Herr Dittl, Sie leiten das Sportgericht des Hessischen Fußball-Verbandes (HFV). In welchen Fällen werden Sie tätig?
Stephan Dittl: Wir am HFV-Sportgericht sind für Spielabbrüche in Verbindung mit Gewalt gegen Schiedsrichter sowie für Rassismus- und Diskriminierungsfälle zuständig. Hinzu kommen Fälle, die aufgrund besonderer Konstellationen durch den Verbandsanwalt von den uns untergeordneten Kreis- und Regionalsportgerichten sowie dem Sportgericht der Verbandsligen an uns übertragen wurden. Bei diesen eigentlich zuständigen erstinstanzlichen Sportgerichten landen klassische Fälle wie Rote Karten oder falsch eingesetzte Spieler. Wir behandeln dagegen gravierende Fälle mit einer gewissen Öffentlichkeitswahrnehmung.
Dittl: Wir hatten neulich beispielsweise einen Fall, wo es um einen antisemitischen Zwischenruf ging, der gegen einen Mitspieler jüdischen Glaubens gerichtet war. Das war ein Vorfall, den wir sehr ernst nehmen. Dies wollen wir auch entsprechend verurteilen, wenn wir hiervon erfahren.

Dittl: Im Rahmen der Verhandlung stellte sich heraus, dass eigentlich ein Freundschaftsspiel der beiden E-Jugend-Mannschaften der Vereine geplant war, einer der Vereine aber wegen des laufenden Verfahrens abblockte. Der Vorfall war in der A-Jugend passiert. Als die Vereine erkannten, dass dies keine Lösung ist, konnten wir gemeinsam einen Weg finden, die Angelegenheit einvernehmlich beizulegen. Der Verein, gegen dessen Spieler der Ruf gerichtet war, zeigte sich erfreulicherweise schnell bereit, die glaubhafte Entschuldigung des anderen Vereins anzunehmen. Wir boten an, das Verfahren einzustellen, wenn beide gemeinsam einen Aktionstag gegen Rassismus und Diskriminierung mit mehreren Freundschaftsspielen der Jugendmannschaften gegeneinander veranstalten. Das Beispiel zeigt, dass so ein Verfahren bei uns durchaus etwas dazu beitragen kann, solche Vorfälle zu verhindern und das gegenseitige Verständnis zu stärken. Wir können auch feststellen, dass viele Vereine mittlerweile solche Fälle sehr ernst nehmen und viel professioneller damit umgehen als früher – das möchte ich an dieser Stelle mal ausdrücklich loben.
Was ist die stärkste Sanktion, die Sie aussprechen könnten? Ihr schärfstes rechtliches Schwert?
Dittl: Den einzelnen Spieler betreffend, ist das eine Sperre von fünf Jahren. Das Schwerste, was Vereine betrifft, ist ein Spielverbot von sechs Monaten. Das haben wir bei uns in Hessen einmal fast ausgereizt – da haben wir ein Spielverbot von gut fünf Monaten verhängt. Es gibt theoretisch darüber hinaus auch die Möglichkeit, einen Verein ganz aus unserem Verband auszuschließen. Für den Verein würde das im Prinzip bedeuten, dass er nicht mehr am Spielbetrieb teilnehmen kann. Das wäre wirklich das allerletzte Mittel.
Herr Poth, Sie sind Vizepräsident des HFV, betreuen dort den Rechtsbereich. Wie blicken Sie auf die Dinge?
Axel Poth: Es muss wirklich schon sehr viel passieren, damit ein Verein fünf Monate lang gesperrt wird. Denn damit bestrafen wir den gesamten Verein und nicht nur einzelne Spieler. Das muss gut überlegt und angemessen sein. Aber wenn es notwendig ist, gehen wir selbstverständlich den Schritt. Wenn ein Spieler zum Beispiel einen Schiedsrichter körperlich angreift, entspräche das einer Sperre von zwölf bis 36 Spielen; im schweren Fällen bis zu fünf Jahren.
Welchem Verein galt die fünf Monatssperre?
Dittl: Den Namen des Vereins möchte ich hier nicht nochmals nennen, zumal er sehr kooperativ war. Es gab damals Berichterstattung (Es handelte sich um Türkiyemspor Breuberg, die F.A.Z. berichtete; Anm. d. Red.). Als Verband können wir auch Strafen mildern, wenn betroffene Vereine oder Spieler an Maßnahmen wie Anti-Gewalt-Trainings oder Konfliktlösungsschulungen teilnehmen. Eine reguläre Sechs-Monats-Sperre hätte in diesem Fall bedeutet, dass der Verein in dieser Saison kein Spiel mehr bestreiten könnte. Wir haben dem Verein dann gestattet, die letzten beiden Spiele auszutragen, unter der Bedingung, dass er an einem entsprechenden Training teilnimmt – was er auch tat.
Wie ist denn allgemein ihr Bild, was die Gewalt im Amateurfußball betrifft?
Poth: Tatsächlich ist die Zahl der Gewaltvorfälle bei Amateurfußballspielen in Hessen rückläufig, worüber wir aufgrund unserer Maßnahmen sehr glücklich sind. In der Spielzeit 2023/24 mussten 88 von insgesamt 122.628 Spielen wegen Gewalt abgebrochen werden. In der Saison 2024/25 waren es 63 von 119.648 Spielen – ein Rückgang um rund ein Viertel. Zudem kam es in der Saison 2024/25 während 552 Spielen zu Diskriminierungsvorfällen; 2023/24 waren es 44 mehr.
… also gibt es in Hessen dahingehend keine Probleme mehr?

Poth: Das können wir so leider auch nicht bestätigen. Was uns erschreckt, ist, dass die Qualität der Fälle zunimmt. Hat man vielleicht vor einigen Jahren einfache Beleidigungen gehört, haben wir heutzutage Vorfälle, bei denen am Boden liegenden Spielern noch gegen den Kopf getreten wird oder Personen nach dem Spiel verletzt werden. Zudem können wir heutzutage sehen, dass Schiedsrichter, die bei Spielen Normen durchsetzen, wie auch allgemein normdurchsetzende Personen, seien es Polizisten oder Feuerwehrleute, häufiger angegriffen werden. Das ist in jedem Fall besorgniserregend.
Dittl: Ich finde das Wort „Qualität“ an dieser Stelle schwierig. Ich würde vielleicht eher von der Schwere der Fälle sprechen. Als Qualität möchte ich das wirklich nicht bezeichnen, was hier auf meinem Schreibtisch landet.
Was waren die schwersten Vorfälle, die Ihnen in Ihrer Amtszeit bislang begegnet sind?
Dittl: Besonders problematisch ist für uns die Gewalt gegen Schiedsrichter. Am schwerwiegendsten sind Fälle, in denen Schiedsrichter bedroht oder attackiert werden. Wir haben erlebt, dass Schiedsrichter verletzt oder verfolgt wurden, nachdem sie Entscheidungen getroffen hatten. Auch Spielerprügeleien auf dem Platz gehören dazu, wobei sich die Darstellungen der Beteiligten oft widersprechen. Besonders schwerwiegend war ein Vorfall, bei dem Spieler auf die Tribüne stürmten und sogar Zuschauer attackierten.
Poth: Hinzu kommen die Fälle, in denen es um erhebliche Diskriminierung geht. Und da sprechen wir jetzt nicht davon, dass jemand „Du doofe Kuh“ oder „Du Depp“ sagt, sondern da sprechen wir von gravierenden rassistischen Beleidigungen. Bei einem Fall ging es tatsächlich auch um eine Todesandrohung gegen einen Schiedsrichter – bei der sich dann aber herausstellte, dass die nicht ernst gemeint war, was auch die Schiedsrichter erkannt haben. Aber das ist dennoch natürlich erst mal ein Schock für die Betroffenen. Gerade mussten wir tatsächlich wieder drei Fälle wegen erheblicher Diskriminierung an die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt übergeben. Das sind Fälle, die keinen Platz auf dem Fußballfeld haben.
Was unternehmen Sie dagegen?
Poth: Wir haben am 8. April eine weitreichende Kooperationsvereinbarung mit dem hessischen Justizminister Christian Heinz (CDU) und der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt abgeschlossen, die ermöglicht, schwerwiegende Fälle an die lokalen Staatsanwaltschaften zu übergeben. Anders als in den meisten Bundesländern umfasst unsere Regelung nicht nur Gewalt gegen Schiedsrichter, sondern auch schwere Fälle von Diskriminierung oder Rassismus, die wir abgeben. Daher ist unsere Vereinbarung einmalig in Deutschland. Wir hoffen, dass bei einer Post der Staatsanwaltschaft auch der Letzte versteht: Der Fußball ist kein rechtsfreier Raum. Bei einem Vorfall in Kassel prüfen wir gerade die Akte und übergeben sie der lokalen Staatsanwaltschaft, die dann über ein Strafverfahren oder einen Strafbefehl entscheidet.

Wie erleben Sie denn eigentlich den Männerfußball im Vergleich zum Frauenfußball?
Poth: Was glauben Sie denn?
Meine Zeit in der Frauen-Kreisliga ist schon etwas länger her, aber ich kann mir das, was Sie eben beschrieben haben, dort kaum vorstellen.
Dittl: Von 31 Fällen in der letzten Saison, die vom HFV-Sportgericht behandelt wurden, betraf nur einer den Frauenfußball, und der Beschuldigte war männlich. Ich will nicht sagen, dass Frauen keine Rolle spielen, aber in der Praxis sind sie in der Regel nicht die Hauptbeteiligten. Positiv beobachten wir jedoch, dass immer mehr Frauen im Männerfußball Funktionen übernehmen und an Verhandlungen teilnehmen. Die beschuldigten Personen sind dabei jedoch nahezu ausschließlich männlich.
Sollte es zu einer Verhandlung kommen: Welche Menschen begegnen Ihnen vor Gericht?
Dittl: Generell sind bisher alle Verhandlungen, die wir hatten, friedlich verlaufen. Die Beteiligten sind am Ende natürlich nie alle mit unseren Urteilen zufrieden oder einverstanden. Gleichwohl gibt es auch immer wieder Leute, die sagen: Okay, das war in Ordnung, ich bin völlig zu Recht verurteilt worden, und auch die Strafe ist angemessen. Es gibt so ein paar Kandidaten, die uns auch bekannt sind, weil sie immer wieder mal vor verschiedenen Sportgerichten sitzen. Allerdings in der Regel nicht bei uns, weil hier ja nur die schweren Fälle landen.
Was sind das für Typen, die immer wieder vor dem Sportgericht landen?
Dittl: Also, es gibt sicherlich Spieler – das kenne ich noch aus meiner eigenen aktiven Zeit –, die regelmäßig Rote Karten bekommen, weil sie sich auf dem Platz nicht beherrschen: Sie meckern den Schiedsrichter an, beleidigen Gegner oder lassen sich zu Tätlichkeiten hinreißen. Die wirklich extremen Fälle sind jedoch selten. Manche Betroffenen sind von Natur aus laut und impulsiv, andere eigentlich ruhig und geraten dann plötzlich außer Kontrolle. Häufig passiert das nach einer Provokation durch den Gegner, und menschlich ist das teilweise häufig sogar noch nachvollziehbar, aber das anschließende Verhalten ist oft deutlich schlimmer und natürlich nicht akzeptabel.
Und würden Sie sagen: Bringen die Verhandlungen etwas?
Dittl: Generell habe ich schon den Eindruck, dass die Verhandlungen zur Befriedung beitragen sowie dazu, dass sich die Vereine wieder besser verstehen. Wir verstehen es schon auch als unsere Aufgabe, nicht nur zu bestrafen – das gehört natürlich dazu –, sondern wir sollten zudem dafür sorgen, dass sich die Beteiligten wieder in die Augen schauen können. Letztendlich geht es ja darum, dass die Vereine wieder gegeneinander Fußball spielen können.
Poth: Jedes Jahr im Herbst, wenn die Tage kürzer und dunkler werden, beobachten wir einen deutlichen Anstieg der Vorfälle. Ab Ende Oktober, spätestens im November, scheinen viele Menschen zu denken, der Fußballplatz sei ein rechtsfreier Raum – und dann kracht es häufiger. Dabei gibt es keine lokalen Unterschiede; die Fälle von erheblicher Gewalt passieren in Ballungsräumen wie Frankfurt oder Offenbach genauso wie auch in Fulda oder Lauterbach-Hünfeld. Das Problem besteht also hessenweit. Auch wenn die Anzahl der Fälle wie dargestellt rückläufig ist, ist jeder Fall ein Fall zu viel.
