
Dass Identifikation nicht immer eine lange Tradition braucht, ist an jeder Ecke des Unterhachinger Sportparks zu sehen und zu hören: T-Shirts mit dem Umriss des Freistaats Bayern auf schwarz-blauem Grund, selbstgemachte Fahnen werden geschwenkt, der Stadionsprecher schreit: „Ravens, des samma mia“. „Als begeisterter Football-Fan hast du mitbekommen: München bekommt ein Team. Der NFL-Hype war schon da. Ein halbes Jahr später kam die Fanklub-Gründung“, erzählt Roman Spuling von der „Munich Ravens Crowd“, die zum ersten Auswärtsspiel 2023, damals bei den Helvetic Mercenaries in Zürich, aus fünf Mitgliedern bestand. Zwei Jahre später sind es rund 200, einige davon sind bei jedem Auswärtsspiel dabei. Am Sonntag ging es wieder gegen die Mercenaries, die Ravens dominierten gnadenlos, am Ende stand ein 58:14 auf der kleinen Anzeigetafel, die Dominanz war sogar noch klarer, das Spiel plätscherte in schwülwarmem Ambiente dahin. Doch die Stimmung blieb prächtig, in der letzten Spielminute versuchen sie sogar noch eine La Ola, was ein wenig selbstironisch daherkommt angesichts von 2425 Zuschauern.
„Diese Entspanntheit, dieses Laissez-faire, das Entertainment, die freundliche Stimmung beim Football finde ich immer wieder beeindruckend“, sagt Thomas Krohne, der Besitzer der Ravens, und darin sieht er auch das Potenzial. Auf American Football wurde der 63-Jährige einst aufmerksam, weil seine Söhne bei den München Rangers spielten. Bekannt ist Krohne aber vor allem, weil er sechs Jahre Präsident des Deutschen Volleyball-Verbands und fünf Jahre Aufsichtsrat bei Werder Bremen war. Ein „Owner“ wurde er dann auch „ein bisschen aus dem Interesse heraus, als Unternehmer eine Franchise zu führen“, sagt er.
Krohne weiß ziemlich genau, was für die Professionalisierung eines Standorts nötig ist. „Einige Franchises haben zwei bis drei Angestellte, ich komme auf ungefähr 20“, sagt er, noch dazu 50 bis 60 ehrenamtliche Mitarbeiter. Banner anbringen, Absprachen mit der TV-Crew treffen, die Torstangen montieren, vor dem Stadion die Fan-Party organisieren, das Catering für die oft sehr hungrigen Spieler sichern – all das und viel mehr kann kaum in einem Amateurbetrieb stattfinden. Deshalb ist es für das gesamte Team ein wenig enttäuschend, wenn die Besucherzahlen sinken. In der ersten Ravens-Saison hatten sie einen Schnitt von 6000 Besuchern erreicht. „Ganz zufrieden bin ich ehrlich gesagt nicht“, sagt Krohne deshalb auch, schon allein, weil der Werbeaufwand steigt. Aber sportlich läuft es für die Ravens ganz gut nach vier Partien mit drei Siegen, „wir haben das beste Team seit drei Jahren“, findet Krohne.
57:3, 43:0, 35:0: Die European League of Football hat insgesamt ein Langeweile-Problem
Doch die European League of Football (ELF) hat insgesamt ein Langeweile-Problem, wie der vorige Spieltag nicht nur im Sportpark Unterhaching unterstrich: Wroclaw in Köln: 57:3. Die Rhein-Fire aus Düsseldorf gegen Hamburg: 43:0. Nordic Storm Kopenhagen gegen Frankfurt Galaxy: 35:0. Richtig spannend, das ist jetzt schon klar, wird es erst ab den Playoffs Ende August.
„Hier wurde von Anfang an sehr viel richtig gemacht“, sagt der Runningback Justin Rodney über den Münchner Standort. Er wechselte aus Frankfurt hierher, mit der Galaxy holte er 2021 den ELF-Premierentitel. Die Münchner Fans seien „sehr kreativ“, der Crowd-Fanklub rufe ständig „No Ravens, no party“ aus. „Die Höhen und Tiefen gibt es, es sind schon einige Teams verschwunden, einige neu“, räumt er ein, die Entwicklung sei gewiss recht holprig. „Letztlich ist das alles ein Startup, Sachen müssen sich etablieren“, sagt Rodney. Gut möglich, dass die Liga noch einige europäische Städte kommen und gehen sieht. Umso wichtiger dürfte es den Verantwortlichen sein, dass vielerorts schon verlässliche Fan-Basen entstehen.
Aber auch der Werdegang der ELF selbst gleicht dem Lauf eines Runningbacks, der ständig gerempelt wird und sich irgendwie auf den Beinen hält. Weiter ungeklärt ist etwa die Entlohnung für die Ausbildung von Spielern, die fast immer von deutschen Bundesliga-Klubs stammen. Spieler und Schiedsrichter dürfen auch nicht in der GFL und der ELF gleichzeitig tätig sein, was die sportliche Entwicklung hemmt. Hinter der ELF steht die SEH Sports & Entertainment Holding des Unternehmers Zeljko Karajica. Die SEH hatte sich unter anderem auch im Fußball eingekauft, beim Regionalligisten Viktoria Berlin, in Österreich bei Austria Klagenfurt, in Kroatien bei HNK Sibenik. Alle drei Mannschaften sind heuer abgestiegen (in Klagenfurt trat kürzlich übrigens der frühere 1860-Geschäftsführer Günther Gorenzel zurück), alle drei wurden mit finanziellen Problemen in Verbindung gebracht. Eine Anfrage, ob auch die ELF finanzielle Probleme hatte, ließ die SEH bis Dienstag unbeantwortet. Wenn es sie gab, dürften sie erst einmal vom Tisch sein, denn gute Nachrichten gibt es auch: Kürzlich stieg ein Investoren-Trio ein, die Kapitalerweiterung dürfte rund zehn Millionen US-Doller betragen. Und für TV-Zuschauer sind die Spiele jetzt auch auf Dazn zu sehen, wenn auch mit zusätzlichen Kosten.
München gehört schon jetzt zu den Flaggschiffen der Liga, und das nicht nur, weil Thomas Krohne zugleich ELF-Mitinhaber ist. Er mache Sachen eben ganz oder gar nicht, sagt er. Die Struktur ist weitgehend professionell, bis hin zu einem großen Stab an Physios. Das alles kostet. Das Budget der Ravens bewege sich zwischen 2,5 und drei Millionen Euro, und er erwähnt auch: „Wir sind definitiv noch nicht profitabel.“ Ziel sei deshalb, auch aus wirtschaftlicher Sicht, in den Playoffs ein Heimspiel abhalten zu können. Dann, spätestens, dürfte es wieder voller werden.