
SZ: Frau Nahles, was bedeuten die Zölle, die der US-Präsident ständig ankündigt, für den deutschen Arbeitsmarkt?
Andrea Nahles: Das ist keine einfache Frage, die Zollsätze ändern sich ja beinahe täglich. Klar ist: Die erratische Handelspolitik der USA belastet den deutschen Arbeitsmarkt. Trumps Zölle werden uns viele Tausend Jobs kosten.
Wie viele zusätzliche Arbeitslose erwarten Sie genau?
Die Parameter ändern sich ständig, deshalb ist diese Frage nicht leicht zu beantworten. Wir haben eine Studie von unserem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und weiteren Instituten, die den Effekt eines Zollsatzes von 25 Prozent untersucht: Wir müssen davon ausgehen, dass uns die Zölle 90 000 Jobs binnen eines Jahres kosten. Das Problem ist dieser Mangel an Planbarkeit, das schadet uns massiv. Das hindert die Unternehmen daran, Investitionen zu tätigen, Menschen einzustellen und auszubilden.
Trifft das alle Branchen gleichermaßen?
Es schadet vor allem der Industrie. Besonders der Automobilindustrie und den Zulieferbetrieben. Regional ballen sich die negativen Effekte in Bremen, Baden-Württemberg, dem Saarland, Nordrhein-Westfalen – aber auch nahezu alle anderen Bundesländer sind betroffen. Vor allem kleinere Unternehmen bekommen Probleme. Daneben gibt es auch indirekte Auswirkungen: Den Handelskrieg zwischen den USA und China bezahlen wir mit einem Minus unseres Bruttoinlandsproduktes.
Aber an der Krise der Automobilindustrie ist nicht nur Donald Trump schuld.
Nein, aber die Probleme, die wir ohnehin schon haben, werden durch die Zölle noch verstärkt. Es kommen mehrere Faktoren zusammen: Die Transformation, also das Thema Dekarbonisierung und der fehlende Absatz von E-Autos, vermischt sich mit konjunkturellem Druck. Die Negativfolgen höherer Zölle kommen jetzt noch dazu.
Gibt es gar keinen Grund für Optimismus? Manche Beobachter sehen doch immerhin einen Stimmungsaufschwung im Land.
Doch, absolut. Die Lage wird erst mal schlechter werden, bevor sie besser wird. Aber wir hatten im letzten Monat immerhin erstmals wieder mehr Stellenanmeldungen als Entlassungsankündigungen. Unser Arbeitskräftebarometer ist zum zweiten Mal in Folge gestiegen. Und die neue Bundesregierung hat in ihrem Sofortprogramm einige Maßnahmen, die Hoffnung machen.
Welche genau?
Vieles geht in die richtige Richtung. Die geplanten steuerlichen Erleichterungen, niedrigere Strompreise, Investitionsanreize – all das stärkt die Industriearbeitsplätze. Das ist entscheidend. Auch die Pläne für die erleichterte Fachkräfteeinwanderung finden wir interessant, denn wir müssen bei dem Thema endlich schneller werden. Aber es dauert, bis sich diese Maßnahmen positiv auf den Arbeitsmarkt auswirken werden. Das geht nicht von heute auf morgen. Vor Mitte oder Herbst 2026 werden wir vermutlich keine positiven Effekte erleben.
Welche konkreten Maßnahmen würden helfen?
Wir müssen neue Märkte erschließen. Handelsabkommen schnell abschließen oder verhandeln. Innovationen erleichtern, ich denke da an den ganzen Bereich der künstlichen Intelligenz. Wir müssen die Digitalisierung vorantreiben, Genehmigungen beschleunigen, all diese Dinge helfen dem Arbeitsmarkt. Und es ist auch gut, dass Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen Kurzarbeitergeld beantragen können, wenn sie von den Auswirkungen möglicher Zölle getroffen werden.
Der Arbeitsmarkt ist schon ziemlich widersprüchlich. Viele Unternehmen entlassen Mitarbeiter, andererseits klagt die Wirtschaft über Fachkräftemangel. Behebt die Krise der einen das Problem der anderen?
Es wird vermutlich nicht ganz so smooth laufen, aber ja: Der Grundgedanke passt. Wenn wir erfahren, dass ein Unternehmen Mitarbeitende entlässt, versuchen wir, andere Unternehmen in der Region zu finden, die Personal suchen. Dann bringen wir sie zusammen, damit erst gar keine Arbeitslosigkeit entsteht. Wir nennen das Arbeitsmarktdrehscheibe. Seit einer Gesetzesänderung 2020 dürfen wir als Bundesagentur für Arbeit auch präventiv tätig werden und schon beraten, wenn Beschäftigte von Arbeitslosigkeit noch nicht betroffen, aber bedroht sind.
Und funktioniert das?
Es funktioniert, wenn es alle wollen, die Arbeitgeber und die Beschäftigten. Derzeit laufen mehr als 30 solcher Arbeitsmarktdrehscheiben, bei einigen waren wir sehr erfolgreich. Wir treffen aber auch auf viele Vorbehalte. Etwa in der Industrie, wo Menschen sich lange nicht vorstellen konnten, dass sie mal arbeitslos werden könnten. Die lebten in dem Gefühl: Wir sind Fachkräfte in der Schlüsselindustrie der deutschen Wirtschaft. Das macht etwas mit dem Selbstverständnis der Menschen, wenn sich die Lage so dramatisch ändert. Deshalb müssen wir behutsam beraten und viele Gespräche führen. Aber das lohnt sich.
Konzerne zahlen teilweise so hohe Abfindungen, dass die Menschen nicht weiterarbeiten müssen, auch wenn sie noch ein paar Jahre bis zur Rente haben.
Individuell betrachtet kann ich es nachvollziehen, wenn die Betroffenen das Geld nehmen und aufhören. Für den deutschen Arbeitsmarkt ist das aber ein Problem. Wir geben alles, um die Menschen davon zu überzeugen, im Arbeitsleben zu bleiben. Eine Lösung wäre, Abfindungen nicht auf einmal auszuschütten, sondern über einen längeren Zeitraum monatlich. Dann kann es attraktiv sein, noch mal einen anderen Job anzunehmen, auch wenn der vielleicht schlechter bezahlt ist. Das geht aber nur, wenn alle Seiten einverstanden sind.
Mancher denkt sich vielleicht auch, das ist ein guter Ausstieg, bevor mir eine künstliche Intelligenz die Arbeit wegnimmt. Wie groß wird der Umbruch durch KI?
Ich sehe das Thema KI als Chance. KI ist nicht das Problem, sondern ein Teil der Antwort. Bis 2035 werden uns sieben Millionen Fachkräfte fehlen. KI-Anwendungen werden einen Teil dieser demografischen Lücke schließen.
Viele Menschen fühlen sich durch diese neue Technologie eher bedroht.
Das verstehe ich. Jede Veränderung erzeugt Unsicherheit. Aber KI bringt auch viele Vorteile und mehr Effizienz. Natürlich muss man Regeln verabreden: Wir haben uns in der Bundesagentur ein Wertefundament gegeben, die BA-Datenethik. Damit stellen wir sicher, dass wir KI passend zu gesellschaftlichen Grundwerten einsetzen und keine Vorurteile oder Verzerrungen implementiert werden.
Und welche Aufgaben erledigt die KI bei der Jobvermittlung?
Wir nutzen KI bei uns als Unterstützung. Zum Beispiel zur automatisierten Bewertung von Studienbescheinigungen. Im Arbeitgeberservice haben wir eine automatische Verarbeitung von Stellenangeboten eingeführt. Darüber hinaus entwickeln wir Tools, die unseren Leuten die Arbeit erleichtern sollen, etwa bei der Formulierung von Bescheiden. Dabei hilft uns Aleph Alpha, ein Unternehmen aus Heidelberg. Alles, was geht, sollten wir in Europa, am besten in Deutschland machen.
Warum?
KI hat viel Potenzial, im Guten wie im Schlechten. Ich bin für deutsche und europäische Souveränität bei dem Thema. Das bedeutet für mich, nicht abhängig zu sein von einem Anbieter. Bei KI halte ich es für noch möglich, dass Europa nicht nur Anschluss gewinnt, sondern diese Souveränität auch behält. Im Koalitionsvertrag lese ich, dass die Bundesregierung große Pläne hat im ganzen Bereich der Digitalisierung und der Modernisierung der Verwaltung. Das begrüße ich ausdrücklich, wir müssen da sehr schnell handeln.
Insgesamt ist die Stimmung in Deutschland polarisiert. Zuletzt war der Ton in der Debatte um das Bürgergeld sehr rau. Wie empfinden Sie das?
Wie die Diskussion in den letzten eineinhalb Jahren gelaufen ist, macht mich eher traurig. Erst hieß es, wir seien zu streng, dann waren auf einmal alle „Totalverweigerer“ und wir haben die Leute nicht „hart genug angepackt“ – alles innerhalb von einem Jahr. Da wurde auf allen Seiten irrational übertrieben. Wir als Bundesagentur für Arbeit haben Sanktionen immer für sinnvoll erachtet, auch wenn sie für die Mehrheit der Menschen, mit denen wir zu tun haben, nicht notwendig sind.
Wie viele Totalverweigerer gibt es denn?
Wir haben im vergangenen Jahr in ganz Deutschland rund 23 000 Fälle gehabt, bei denen wegen verweigerter Kooperation Zahlungen reduziert wurden. Im Verhältnis zu den Millionen Menschen, die Bürgergeld beziehen, ist das wirklich keine große Zahl. Wir dürfen nicht vergessen: Verallgemeinerungen schaden nur und tragen zur Polarisierung der Gesellschaft bei. Ich kann nur dafür plädieren, sich immer den einzelnen Menschen mit seiner persönlichen Situation anzuschauen. Das gilt übrigens nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern insgesamt im Leben.