
Wie sich die Zeiten ändern. Als
Tirol 2019 begann, Durchreisenden das Ausweichen von der Autobahn auf
Nebenstraßen zu verbieten, war die Empörung auf deutscher Seite groß. Der
Automobilclub ADAC sprach
von einem „Unding“, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) riet demonstrativ zum Urlaub
daheim, sein Verkehrsminister Hans Reichhart warf
den Tirolern „reine Schikane“ vor. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), ebenfalls ein Bayer, drohte
gar mit einer Klage: Die Tiroler Maßnahmen verstießen gegen die europäische
Reisefreiheit und seien „zutiefst diskriminierend“.
Sechs Jahre später plant
Bayern eigene Fahrverbote für Stauflüchtige
– nach Tiroler Vorbild. Ab dem 15. August
sollen Landstraßen entlang der A 8 südlich von München für den
Durchfahrtsverkehr gesperrt werden. Wer künftig bei Stau die Autobahn verlässt,
um über Dörfer voranzukommen, muss sich darauf einstellen, angehalten und zur Umkehr gezwungen zu werden. Nach großem
Druck der Anrainergemeinden hat das
Verkehrsministerium in Berlin Unterstützung signalisiert. Genervte Anwohner, die vor allem zur Urlaubszeit unter Lärm und stockendem
Verkehr leiden, hoffen auf Entlastung. Und tatsächlich kann der Plan aufgehen, wie das Beispiel Tirol zeigt.
Der ÖVP-Politiker
Florian Riedl sitzt seit
2015 im Tiroler Landtag und ist seit 2022 Bürgermeister von Steinach am Brenner.
Die 3.700-Einwohner-Gemeinde liegt direkt an der A 13, der Brennerautobahn, und bekam regelmäßig den Dominoeffekt der Überlastung zu spüren: Wird der Stau
zu lang, weichen Fahrer und Fahrerinnen auf scheinbar schnellere Routen aus,
über Bundes- und Landesstraßen, durch Wohngebiete und Ortskerne. Andere wollen
schlicht die Maut auf den Autobahnen umgehen. So droht auch abseits der
Hauptrouten rasch der Stillstand. „In der Folge wurden in Tirol Seitenstraßen
genutzt – bis hin zu Forstwegen, auf denen eigentlich gar kein Auto fahren
darf“, sagt Riedl.
Fahrverbote zum Schutz der Bevölkerung
Neben dem Unmut der
Bevölkerung, die sich in ihrer Lebensqualität und Mobilität stark eingeschränkt
sah, wurde der Ausweichverkehr zum Sicherheitsproblem. „Mit den verstopften
Straßen entlang der Transitrouten stieg das Risiko, dass Rettungskräfte nicht mehr
zum Einsatzort gelangen“, sagt Andreas Leitgeb, langjähriger Polizeibeamter bei
der Landesverkehrsabteilung Innsbruck. Als die Tiroler Landesregierung 2019
erste Fahrverbote verhängte, saß
Leitgeb für die liberalen NEOS im Landtag. Der Schritt sei notwendig zum
Schutz der Bevölkerung gewesen, sagt er. Regierung und Opposition waren sich ausnahmsweise einig.
Seither sperrt Tirol an Tagen
mit hohem Verkehrsaufkommen die Nebenstraßen für alle, die nur durchreisen. Das
betrifft vor allem Urlauber auf dem Weg in den Süden oder den Skiurlaub. Die Abfahrtverbote gelten an Wochenenden und Feiertagen von 7 bis 19 Uhr und werden
halbjährlich anhand von Verkehrsanalysen angepasst. Im Laufe der Jahre hat
Tirol die Sperren auf fast das gesamte Jahr ausgeweitet: 2019 galt ein
Sommerfahrverbot von
Juni bis September, 2025
reicht es von den Osterfeiertagen bis Anfang November. Das Winterfahrverbot griff zuletzt von
Weihnachten bis kurz vor Ostern. Es gibt also eigentlich nur noch im November
und bis kurz vor Weihnachten keine Beschränkungen.
Ausgenommen ist, wer in den
betroffenen Orten wohnt, arbeitet, urlaubt, geschäftlich oder privat zu tun
hat. An Ausfahrten kontrollieren Polizei und eigens geschultes privates
Sicherheitspersonal. Meist genügt ein Blick aufs Kennzeichen. „Wenn ich mit einem
norddeutschen Nummernschild in Reutte von der Schnellstraße abfahre, muss ich
mit der Frage rechnen, ob ich in der Nähe wohne oder Urlaub mache. Kann ich das
nicht bestätigen oder belegen, schickt man mich zurück“, sagt Leitgeb. Bei
Missachtung drohen Geldbußen ab
90 Euro.