
Schwer zu sagen, wo man bei Alfred überhaupt anfangen soll: Für jeden Musiker meiner Generation war er einfach immer da. Der Inbegriff von Integrität, der Inbegriff auch eines einzigartig tiefgründigen Humors.
Zum ersten Mal habe ich ihn in Liverpool gehört, mit Mozarts Klavierkonzert KV 482 – unvergesslich für einen sicher leicht zu beeindruckenden 14-Jährigen. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass meine erste Zusammenarbeit mit ihm in derselben Stadt erfolgen sollte. Da war ich zwanzig. Dieses Erste Klavierkonzert von Beethoven war der Auftakt zu einer langen Reise des Lernens und auch der Freundschaft in den nachfolgenden Jahrzehnten. Ich kann gar nicht genug betonen, wie viel ich von Alfred gelernt habe – und wie schmerzlich offensichtlich für mich die steile Lernkurve war, die es zu durchlaufen galt, um zu einem auch nur annähernd adäquaten Partner für ihn werden zu können. Ich erinnere mich sehr deutlich an das Gefühl, an seiner Seite stets freundlich, aber entschieden über mein jeweiliges Können hinaus musikalisch gefordert zu sein. In der Arbeit mit ihm tat sich eine immense Freiheit auf – in einem strengen Rahmen. Ich bin ihm zutiefst dankbar dafür, dass er bereit war, mich fast vierzig Jahre lang besser zu machen.
Ich habe Alfred oft in seinem Haus in Hampstead besucht. Dort lernte ich eines Tages seinen Freund Isaiah Berlin kennen, der an sich schon eine Respekt einflößende Persönlichkeit war. Er sagte zu mir: „Wissen Sie, ich glaube nicht, dass Alfred jemals einen unoriginellen Gedanken hatte.“ Eine erstaunliche, aber sicher zutreffende Beobachtung, denn Berlins Intellekt war zweifellos in der Lage, seinesgleichen zu erkennen.
Oft waren wir aber auch unter uns, hörten einander zu und diskutierten. Bereitwillig lauschte er den Interpretationen, die ich mitbrachte, wie er das auch bei zahllosen anderen Musikern tat. Meine Partituren sind voll von seinen Erkenntnissen und Empfehlungen. Mitten hinein in meine offensichtlich schwermütige Interpretation des Trauermarschs von Beethovens Eroica notierte ich seinen niederschmetternd ehrlichen Kommentar: „Simon, hast du einmal darüber nachgedacht, dass es so etwas wie aktive Trauer geben könnte?“
Oft ging es aber auch um konkrete Weisheiten. Wie lassen sich gewisse harmonische Wendungen und Reibungen im Konzert verbindlich auflösen und gestalten? Das ist schwer, für die Musik aber oft unerlässlich. Und immer ging es bei ihm um Ermutigung, auf eine gleichzeitig großzügige und herausfordernde Weise. Auch die zeitgenössische Kunst, eine seiner stillen Leidenschaften, auch Politik und Literatur gehörten zur Mischung unserer Gespräche. Und sein Humor, wie gesagt, diese fast surreale Art, sich über die Welt um ihn herum zu belustigen. Dies wird meine stärkste Erinnerung an Alfred bleiben und zugleich der Grund, warum es unmöglich ist, sich ohne ein Lächeln an ihn zu erinnern. Selbst in dieser Zeit der Trauer.
Und dann war da noch der Alfred, der als junger Mann einmal eine Schildkröte mit aufs Podium brachte und herumführte, um seine Gefühle gegenüber dem Publikum zum Ausdruck zu bringen. Auch dieser freundliche Teufel in ihm hatte hin und wieder seinen Auftritt.
Alfred hasste Musikberieselung. In einem Restaurant in Birmingham erspähte er einst ein dünnes Kabel, das zu einer Musikanlage führte. „Dafür habe ich genau das Richtige“, sagte er und zog eine kleine Isolierschere aus seiner Jacketttasche. Wir staunten, während er fix das Kabel durchtrennte, und er sagte: „Keine Sorge, vor morgen merken die das gar nicht, und es kann Wochen dauern, bis sie das Kabel überhaupt entdecken!“
So war er: unverwechselbar und immer überraschend. Und selbst seine gelegentlich etwas schärferen Kanten waren zutiefst liebenswert.
Was für ein Privileg, dass er Teil unseres Lebens gewesen ist.
Aus dem Englischen von Michael Adrian