Alte Pinakothek zeigt das Werk der Malerin Rachel Ruysch

Sie wusste, dass sie in ihrer Kunst die Beste war, und sie zeigte es. Auf dem Familienporträt, das sie zusammen mit ihrem Ehemann, dem Maler Juriaen Pool, um 1716 schuf, spielt der Gatte die zweite Geige – im Halbdunkel stehend, zeigt er mit der linken Hand auf eine Staffelei mit einem Blumenstillleben seiner Frau. Das Licht aber fällt auf Rachel Ruysch und den gemeinsamen Sohn Jan Willem im Bildvordergrund, das Kind der Mutter, die Mutter dem Betrachter zugewandt. Sie stützt ihren Kopf in ihre Rechte, in einer Geste selbstbewusster Künstlerschaft, und die Blumen auf dem Tisch neben ihr neigen zustimmend ihre Häupter dazu.

Rachel Ruysch war einundfünfzig, als das Gemälde entstand, und seit acht Jahren Hofmalerin des pfälzischen Kurfürsten Johann Wilhelm, dem ihr Sohn auch seine Vornamen verdankte. Zu Ehren der Künstlerin kam der Regent, der in Düsseldorf das erste Kunstmuseum nördlich der Alpen gründete, 1711 mit seiner Gattin Anna Maria de’ Medici zur Taufe des Kindes nach Amsterdam.

„Blumenstillleben in einer Glasvase auf einem Marmorsims“, 1710
„Blumenstillleben in einer Glasvase auf einem Marmorsims“, 1710National Gallery, London/Private Collection

Rachel Ruysch wiederum besuchte die Düsseldorfer Residenz ihres Mäzens während ihrer gesamten Hofmalerinnenzeit nur zwei Mal, und sie belieferte Johann Wilhelm keineswegs exklusiv. Solche Privilegien verdankte sie ih­rem Ruhm: Das halbe aristokratische Europa, vom Wiener bis zum Florentiner Hof, bestellte Blumenbilder bei ihr, und das Besitzbürgertum der großen Handelsstädte verzehrte sich nach ihren Arrangements von Blüten, Faltern und Reptilien.

Die Gemäldegalerie Johann Wilhelms wurde nach seinem Tod zu großen Teilen an die bayerischen Kurfürsten verkauft. Dass die Münchner Alte Pinakothek jetzt Rachel Ruyschs Lebenswerk zeigt, bevor die Präsentation nach Toledo und Boston weiterzieht, ist deshalb nur folgerichtig. Trotzdem wäre eine Ausstellung wie diese noch vor einer Generation undenkbar gewesen. Seinerzeit wurden Stilllebenmaler, von Ausnahmegenies wie Willem Kalf abgesehen, en gros und nicht als Individuen gezeigt. Das Genre gab den Rahmen vor, nicht die Einzelleistung, und Künstlerinnen liefen als Kuriosität nebenher. Seit ein paar Jahren aber hat sich der Wind gedreht, und nun entdeckt man eine klassische Malerin nach der anderen – nach Judith Leyster Sofonisba Anguissola und Artemisia Gentileschi endlich auch die Blumenvirtuosin Ruysch.

Familienoberhaupt: Rachel Ruysch mit Ehemann und Sohn auf einem Doppelselbstporträt von 1716
Familienoberhaupt: Rachel Ruysch mit Ehemann und Sohn auf einem Doppelselbstporträt von 1716Stadtmuseum Landeshauptstadt Düsseldorf

Zum Glück haben die Münchner Kuratoren der Versuchung widerstanden, Ruysch zur Ikone des Feminismus umzuschminken. Ihr Leben in der damals einzigen Bürgerrepublik Europas, den Niederlanden, bietet dafür keine Handhabe. Frederik Ruysch, der Vater, ein bekannter Anatom und Leiter des Bo­ta­ni­schen Gartens in Amsterdam, gibt die 1664 geborene Tochter zu einem Stilllebenmeister in die Lehre, Willem van Aelst. Nach dessen Tod macht sich die neunzehnjährige Rachel selbständig. Als sie zehn Jahre später heiratet, ist sie bereits eine Marke.

Ein kurz vor der Hochzeit entstandenes Porträt zeigt sie mit Pinsel und Palette vor einem Musterbuch, Blüten und Blumenstängel ordnend, die sie auf einem Gemälde vereinen will. Mit Juriaen Pool hat sie zehn Kinder. 1701 wird das Ehepaar in die Haager Malergilde aufgenommen, 1723 gewinnen die beiden den Jackpot der niederländischen Lotterie, 75.000 Gulden, was dem Gegenwert mehrerer Stadthäuser entspricht. Sie setzen sich zur Ruhe.

Symphonie in Rot, Grün und Orange: „Früchtestück“, 1710
Symphonie in Rot, Grün und Orange: „Früchtestück“, 1710Johnny Van Haeften/Bridgeman Images

Bis zu ihrem Tod 1750 malt Rachel Ruysch noch fast jedes Jahr ein Bild, das letzte, ein Arrangement aus Winden, Margeriten, Hahnenfuß, einer Tulpe und einer Melone, mit dreiundachtzig. Sie notiert ihr Alter rechts unten neben der Signatur. Das Bild ist so makellos wie jedes ihrer Gemälde aus den gut sechzig Jahren zuvor.

Das eine postkartenfähige Meisterwerk wie Van Goghs „Sonnenblumen“ gibt es bei Rachel Ruysch nicht. Wer durch die Münchner Ausstellung geht, begegnet siebenundfünfzig meisterhaften Kompositionen aus Flora und Fauna, alle mit derselben Unbedingtheit im Detail und derselben erlesenen Balance von Farben und Formen, Blüten und Blattwerk, hellen und dunklen Partien. Mal ist die diagonale Bewegung von links unten nach rechts oben, die zumal in Ruyschs Frühwerk auffällt, stärker betont, mal mischen sich Früchte, Vogelnester und totes Laub in die stumme Symphonie der Blumen, aber kein einziges Mal lässt die Spannung nach, die diese ekstatisch kühlen, wie nächtliche Visionen aus ihrem tiefschwarzen Hintergrund aufsteigenden Bilder zusammenhält.

Koloniale Kostbarkeiten: „Stillleben mit exotischen Früchten auf einem Marmorsims“, um 1735
Koloniale Kostbarkeiten: „Stillleben mit exotischen Früchten auf einem Marmorsims“, um 1735Rick Andersen

Eins der wenigen Gemälde, das aus dieser Parade der Perfektion dennoch heraussticht, ist das „Stillleben mit Teufelstrompeten, Päonien, Hibiskus, Passionsblumen und anderen Pflanzen“ von 1700. Hier treibt Ruysch den Exotismus, der für die Schlussphase des Goldenen Zeitalters der Niederlande charakteristisch war, auf die Spitze. Die Gewächse, die sie um die beiden Blüten des indischen Stechapfels, Datura metel, in der Bildmitte gruppiert hat – darunter Kaplilien, Kaplöwenzahn, ein afrikanischer Ordensstern, eine nordamerikanische Klettertrompete und eine Ananasfrucht –, stammen aus allen Ecken des bereits schrumpfenden nieder­län­di­schen Kolonialreichs. Im Botanischen Garten ihres Vaters und auf den Bildern der eine Generation älteren Maria Sibylla Merian konnte Ruysch sie studieren.

Aber die Form, die sie ihnen gibt, hebt sie über den Rang bloßer Exotika hinaus. Die vielfarbige Kaskade aus steigenden und stürzenden Blüten, die durch eine herabschwirrende Gottesanbeterin am oberen und eine hungrige Heuschrecke am unteren Bildrand zusätzlich in Unruhe versetzt wird, scheint von einem Windstoß erfasst, der sie im nächsten Moment zerpflücken wird. Nur einen Wimpernschlag lang verharrt die Natur in der Ordnung, die der Mensch ihr verliehen hat. Die Symbolik, die das Bild ausstrahlt, ist keine erzwungene, sie ergibt sich aus der zur Vollkommenheit getriebenen Methodik des Stilllebens selbst. Die Blütenfülle, im Gemälde unvergänglich gemacht, wird zum Inbegriff irdischer Vergänglichkeit.

Der Gipfel einer langen Tradition: „Blumenstrauß“, 1715
Der Gipfel einer langen Tradition: „Blumenstrauß“, 1715Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Ruyschs Blumendramen sind kein Memento mori. Aber der Tod steht in diesem Schauspiel der Schönheit von Anfang an mit auf der Bühne. Die Eidechsen im Vordergrund vieler Bilder verdanken ihr Blau nicht ihrem Lebensraum – dort sind sie grün –, sondern dem Alkohol, der sie konserviert hat. In ihren Anfängen drückte Ruysch die Flügel der Schmetterlinge, die sie malte, oft direkt in die Leinwand; Zellgewebespuren der Opfer haben sich erhalten. Später erweckte sie ihre Admiralsfalter, blauen Morphos und zitternden Libellen nur noch mit dem Pinsel. Wenn man länger hinsieht, scheinen sie sich aus den Blumengebinden zu lösen, ein zarter Tanz zwischen Augenblick und Ewigkeit.

In Rachel Ruyschs Bildern gipfelt eine gut zweihundertjährige Tradition, die über Abraham Mignon, Verbruggen und De Heem bis zu Jan Brueghel dem Älteren zurückreicht. Virtuoser und makelloser hat niemand mehr Blumenstillleben gemalt, erfolgreicher auch nicht. Der bürgerliche Kunstmarkt schrumpfte nach 1700 parallel zum Niedergang der holländischen Seemacht, die adlige Klientel richtete ihren Sammlerblick nach Italien und Frankreich, die Wissenschaften, deren Großtaten die Ausstellung einen eigenen Raum widmet, wanderten nach England aus. So kann man bei Ruysch auch die späte Blüte eines Zeitalters besichtigen, das mit dem Wachwechsel auf den Weltmeeren endete. Hier sieht man von den Stürmen der Geschichte nicht mehr als das Zucken eines Insektenflügels. Darin liegt die Grenze dieser Kunst und ihr Triumph.

Rachel Ruysch. Nature into Art. Alte Pinakothek München, bis 16. März. Katalog 39,90 Euro.