
Unermüdliches Parlieren hatte in Luca Guadagninos schwelgerischem Kino bislang eigentlich keinen Platz. Womöglich ist es dem Schauplatz geschuldet, dass das gesprochene Wort nun erstmals derartig viel Raum einnimmt: „After the Hunt“ spielt an der Yale-Universität und folgt auf wie abseits des Campus den Verwicklungen von Figuren, die an der philosophischen Fakultät lehren und studieren.
Das intellektuelle Debattieren gehört also zum Berufsbild der befreundeten Dozenten Alma (Julia Roberts) und Hank (Andrew Garfield). Beide haben sich dem Ziel verschrieben, eine hartumkämpfte Festanstellung zu erlangen. Und dass es dafür augenscheinlich nicht nur besonderer geistiger Brillanz, sondern vor allem der öffentlichen Zurschaustellung derselben bedarf, suggeriert schon der Auftakt.
Ob es obendrein die „richtige“ Weltanschauung oder gar Identität braucht, wird ebenfalls provokant in den Raum gestellt. Auf einer kleinen Soirée im exklusiven Kreis, zu der Alma geladen hat, diskutiert man, über Fragen der Ethik im weiteren, der politischen Korrektheit im engeren Sinne. Etwa, ob man Denker wie Hegel, Nietzsche, Freud wegen ihrer „problematischen“ Biografien oder Äußerungen neu (oder gar nicht mehr) lesen sollte.
Wozu Luca Guadagnino doch stets zurückkommt, ist das Begehren und der Hunger nach zwischenmenschlicher Verbindung
Alma wie Hank widersprechen und sind dennoch beliebt bei ihren Studierenden. Sie sonnen sich in deren Bewunderung – und scheinen sie auch füreinander zu hegen. Almas größte Verehrerin aber ist ihre Doktorandin Maggie (Ayo Edebiri), die sich zu ihrer Ehrenrettung sogleich in ein Wortduell stürzt.
Ein Kommilitone behauptet, sollte es bei der Jobvergabe zu einer Entscheidung zwischen Hank und Alma kommen, werde natürlich sie den Zuschlag erhalten – weil sie eine Frau ist und der weiße, heterosexuelle cis Mann nun genauso systematisch benachteiligt werde, wie er zuvor bevorzugt wurde. Maggie hält dem entgegen, dass man dessen Macht vielleicht im Diskurs infrage stelle, sie in der Praxis aber ungebrochen sei.
Aufgeladene Schlagworte
Damit sind die gesellschaftlichen Gräben gezogen: Zumindest vordergründig dreht sich „After the Hunt“ um aufgeladene Schlagworte wie „Cancel Culture“ und „Identitätspolitik“, um „Diversity“-Debatten und „Wokeness“. Doch das Spiel mit der Fassade, mit der Frage also, was an der Oberfläche verhandelt wird und worum es tatsächlich geht, ist spätestens seit „Challengers“ – ein Trugbild von einem Sportdrama – zum neuen Vorzeichen des Regisseurs geworden.
Wozu Luca Guadagnino doch stets zurückkommt, wenn auch in einem immer neuen Gewand, ist das Begehren und der Hunger nach zwischenmenschlicher Verbindung – von Figuren, die so sehr von einem inneren Sehnen getrieben sind, dass sie gar nicht anders können, als ihm zu folgen.
Wie groß die Sympathien des Regisseurs für dieses Verschriebensein an das Verlangen sind, zeigt sich nicht zuletzt in den ikonophilen Kompositionen, in die er seine Figuren kleidet und ihnen noch in Momenten moralisch-ambivalenten Handelns eine visuelle Zärtlichkeit angedeihen lässt. In „After the Hunt“ fehlt eine solche Zärtlichkeit, schlicht weil es ein solches Verschriebensein hier nicht gibt. Nur Almas Ehemann (Michael Stuhlbarg), ein Psychonalytiker, fungiert als melancholischer Wahrheitsverkünder, sozusagen als „authentic relief“ in einem Plotgeflecht, das sonst nur Verdrängung kennt.
Alma, Hank und Maggie geht es vor allem um das eigene berufliche Fortkommen, und um das noch profanere Gut-dastehen-Wollen. „After the Hunt“, geschrieben von Nora Garrett, exerziert dies an einem brisanten Fall durch: Nach besagtem Abend wendet sich Maggie an Alma und berichtet ihr von einem sexuellen Übergriff durch Hank. Alma stellt ihn zwar zur Rede – er streitet ab und kontert mit Plagiatsvorwürfen gegen Maggies Dissertation, die sie nun zu verschleiern versuche. Weit mehr als um Aufklärung aber sorgt sich Alma um die möglichen Konsequenzen für ihre eigene Person.
Klasse versus Identität
Der Film selbst bleibt über das tatsächliche Geschehen vage. Diskursiv verdichtet sich jedoch, was bereits zu Beginn anklingt: Hank beruft sich gegenüber Alma auf seine „Klasse“. Seinen Aufstieg werde er sich nicht von einem selbstgerechten Spross aus wohlhabender Familie durchkreuzen lassen.
Weil Alma ihren Schilderungen nicht fraglos folgt, prangert Maggie wiederum ihre Doktormutter öffentlich als eine weitere weiße Frau an, die eine schwarze, zudem queere Frau im entscheidenden Moment im Stich lasse. Auch im Widerstreit zwischen „Klasse“ versus „Identität“ bezieht der Film keine eindeutige Position, sondern zeigt vielmehr die gesellschaftlichen Verwerfungen, die entstehen, wenn derlei Argumente nicht aus Überzeugung von ihrer Richtigkeit, sondern als strategische Waffe ins Feld geführt werden.
„After the Hunt“. Regie: Luca Guadagnino. Mit Julia Roberts, Ayo Edebiri u. a. USA/Italien 2025, 139 Min.
Hierin erweist sich „After the Hunt“ letztlich doch unübersehbar als ein Film von Luca Guadagnino: Im Kern geht es um eine Abrechnung mit der Heuchelei selbst, verkörpert durch Figuren, die sich nur für ihr Ansehen interessieren und vor inneren Wahrheiten fliehen, die in seinem Werk sonst so wichtig sind.
Vor allem aber greift „After the Hunt“ geschickt gesellschaftliche Spannungen auf und provoziert selbst spannende Diskussionen. Gerade, weil der Film nicht gefällig sein will, sondern den Mut aufbringt, Ambiguitäten zu wagen, die mancher Zuschauer als anstrengend empfinden wird. Aber, wie es im Film selbst heißt: „Not everything is meant to make you feel comfortable.“