

Mann kann Tabus brechen, und Mann kann über Gefühle reden. Am 8. November geht es im Stadthaus Frankfurt um psychische Gesundheit von Männern – das Frankfurter Netzwerk für Suizidprävention lädt zum Infotag unter dem Titel „Mann kann“. In Vorträgen, Gesprächsrunden, Workshops und Erfahrungsberichten geht es um viele verschiedene Aspekte psychischer Gesundheit: das Sprechen über Gefühle, das Zeigen von Verletzlichkeit und das Brechen von Tabus.
Wie Enttabuisierung funktionieren kann, zeigt Walter Kohl, der Schirmherr des Netzwerks. Der Sohn des früheren Kanzlers spricht offen über seinen Umgang mit dem Suizid seiner Mutter und machte auch seinen eigenen Suizidversuch öffentlich. Heute bezeichnet er die Suizidprävention als sein Herzensprojekt und sich selbst als einen „Wahlkämpfer für das Leben“. Sein Anliegen sei dabei primär, „durch das Teilen von Erfahrungen zu enttabuisieren und durch das Teilen von Gefühlen insbesondere Männern zu zeigen: ‚Du bist kein Versager, wenn du diese Gefühle hast, wenn du zu deinen Gefühlen stehst und dich einem Menschen öffnest, um eben der eigenen Suizidalität lösungsorientiert zu begegnen‘.“
„Der erste Schritt ist zu sagen: Ich kann mich öffnen“
Viele Männer hätten nicht gelernt, sich zu öffnen und über Gefühle zu sprechen, gerade auch in seiner Generation, den „Boomer-Männern“, wie Kohl sie lächelnd nennt. „Ich gehöre zu den Menschen, die das in der Herkunftsfamilie nicht gelernt haben“, so der 62 Jahre alte Unternehmer. „Das heißt, der wirklich ganz große und schwierige erste Schritt ist, zu sagen: Ich kann mich öffnen.“ Darauf sei auch der Infotag ausgelegt. Nach diesem ersten Schritt sei es dann einfacher, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Doch gerade an solchen Angeboten fehlt es laut Kohl in Deutschland. Das FRANS, wie das Frankfurter Netzwerk für Suizidprävention abgekürzt heißt, bringe das Thema in der Stadt nach vorne. „Aber eigentlich bräuchten wir hunderte von FRANS in Deutschland“, sagt Kohl. „Wir bräuchten das flächendeckend quer durch die Republik.“
Auf Veranstaltungen des Netzwerks spricht er offen über den Weg hin zu dem Punkt, an dem er sich das Leben nehmen wollte, aber vor allem darüber, wie er diese Krise überwunden hat. Die Zeit vor dem Suizidversuch bezeichnet er dabei als eine Art Tunnel. „Der innere Tunnel, der bildlich gesprochen in die Suizidalität führt, hat am Anfang einen großen Querschnitt und wird, je mehr sich der Mensch in diese Suizidalität hineinbewegt, immer enger, dunkler, und dadurch werden mögliche Handlungen der Prävention immer schwieriger.“
Seine Mutter nahm sich im Kinderzimmer das Leben
Es sei allerdings immer möglich, diesem Tunnel zu entkommen. Dabei helfe auch die Frage: „Was ist mein Traum, wie würde ich gerne leben?“ Er selbst habe sich nach seinem Suizidversuch 100-Tage-Zeiträume gesetzt und sich für jeden dieser Zeiträume eine Hausaufgabe gegeben. Angetrieben habe ihn dabei ein Buch des österreichischen Neurologen und Psychiaters Viktor Frankl, der drei Jahre in mehreren Konzentrationslagern überlebt hat. „Er hat als zentrales Überlebensargument für sich im Buch gesagt: Ich hatte ein Wofür für danach“, erklärt Kohl. Deshalb habe er sich selbst auf die Suche nach seinem „Wofür“ gemacht. „Und irgendwann habe ich dann festgestellt, ich brauche die 100 Tage nicht mehr, denn ein neues Leben hat sich entwickelt“, sagt Kohl.
Gleichzeitig spricht er aus der Perspektive eines Angehörigen. Seine Mutter nahm sich 2001 in seinem Kinderzimmer das Leben. Die Zeit nach dem Suizid einer geliebten Person beschreibt Kohl heute als eine „emotionale Geisterbahnfahrt, in der alle Ängste und Schrecken, alle vermeintlichen eigenen Fehler auf einen einprasseln“. Auch hier müsse es Angebote geben, um Angehörigen durch diese Zeit zu helfen. „Da gilt für mich das Gleiche wie bei der Suizidprävention“, sagt der Schirmherr. „Enttabuisierung, Teilen von Erfahrungen, Teilen von Lösungsmechanismen, wie geht man damit um, und durch dieses Teilen eine Auflösung der eigenen Sprachlosigkeit und Einsamkeit.“
Von der Politik, die Kohls Leben lange geprägt hat, wünscht er sich eine zentralisierte Initiative, „so, wie es mal eine Initiative zu ‚Keine Macht den Drogen‘ gab“. Sein großes Vorbild dabei sei Mildred Scheel, die durch die Gründung der Deutschen Krebshilfe eine Enttabuisierung der Krankheit erreicht habe. „Dass wir das übertragen in den Bereich Suizidprävention, das wäre mein Wunsch.“ Das wolle er zusammen mit dem FRANS auf regionaler Ebene vorantreiben.
Der Infotag „Mann kann“ setze jedoch früher an und versuche, schon die Themen Psyche und psychische Gesundheit zu entstigmatisieren, erklärt Nora Hauschild vom FRANS-Team. Auch Christiane Schlang, Leiterin der Abteilung Psychische Gesundheit des Gesundheitsamtes, stellt klar: „Eigentlich setzt Suizidprävention viel früher an.“ Denn Selbsttötungen seien nur die Spitze des Eisbergs. „Wenn wir wirklich etwas erreichen wollen, müssen wir handeln, bevor es zu Suizidgedanken und -handlungen kommt.“ Gerade deshalb richte sich der Infotag an alle Menschen. „Inhaltlich geht es schon allein darum, sich mit der eigenen Psyche, mit den eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen oder auch einfach nur Informationen zu bieten“, sagt Hauschild. An vielen verschiedenen Ständen könnten sich Interessierte den ganzen Tag über niedrigschwellig Informationen holen.
Während ein Workshop zur inneren Gefühlswelt exklusiv für Männer angeboten wird, sind die anderen Veranstaltungen des Tages für alle geöffnet. Denn oft kämen weibliche Angehörige für ihre Familienmitglieder und Bekannten, sagt Inga Beig vom Team des FRANS. „Auch das ist wertvoll.“ Beigs Kollegin Victoria Dichter sagt, ihnen sei bewusst, dass es Männer gebe, die noch nicht dazu bereit seien, sich zu öffnen. Aber da, wo „die Tür vielleicht schon so ein Stück geöffnet ist“, , werde vielleicht mancher aufmerksam und komme vorbei, so Dichter.
