Alfred Brendel: So reich kann ein Leben sein

Fünf Einlegeblätter aus dem kleinen grünen Notizbuch verraten, dass Alfred Brendel im Laufe seiner Karriere 158-mal mit Beethovens Fünftem Klavierkonzert aufgetreten ist, von Südamerika bis Japan, erstmals als 18-Jähriger in Graz 1949, letztmals 2005 in München mit Christian Thielemann. Penibel notierte der Pianist über Jahrzehnte Ort, Jahr, Orchester und Dirigent seiner Konzerte in aller Welt, leider nicht die Soloabende, wie er selbst bedauert. Aber schon diese Liste ergäbe fast 1.800 Auftritte mit 55 verschiedenen Werken. Bewundernswert ist das allemal, und wer allein die Blätter zum Beethoven-Konzert sieht, in sauberer, regelmäßiger Schrift, abgebildet in Brendels neuem Essayband Naivität und Ironie, der weiß nicht, worüber er mehr staunen soll: über die Leistung an sich, über ein atemberaubend geglücktes Künstlerleben oder doch über eine praktische, dabei formvollendet selbstironische Lebensbilanz in Listenform. Das Skurrile und Hintersinnige – es war immer ein Markenzeichen des mittlerweile 94-jährigen Wahl-Londoners.