Alzheimer-Forscher soll über 100 Publikationen manipuliert haben – Wissen

Ein führender Hirnforscher soll laut Recherchen des Fachmagazins Science im großen Stil Bilder in Publikationen manipuliert haben. Von den ungefähr 800 wissenschaftlichen Artikeln, die Eliezer Masliah im Laufe seiner Karriere veröffentlicht hat, sollen mindestens 132 gefälschte Bilder enthalten.

Bereits 2023 wurden Unregelmäßigkeiten in mehreren Veröffentlichungen des viel zitierten Wissenschaftlers im Online-Forum PubPeer gepostet, woraufhin Science eine größere Untersuchung anregte. Das Ergebnis, ein 300-seitiger Bericht, habe eine bemerkenswert große Menge wissenschaftlicher Arbeiten infrage gestellt, schreibt Science. Nachdem sie Hunderte Bilder als Fälschungen identifizieren konnten, brachen die Autoren die Suche ab, sie hätten bereits mehr als genug Beweise für ein Fehlverhalten gesammelt. Sie seien sich sicher, dass weitere Untersuchungen noch mehr gefälschte Bilder ans Tageslicht gebracht hätten.

Die National Institutes of Health (NIH), eine Behörde des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums, hat laut einer Pressemitteilung zur gleichen Zeit die Vorwürfe untersucht. Dort werden nur zwei Publikationen genannt, in denen Bilder manipuliert worden seien. Als Folge sei Masliah von seiner Rolle als Direktor der Abteilung für Neurowissenschaften freigestellt worden. Masliah selbst war für eine Äußerung zu den Vorwürfen nicht zu erreichen.

Dutzende Firmen forschen an Medikamenten aufgrund gefälschter Forschungsergebnisse

Fälschungen von Publikationen sind ein bekanntes Problem, die aktuellen Vorwürfe gegen Masliah sind jedoch von außergewöhnlicher Bedeutung: Er ist einer der meistzitierten Forscher in seinem Fachgebiet und konnte als Direktor an den NIH laut Science 2,6 Milliarden Dollar verwalten. Damit habe er den wissenschaftlichen Diskurs maßgeblich beeinflusst. 238 aktive Patente zitierten seine Arbeiten mit gefälschten Bildern, und Dutzende Firmen würden derzeit Medikamente aufgrund seiner Forschungsergebnisse entwickeln.

Eines dieser Medikamente ist Prasinezumab. Es soll als Antikörper die kognitiven und körperlichen Symptome von Parkinson bekämpfen, Masliahs Studien sollen laut Science Einfluss auf die Zulassung des Medikaments für Versuche am Menschen gehabt haben. Eine im New England Journal of Medicine erschienene Studie legte jedoch nahe, dass das Medikament trotz Nebenwirkungen den Krankheitsverlauf nicht verbessern kann. Der Schweizer Pharmakonzern Roche finanziert trotzdem eine weitere Studie an knapp 600 Probanden, um die Effektivität des Medikaments erneut zu bewerten. Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung teilte das Unternehmen mit, dass eine Reihe von Studien die Effektivität des Medikaments nahelegen würden, nicht nur die von Masliah womöglich manipulierten. Deshalb wolle man die laufende Untersuchung fortsetzen.

Masliahs Fall weist auf grundsätzliches Problem in der Forschung hin

„Ich bin fast vom Stuhl gefallen“, sagte der Biochemiker Christian Haass gegenüber Science zu den Vorwürfen. Er erforscht die biologischen Mechanismen hinter Alzheimer und Parkinson an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er habe Zweifel, dass andere Forschende von den Fälschungen nichts mitbekommen haben. „Ich meine wirklich, die müssen etwas wissen“, sagte er dem Magazin. Betroffene Forscher seien entweder verstorben oder äußerten sich nicht zu den Vorwürfen, schreibt Science.

Fälschungsvorwürfe gegenüber wissenschaftlichen Veröffentlichungen sind schon lange keine Seltenheit mehr. Allein im Jahr 2023 sind laut einem Artikel des Fachmagazins Nature mehr als 10 000 wissenschaftliche Publikationen zurückgezogen worden, oft wegen des Verdachts gezielter Manipulation.

Forschende stehen oft unter dem Druck, außergewöhnliche Ergebnisse zu produzieren, auch wenn ihre Studien das eigentlich nicht hergeben. Denn an der Aufmerksamkeit, die ein Forschungsprojekt generiert, entscheidet sich, wie viel Geld Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für zukünftige Projekte bekommen. Ob auch sauber gearbeitet wurde, wird womöglich nicht ausreichend überprüft, auch weil die Verleger von Journals nur wenig Anreize dazu haben. „Die Herausgeber und die Peer-Reviewer machen ihre Arbeit nicht. Und einige werden mit viel Geld bezahlt“, sagte Alison Avenell von der Universität Aberdeen der britischen Zeitung Guardian. „Das ist äußerst besorgniserregend.“