswo zeigen, dass sich das Land im Krieg befindet – im Krieg gegen Rauschgiftkartelle, die es nach Darstellung des Weißen Hauses auf das Leben der US-Bürger abgesehen haben und deswegen als internationale Terrororganisationen eingestuft wurden. Präsident Donald Trump verglich Rauschgift neulich gar mit Massenvernichtungswaffen.
Größter militärische Aufmarsch in der Region seit Jahrzehnten
Seit einigen Monaten setzt Washington im Kampf gegen den „Narco-Terrorismus“ die Armee ein. Seit August wurden mehrere Kriegsschiffe, Militärflugzeuge, Flugzeugträger sowie rund 10.000 Soldaten in die südliche Karibik entsandt. Es ist der größte militärische Aufmarsch in der Region seit Jahrzehnten. Offiziell dient die Operation, die jeden Tag Millionen von Dollar verschlingt, der Überwachung und Bekämpfung des Rauschgifthandels in der Region.
Gleichzeitig baut Washington damit aber auch Druck auf das Regime von Nicolás Maduro in Venezuela auf. Trump droht mit Angriffen auf Ziele innerhalb Venezuelas. Auf der Liste der Terrororganisationen befindet sich auch das venezolanische „Cartel de los Soles“, ein Netzwerk innerhalb der Armee und anderer Staatsorgane, das am Kokainschmuggel durch Venezuela beteiligt sein und von Maduro selbst angeführt werden soll.
Zwar ist Venezuela seit Längerem ein Transitland für Kokain. Doch für den Handel in die Vereinigten Staaten spielen weder Venezuela noch die Karibikroute eine wichtige Rolle. Laut der amerikanischen Drogenbehörde DEA wurde 2020 nur noch ein Viertel des Kokains durch die Karibik in die USA geschmuggelt. Die restlichen drei Viertel gelangten über den Pazifik nach Norden, wobei der Transport meist über mehrere Zwischenstationen erfolgt. Auch den Spezialisten in Washington und im Pentagon ist das bewusst. In den vergangenen Wochen wurden praktisch ausschließlich Boote im Pazifikraum ins Visier genommen.

Die Schnellboote, auf die es die amerikanischen Streitkräfte abgesehen haben, gelten als äußerst effizientes Transportmittel. Die Boote mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 100 Stundenkilometern lassen sich mit bis zu drei Tonnen Kokain beladen, die in den USA einen Verkaufswert von mehr als 60 Millionen Dollar erreichen. Auch die kolumbianische Marine hat die Boote schon länger im Visier. In diesem Jahr konnte sie 15 abfangen, allesamt an der Pazifikküste, während im Karibikraum in den vergangenen Jahren kaum nennenswerte Beschlagnahmungen verzeichnet wurden.
Kokain-Konsum hat Rekordwerte erreicht
Die Angriffe auf die „Narco-Boote“ lassen sich medienwirksam inszenieren. Doch der Krieg gegen den Rauschgifthandel lässt sich mit ihnen nicht gewinnen. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem von Präsident Richard Nixon ausgerufenen „Krieg gegen die Drogen“ haben der Handel und der Konsum von Kokain Rekordwerte erreicht. Laut dem neuesten Bericht der Vereinten Nationen belief sich die Kokainproduktion in Kolumbien, Peru und Bolivien im Jahr 2023 auf mehr als 3700 Tonnen, wobei die jüngsten Zahlen der Koka-Anbauflächen in Kolumbien einen weiteren Anstieg erwarten lassen.
Die jahrzehntelange repressive Drogenpolitik habe die Rauschgiftökonomie nicht geschwächt, sondern dazu geführt, dass die kriminellen Strukturen sich zersplittert, flexibilisiert und geographisch ausgeweitet hätten und die Gewalt zugenommen habe, bilanziert der Thinktank „International Crisis Group“. Die Verbrechersyndikate passen sich rasch an neue Rahmenbedingungen an, diversifizieren ihr Angebot und ihre Logistik. Der Rauschgifthandel, der sich einst in den Händen weniger Kartelle in Kolumbien und Mexiko konzentrierte, ist heute ein Geschäft, an dem unzählige Akteure beteiligt sind, von unsichtbaren internationalen Finanziers bis zu brutalen Gangs auf lokaler Ebene.
Eines der sichtbarsten Beispiele für diese Entwicklung ist Ecuador. Noch vor einer Weile zählte das Land zu den sichersten Lateinamerikas, heute belegt es in den Mordstatistiken einen der Spitzenplätze. Allein in der ersten Hälfte dieses Jahres registrierte Ecuador mit mehr als 4600 Morden einen Anstieg von 47 Prozent im Vergleich zur Vorjahresperiode – ein weiterer von etlichen Rekorden in den vergangenen Jahren. Der Gewaltanstieg ist eine Folge der raschen Transformation des Landes zu einem zentralen Knotenpunkt des internationalen Kokainhandels.

Kokain aus Kolumbien wird über ecuadorianische Häfen, insbesondere Guayaquil, auf den Seeweg gebracht, häufig Richtung Europa, aber auch nach Zentralamerika und Mexiko, wo andere Akteure den Weitertransport übernehmen. Vor allem mexikanische Kartelle, aber auch europäische Abnehmer lagern dabei zentrale Aufgaben an lokale Banden aus. Die Konkurrenz um internationale Aufträge hat die Zahl – und die Gewaltbereitschaft – bewaffneter Banden in Ecuador explodieren lassen. Eine ähnliche Situation wie in Guayaquil herrscht auch im kolumbianischen Buenaventura, dem wichtigsten Containerhafen des Landes. Auch er ist ein wichtiger Knotenpunkt für den Kokainhandel und hat mit brutaler Gewalt unter Banden zu kämpfen.
Selbst die beliebte Tourismusdestination Costa Rica ist mittlerweile ein wichtiger Teil der Drogenrouten im Pazifik geworden. Das Land war lange Zeit so sicher, dass die Behörden nicht auf die neuerliche Drogenkriminalität vorbereitet waren. Heute dient es als eine Art Zwischenlager für den Kokainhandel. Die Folge war auch hier ein rapider Gewaltanstieg. Im Jahr 2023 registrierte Costa Rica einen Anstieg der Mordrate um 40 Prozent, wobei rund 70 Prozent aller Gewaltdelikte im Zusammenhang mit dem Rauschgifthandel standen. Guatemala wiederum fungiert zunehmend als eine Art vorgelagerter Hafen, wo mexikanische Syndikate den Weitertransport über die Landroute übernehmen.
Die Beispiele verdeutlichen den Strukturwandel im Rauschgifthandel, weg von hierarchisch organisierten Kartellen hin zu netzwerkartigen Lieferketten. Funktionen werden dabei arbeitsteilig verteilt: Finanzierung, Transport, Logistik und lokale Abwicklung liegen oft bei unterschiedlichen Akteuren, die nur lose miteinander verbunden sind. Das reduziert Abhängigkeiten und erhöht die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten. Fällt ein Glied aus, kann es einfach ersetzt oder die Logistik angepasst werden.
Das Phänomen der „Narco-U-Boote“
Schon der Wasserweg bietet dabei zahlreiche Möglichkeiten, vom Transport mit Schnellbooten über den Schmuggel per Containerfracht bis hin zu Kombinationen, indem Containerschiffe auf hoher See mithilfe bestechlicher Besatzungsmitglieder mit Rauschgiftladungen „kontaminiert“ werden, um die Kontrolle in den Häfen zu umgehen. Ein spektakuläres Phänomen sind auch die sogenannten „Narco-U-Boote“.
Dabei handelt es sich nicht um eigentliche U-Boote, sondern um tauchfähige Boote, die sich knapp unter der Wasseroberfläche bewegen und deshalb schwieriger zu orten sind. Einzelne dieser Boote, die mehrere Tonnen Kokain transportieren, haben es in den vergangenen Jahren bis an die Küsten Spaniens und Australiens geschafft. Auch unbemannte Varianten wurden bereits sichergestellt. Die erste soll laut Berichten der kolumbianischen Armee in den Diensten des Golfclans gestanden haben, des mächtigsten Verbrechersyndikats Kolumbiens.
Der Luftweg spielt mengenmäßig eine untergeordnete, strategisch aber wichtige Rolle für den Rauschgifthandel. Schmuggler nutzen Kleinflugzeuge und improvisierte Landepisten, um die Ware Richtung Norden zu transportieren, wobei auch hier eher Mittelamerika und weniger die Karibik als Zwischenstopp angesteuert wird. Die Flüge erfolgen meist nachts, ohne Transponder, oft in geringer Höhe. Der Luftweg ist besonders attraktiv, wenn Seerouten stark überwacht werden, ist jedoch teuer und riskant. Viele dieser „Narco-Flugzeuge“ starten in Kolumbien und vermehrt auch in Venezuela, wo die Luftüberwachung schwach ist und die Behörden bestechlich sind.
Anreize für Schmuggel dürften steigen
Auch Trumps Offensive gegen den südamerikanischen Kokainhandel dürfte indes keine strukturelle Schwächung der Schmuggelnetzwerke bewirken, sondern vor allem deren Anpassungsfähigkeit testen. Historisch hätten verstärkte Kontrollen eher zu Verlagerungen innerhalb der Lieferketten geführt als zu deren Auflösung, heißt es im Bericht der Crisis Group.
Fachleute erwarten durch kurzfristige Engpässe zudem einen Preisanstieg, wie dies in der Vergangenheit oft zu beobachten war. Das wiederum schafft zusätzlich Anreize für Schmuggel und erhöht die Risiko- und Gewaltbereitschaft in den Produktions- und Transitländern. Zugleich ist damit zu rechnen, dass Netzwerke ihre Aktivitäten nun stärker auf andere Absatzmärkte wie Europa ausrichten.

Sicherer werden die USA dadurch nicht. Wenn Trump von „Massenvernichtungswaffen“ spricht, bezieht er sich ohnehin nicht auf kolumbianisches Kokain, sondern auf Fentanyl. Das synthetische Opiat war in den vergangenen Jahren tatsächlich für den Tod von Hunderttausenden Konsumenten in den USA verantwortlich und damit die häufigste Todesursache für Amerikaner unter 50 Jahren. Keines der Boote, die in den vergangenen Monaten in der Karibik oder im Pazifik versenkt wurden, hatte jedoch Fentanyl geladen. Und auch das aus korrupten venezolanischen Beamten bestehende „Cartel de los Soles“ dürfte von dem extrem abhängig machenden Opiat nur aus den Nachrichten erfahren haben.
Der Vormarsch des Fetanyls
Das Fentanyl, das in die USA gelangt, wird praktisch ausschließlich in Mexiko hergestellt. Dortige Verbrechersyndikate, allen voran das Sinaloa-Kartell, beziehen die für die Herstellung benötigten Stoffe aus China und anderen asiatischen Ländern. Per Schiff werden die Chemikalien über die Pazifikhäfen in Manzanillo und Lázaro Cárdenas nach Mexiko importiert und auf dem Landweg nach Norden verfrachtet, wo sie in klandestinen Labors zum Endprodukt verarbeitet werden, das dann als Pulver oder zu Tabletten gepresst über die Grenze geschmuggelt wird. Für diesen Teil der Arbeit heuern die Organisationen Drogenkuriere an, nicht selten amerikanische Staatsbürger, die kleine Mengen Fentanyl in Autos und Lastwagen über die Grenze schmuggeln.
Der Vormarsch des Fentanyls sagt viel über die Anpassungsfähigkeit des Rauschgifthandels aus. Es hat sich zu einem Ersatz- oder Ergänzungsprodukt für kriminelle Organisationen in Mexiko entwickelt. Anders als Kokain, dessen Produktion von einem landwirtschaftlichen Vorprodukt abhängt, das geographisch eingeschränkt ist, lässt sich das synthetische Rauschgift flexibel und mehr oder weniger ortsunabhängig produzieren.
Seine hohe Potenz ermöglicht den Schmuggel in kleinsten Mengen, häufig über legale Grenzübergänge und innerhalb der Alltagslogistik. Zu einem der wichtigsten Grenzübergänge für den Fentanyl-Schmuggel haben sich Nogales an der Grenze zwischen Arizona und dem mexikanischen Bundesstaat Sonora sowie der Übergang zwischen Tijuana und San Diego entwickelt.
Aus lateinamerikanischer Sicht drängt sich deshalb zunehmend die Frage auf, ob es Trump wirklich um die Eindämmung des Rauschgifthandels geht. Oder ob er nicht eher einen Vorwand sucht, um in Lateinamerika Präsenz zu zeigen, zögerliche Verbündete unter Druck zu setzen und Gegner zu isolieren – während er sich selbst als Verfechter von Recht und Ordnung inszeniert.
