
Ange Postecoglou verzichtete darauf, in die Fankurve zu laufen. Nach der Niederlage beim Stadtnachbarn FC Chelsea bedankte sich der Trainer von Tottenham Hotspur nicht wie sonst bei den eigenen Anhängern für die Unterstützung. Er wahrte Distanz, indem er auf dem Spielfeld in der Nähe der Mittellinie verweilte und von dort aus die wütenden Kundgebungen gegen seine Spieler verfolgte. Danach zog er sich in den Kabinentrakt zurück. Es waren die passenden Bilder zu einem zerrütteten Verhältnis.
Tottenhams 0:1 (0:0) an der Stamford Bridge vom Donnerstagabend reiht sich ein in die desaströse Bilanz in den Duellen mit den Erzrivalen Chelsea und Arsenal. Seit Postecoglous Anstellung 2023 haben die Spurs sieben von insgesamt acht Partien gegen jene zwei Vereine verloren, dazu gab es ein Remis gegen Arsenal in der Vorsaison. Derzeit steht Tottenham in der Premier League mit 16 Pleiten auf Platz 14, zehn Punkte hinter Rang zehn. Die einzige Chance, um die Saison irgendwie zu retten, ist der Titel in der Europa League, der immerhin auch die Teilnahme an der Champions League bedeuten würde. Es wäre der erste Pokal seit 2008, die Wartezeit hängt wie ein Fluch über den Spurs. Im Viertelfinale geht es gegen Eintracht Frankfurt.
„Geschichte schreiben oder Geschichte sein“, fasste der frühere Spurs-Mittelfeldspieler Jamie Redknapp am Sky-Mikrofon die Situation Postecoglous zusammen. Zu dem Urteil dürfte Redknapp auch deshalb gekommen sein, weil der Trainer zunehmend die Nerven zu verlieren scheint. Als Postecoglou gegen Chelsea in der zweiten Halbzeit den beliebten Schweden Lucas Bergvall auswechselte, wurde er von den eigenen Fans verunglimpft, sie riefen: „You don’t know what you are doing“ – Du weißt nicht, was du tust.
Das ließ sich der stolze und streitbare Postecoglou nicht gefallen. Nachdem der für Bergvall eingewechselte Pape Matar Sarr vermeintlich das Ausgleichstor schoss (das wegen eines vorangegangenen Fouls letztlich wieder einkassiert wurde), drehte sich Postecoglou zu den Fans. Er hielt sich die Hand ans Ohr – als wollte er nachhören, wie die Anhänger nun seine Taktik bewerten. Die Aktion versuchte er später herunterzuspielen. Es sei unglaublich, wie Dinge „interpretiert“ würden, verteidigte er sich in der Pressekonferenz. Man habe doch ein Tor erzielt, sodass er lediglich die Fans jubeln hören wollte, weil man gerade eine harte Zeit durchmache, so Postecoglou.
Schon in Fulham geriet Postecoglou mit einem Fan aneinander
Und die Pfiffe? Würden ihm nichts ausmachen, entgegnete der 59-Jährige: Es sei ja nicht das erste Mal, dass die Fans mit seinen Entscheidungen unzufrieden seien. Der Guardian wertete die Geste als „Akt der Selbstverliebtheit, der nach hinten losgegangen“ sei. Schon bei der Auswärtspleite in Fulham vor drei Wochen geriet der leicht zu provozierende Postecoglou mit einem Zuschauer nach Abpfiff aneinander, es kam zum Wortgefecht. „Was war das (für eine Leistung)?“, brüllte ihn ein Mann an. Postecoglou konterte, er solle sich benehmen und ein paar Manieren lernen. Spieler und Betreuer mussten dazwischengehen. Ähnliche Auseinandersetzungen hatte es zuvor bereits nach Tottenhams Pleiten zu Hause gegen Leicester und auswärts in Bournemouth gegeben.
Postecoglous Vorgehen ist wohl auch als Selbstschutz zu verstehen, vor der immer größer werdenden Kritik an seiner Arbeit mit der Mannschaft. Dem Trainer wird vorgehalten, zu stur an seinem riskanten Offensivfußball festzuhalten und mitverantwortlich zu sein für die zurückliegende Verletzungsmisere. Zu Saisonbeginn hatte Postecoglou selbstbewusst angekündigt, „in der zweiten Saison immer Titel“ mit seinen Vereinen zu gewinnen. So war es bei seinen vorherigen Stationen in Australien, Japan und Schottland. Noch kann es ihm auch mit Tottenham gelingen. Was die Fans wohl dazu sagen würden?