Ärztemangel: Suche Landarzt, biete kostenlose Praxis

Landrat Stefan Metzdorf weiß, was der Ärztemangel bedeutet. Seit zwei Jahren hat er selbst keinen Hausarzt mehr. Altersbedingt schloss die Praxis nördlich von Trier, ein Nachfolger fand sich nicht. Metzdorf meldete sich als Patient bei der Kassenärztlichen Vereinigung und bekam zwei Hausärzte genannt, bei denen er sich melden sollte. Die sind zwar auch überlastet, wollen aber keine Patienten abweisen. Nur: Wer krank ist, muss Zeit mitbringen.

Eine Stunde sitze man dort gerne mal im Wartezimmer, sagt Metzdorf. Die Fahrtzeit zum Arzt hat sich auch verdreifacht, eine halbe Stunde sitzt der SPD-Politiker im Auto. Die Konsequenz ist, dass er seltener zum Arzt geht. Unvernünftig, das weiß er selbst. Was es aber mit den Menschen in seinem Landkreis macht, in dem es immer weniger Ärzte gibt, das merkt er bei vielen Begegnungen. „Es ist Ausdruck dessen, dass sich die Menschen auf dem Land zunehmend abgehängt fühlen.“ Die medizinische Versorgung nennt er als das drängendste Problem der Region.

Geht nicht mehr so oft zum Arzt: Landrat Stefan Metzdorf im Porträt in seinem Büro in der Kreisverwaltung Trier-Saarburg
Geht nicht mehr so oft zum Arzt: Landrat Stefan Metzdorf im Porträt in seinem Büro in der Kreisverwaltung Trier-SaarburgMichael Braunschädel

Von seinem Büro aus blickt Metzdorf auf einen kleinen Park. Die malerische Altstadt von Trier ist nur ein paar Schritte entfernt von der Kreisverwaltung. In der Universitätsstadt ist praktisch jeder der vorgesehenen Hausarztsitze besetzt, im Umland, für das der Landrat zuständig ist, sind mehr als 20 Sitze verwaist. So ähnlich ist es in vielen Teilen Deutschlands: Auf dem Land wird die ärztliche Versorgung zunehmend zum Problem.

In vielen Kommunen macht man sich deshalb Gedanken, wie man die Ärzte an sich binden kann. Bürgermeister überbieten sich auch im Landkreis Trier-Saarburg: Wer finanziell in der Lage dazu ist, bietet Unterstützung an. Ob es einen Hausarzt gibt, das sei auch ein Signal, wie es um die Zukunft einer Gemeinde bestellt sei, sagt ein Bürgermeister. Neben Glasfaseranschluss und Kita-Plätzen ist die ärztliche Versorgung die zentrale Frage, die junge Familien stellen, die sich ansiedeln wollen. Nur: Immer weniger Mediziner wollen sich als Landärzte niederlassen. Die Entwicklung dürfte sich in den kommenden Jahren noch weiter verschärfen.

Für Hausärzte ist der Budgetdeckel entfallen

In Tawern, eine halbe Stunde von der Trierer Altstadt entfernt, steht ein moderner, mit Holz verkleideter Bau. Im Erdgeschoss ist der Eingang zur Hausarztpraxis von Dagmar Heinrichs. Hinter dem Empfang hängen die Bilder der Mitarbeiter. Zwölf Beschäftigte hat die Anästhesistin und Fachärztin für Allgemeinmedizin inzwischen. Als die Praxis eines anderen Arztes im Nachbarort schloss, stellte Heinrichs zwei Ärzte ein, um mehr Patienten zu behandeln – und brauchte dafür größere Räume.

Die Praxis ist hell und freundlich, die Ausstattung modern. Nachdem die Patienten am Empfang persönlich begrüßt worden sind, erfahren sie auf Bildschirmen, in welchen der drei Wartebereiche sie sich begeben sollen. So sollen sie möglichst schnell zum Verbandwechseln, Blutabnehmen oder in das richtige Sprechzimmer kommen. Bei der Miete hilft die Gemeinde mit einem Zuschuss – auch aus Sorge, die Medizinerin könne sonst in eine der umliegenden Ortsgemeinden abwandern, die ebenso dringend Hausärzte suchen.

Heinrichs ist an diesem Freitagnachmittag noch im Gespräch mit ihrer Praxismanagerin, die sich darum kümmert, dass der Betrieb reibungslos abläuft, und Heinrichs von einem Teil der Verwaltungsarbeit entlastet. Es geht auch um letzte Vorbereitungen für eine groß angelegte Impfaktion am Samstag, Grippeschutz. Heinrichs, Ende 50, sportlich, wacher Blick, bittet in ihr Behandlungszimmer, nimmt selbst am Schreibtisch mit Computer Platz. So erleben sie auch die Patienten.

Die Hausärztin tippt die Beschwerden ein und fügt die Abrechnungsziffern hinzu. Diese Ziffern der Kassenärztlichen Vereinigung sind berüchtigt. „Man muss sich schon auskennen, damit man die eigene Leistung auch bezahlt bekommt“, sagt Heinrichs. Sie glaubt, die Komplexität des Systems sei darauf angelegt, dass Ärzte nicht für ihre Leistungen entlohnt würden. Lange Zeit war der Budgetdeckel ein Ärgernis: Wenn Heinrichs mehr Patienten behandelte, als es die maximale Auszahlungssumme vorsah, wurde sie dafür nicht entlohnt. Seit Anfang Oktober gibt es den Budgetdeckel zumindest für Hausärzte nicht mehr. Andere Fachärzte wünschen sich das auch.

In ein paar Jahren ist Heinrichs in Rente. Und dann?

Heinrichs dreht ihren Bildschirm um. Mit dem Finger fährt sie über den Terminkalender. In einer Spalte reihen sich 30 Kästchen untereinander auf. Daneben ist die Spalte ihres Kollegen, der kurzfristig krank wurde. Die dritte Ärztin ist gerade im Urlaub. Heinrichs hatte deshalb viel zu tun am Morgen. „Das war aber zu schaffen“, sagt sie. Durch Digitalisierung und effiziente Abläufe kann Heinrichs heute mehr Patienten behandeln als noch vor ein paar Jahren. Die Wartezeit betrage in der Regel eine halbe Stunde, an Tagen wie diesen auch mal 40 Minuten. Trotzdem gebe es immer wieder Patienten, die sich darüber beschwerten.

Junge Ärzte wollen lieber keine Praxis übernehmen. Ein Grund ist, dass sie stärker auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf achten. Im Vergleich zu älteren Kollegen haben sie häufig ihre Wochenarbeitszeit reduziert, wollen lieber in einer Anstellung arbeiten, als selbständig zu sein. Heinrichs versteht das. Sie selbst ist in der Weiterbildung tätig und wirbt für die Arbeit als Hausärztin, die sie als erfüllend beschreibt.

Ein Blick in das Wartezimmer der Hausarztpraxis „Dagmar Heinrichs & Kollegen“
Ein Blick in das Wartezimmer der Hausarztpraxis „Dagmar Heinrichs & Kollegen“Michael Braunschädel

Zugleich klagt sie über den hohen Verwaltungsaufwand, den sie bewältigen muss. Ihr Arbeitstag beginnt wochentags um 7:30 Uhr und endet gegen 18 Uhr, am Samstag mache sie morgens liegen gebliebenen Papierkram, den sie nicht delegieren kann. „Mit einer Praxis ist man immer auch Unternehmer“, sagt Heinrichs. Ein Arzt, der in ihrer Praxis arbeitet, wollte lieber nicht gleichberechtigter Partner werden; die Anstellung reiche ihm aus, sagte er Heinrichs. Sie gilt als besonders engagiert, wie es aus dem Ort heißt, macht auch Hausbesuche. „Ein Glück, dass wir sie haben“, sagt einer.

In ein paar Jahren geht Heinrichs in Rente. Damit gehört sie dem Drittel der Ärzte an, die laut Hausärzteverband Rheinland-Pfalz ihre Praxis aus Altersgründen aufgeben müssen. Im Landkreis Bitburg-Prüm ist heute jeder zweite Hausarzt über 60. Eine bundesweite Untersuchung des Barmer Instituts für Gesundheitssystemforschung und der Bertelsmann Stiftung, die jüngst erschien, kommt zu dem Ergebnis, dass jeder vierte Arzt bis 2030 aufhören will. Das ist ein größer werdendes Problem, wenn die jüngeren Ärzte weniger arbeiten wollen und tendenziell nicht mehr die Selbständigkeit suchen. Der Ärztemangel, der in Teilen Ostdeutschlands bereits heute dramatisch ist, dürfte sich auch im Westen verschärfen.

Stipendien als Wetten auf eine gute Zukunft

Nur wie kann man mehr Ärzte dazu bringen, dass sie sich auf dem Land niederlassen? In Rheinland-Pfalz, wo bislang ausschließlich an der Uni Mainz ein Medizinstudium möglich war, soll ein Teil der Ausbildung künftig auch in Koblenz und Trier stattfinden. In Kaiserslautern will man mit der Semmelweis-Universität in Budapest kooperieren. Zum einen erhofft man sich davon, dass es deutlich mehr Medizinabsolventen gibt, zum anderen sollen die jungen Ärzte während ihrer Ausbildung auch andere Regionen als Mainz kennenlernen und damit eher geneigt sein, sich dort auch später niederzulassen.

In vielen Landkreisen gibt es inzwischen eigene Stipendienprogramme. Der Landkreis Trier-Saarburg schreibt in diesen Tagen sein erstes Stipendienprogramm für Landärzte aus. Ab dem Physikum werden die Studenten mit 700 Euro im Monat unterstützt, wenn sie vertraglich zusichern, dass sie anschließend als Hausärzte im Landkreis arbeiten. Rechtlich ist die Sache nicht ganz unkompliziert; das Recht auf freie Berufswahl steht im Grundgesetz. Niemand kann gezwungen werden, später als Hausarzt zu arbeiten, das weiß auch Landrat Metzdorf.

Wer sich im Laufe des Studiums doch entscheidet, Chirurg zu werden, könnte am Kreiskrankenhaus in Saarburg anfangen. „Bis diese Ärzte auch in unserem Landkreis praktizieren, wird es dauern“, sagt Metzdorf. Es sei eher eine Investition in die Zukunft. Um kurzfristig mehr Hausarztstellen zu besetzen, soll von Anfang Dezember an eine Gesundheitsmanagerin für den Landkreis arbeiten. Ihre Aufgabe ist es, die Medizinstudenten für Praxisstationen in Hausarztpraxen zu lotsen, sie soll Mediziner, die sich niederlassen wollen, unterstützen. Außerdem soll sie ein Bindeglied zwischen den Kommunen, den Ärzten und der Kassenärztlichen Vereinigung sein.

Die Angst, den Hausarzt im Dorf zu verlieren, führte dazu, dass viele Gemeinden nicht nur im Landkreis Trier-Saarburg bereit waren, hohe Unterstützungen zu zahlen. Ein kostenloser Parkplatz? Übernahme der Mietkosten für die Praxis? In manchen Fällen, etwa bei zinslosen Krediten, stellte sich heraus, dass die Kassenärztliche Vereinigung auch hätte helfen können. Metzdorf sieht die Gefahr, dass die finanzstarken Kommunen sich beim Kampf um einen Hausarzt durchsetzen und die ärmeren das Nachsehen haben. Die Frage des Geldes beschäftigt auch den Landkreis. Andere Kreise haben vergleichbare Stipendienprogramme für jene, die mal hoffentlich Hausärzte werden. Doch die bieten bis zu 1200 Euro Unterstützung pro Monat.