
„Alles so schön grün hier!“ Der erste Gedanke auf der Fahrt vom Airport auf Mahé zum Hafen. Üppige Vegetation, wohin man schaut. Den Schiffsanleger in der Hauptstadt Victoria steuert das Taxi über die Flamboyant Avenue an. Was bedeutet das noch? Großartig, prachtvoll? Das trifft leider nicht auf die Verfassung der zwölf Reisegefährten zu, mit denen ich auf der 42-Meter-Yacht „Sea Bird“ zum Inselhopping in See stechen werde.
Unter dem Sonnensegel der Decks-Lounge lauscht die Gruppe Kapitän Alan, der uns launig begrüßt. Zerknitterte Optik und schwere Lider beim Einschiffen kennt er. Klarer Fall: Nie direkt nach dem Langstreckenflug an Bord gehen. Besser, man erholt sich vorher in einem netten Strandhotel, dann kann man die Kreuzfahrt vom ersten Moment an genießen. Alan erklärt den Reiseverlauf sowie ein paar Regeln an Bord. „Und sollte Euch mal übel werden: Kein Problem, die Crew wischt’s einfach auf.“ Beruhigend, denn kaum erreichen wir offenes Gewässer, wird der Seegang lebhafter. Es ist die Zeit des Nordwest-Passatwindes, unser Zweimaster pflügt durchs kabbelige Wasser. Ich fühle mich robust genug, die „Sea Bird“ zu erkunden. Unter Deck liegen neun schlicht-komfortable, klimatisierte Kabinen, alle mit eigenem Bad und Bullaugen. Dominic, der Steward der Besatzung, fängt mich im Salon auf, als mein Gang aus dem Ruder zu laufen droht. Aber seekrank? Keine Spur.
Vier Stunden später ankern wir vor Praslin, der zweitgrößten Insel der Seychellen. Ausgelassen drängen wir uns am Heck und stürzen juchzend in den tiefblauen Ozean. Ein Genuss in der Tropenwärme! Dann ruft die Schiffsglocke zum Open-Air-Büfett: kreolische Leckereien aus Grillfleisch, frisch gefangenem Fisch, Salaten und exotischem Gemüse, dazu eine himmlische Kokos-Mango-Creme als Dessert. Wie hat Raoul, der Koch, das bloß in der winzigen Kombüse gezaubert?
Am nächsten Morgen wirken alle erfrischt. Das sanfte Schaukeln des Schiffs sorgt für wunderbaren Schlaf. Unser erstes Ziel: der Vallée de Mai Nationalpark, ein Unesco-Weltnaturerbe. Das Tal ist Dschungel pur und beherbergt Arten, die es nur hier gibt. Vom Nationalvogel der Seychellen, dem schwarzen Papagei, hören wir bloß das melodiöse Flöten. Phänomenal wirken die Seychellenpalmen, mit Fächerblättern groß wie Wohnzimmerteppiche. Berühmt sind sie wegen ihrer „Cocos de Mer“. Mit etwas Fantasie kann man in ihrer Form das Gesäß einer Frau erkennen. Bis über 20 Kilo sind die Samen schwer und die größten im Pflanzenreich.
Fast zum Hinüberschwimmen nah liegt La Digue, die drittgrößte der 115 Inseln. Mit einem Rad, gleich am Hafen gemietet, lässt sich das Eiland am besten erkunden. Man merkt sofort: Hier ticken die Uhren langsamer, alles wirkt heiter, gelassen, entspannt. Fotomotive gibt es ohne Ende. Der Friedhof, fröhlich bunt mit lauter Kunstblumen. Eine Strandbar vor türkisblauem Meer, pastellfarbene Holzhäuser mit geschnitzten Holzveranden. Genauso farbenfroh sind die Bilder in der Galerie von George Camille, der schon auf der Biennale in Venedig ausstellte. Sein Stil erinnert an Picasso und Gauguin, und noch sind seine Werke erschwinglich: ab 400 Euro. Einfach unbezahlbar aber ist der Blick über die wohl berühmteste Tropenbucht der Welt, die Source d’Argent mit den glatten Granitfelsen, die perfekte Kulisse für Hochzeitsfotos.
Es soll noch besser kommen. Am nächsten Morgen wachen wir vor den Schwesterinseln Petite und Grande Soeur auf. „Heute werdet Ihr den schönsten Strand erleben, den ich je gesehen habe“, kündigt Kapitän Alan an. Der Bilderbuch-Seebär kreuzt seit 36 Jahren auf den Weltmeeren und kennt sich aus. Kaum haben wir nach der Landung in der Ankerbucht die „Große Schwester“ in ein paar Minuten durchquert, leuchten uns Wasser und weißer Korallensand unverschämt verführerisch durch die Kasuarinenbäume entgegen. Dieses Blau: eine nie gesehene Farbbrillanz in Edelsteintönen von Aquamarin über Türkis zu Saphir. Weit und breit keine Menschenseele sonst, zu hören ist nur die Brandung. Eine Stimmung wie am sechsten Schöpfungstag. Und als wäre das nicht schon genug, setzt die Atmosphäre zum Dinner an Bord noch eins drauf. Am Himmel schieben sich schieferfarbene Federwolken über den flammenden Sonnenuntergang. Die Szenerie ist dramatisch schön: im Hintergrund, wie bei einem Aquarell gestaffelt, die immer blasser werdenden Silhouetten der Inseln Félicité, Coco Island, La Digue und Praslin.
Kann Schokolade auch Vögel glücklich machen? Ganz klar, ja. Ein Erbe der britischen Cadbury-Dynastie hatte die einstige Kokos-Insel Aride gekauft, renaturiert und in ein Refugium verwandelt für über 30 seltene Arten, darunter schneeweiße Tropikvögel. Von einem Ranger begleitet erleben wir einzigartiges: Die Tiere haben keine natürlichen Feinde, sind daher furchtlos und lassen sich sogar behutsam anfassen.
Curieuse ist die letzte Insel unseres Törns. Im 19. Jahrhundert existierte auf dem drei Quadratmeter großen Fleck eine Lepra-Station. Meine Reisegefährten relaxen am Strand und freuen sich auf das Barbecue, das die Crew für uns vorbereitet. Ich habe etwas Besseres vor. Über Granitfelsen klettere ich zum Steg durch den Mangrovenwald. In dieser Gezeitenzone bilden die Bäume Stelzwurzeln aus, ein bizarrer Anblick. Auf dem Urwaldpfad ins Inselinnere entdecke ich zu meinen Füßen etwas rotorange leuchtendes in Linsenform. Meine Faszination amüsiert einen Waldarbeiter, der vorbeikommt. Lächelnd klaubt er einige auf.
„Das sind Samen vom Roten Sandelholzbaum. Nehmen Sie sie mit, das bringt Glück!“ Ich bin entzückt und sehe die Perlen schon als Armband am Handgelenk. Kurz darauf tauchen die Reste der Krankenstation auf. Die Bäume haben mit ihren Wurzeln die Ruinen erobert und umschlungen. Entferntes Donnergrollen nehme ich kaum wahr, zu fesselnd ist die verwunschene Umgebung. Erhöht auf einer Lichtung mit Traumblick über den Strand liegt die verlassene Kolonialzeit-Villa des Doktors. Auf der Veranda baumelt noch eine Hängematte. Wenn das keine Aufforderung ist! Ich lasse mich hineinsinken und schaukele mich ein. Augenblicke später kracht und blitzt es, der Himmel öffnet sich wie ein Schleusentor und es schüttet, als wäre der jüngste Tag. Wie ich es liebe, wenn die Natur Richard Wagner aufführt. Mein letzter Gedanke? „Ich bleibe einfach hier.“