
Herr Sauer, wie oft im Jahr sind Sie auf Bierreise?
Etwa zehn Monate – in Deutschland, Europa, in der Welt. Zweimal im Jahr bin ich in den USA, zehn Wochen am Stück, ich bin mit einer Amerikanerin liiert.
Was reizt Sie an Bierreisen?
Die kulturhistorischen Aspekte. Ein Phänomen wie das Chicha-Bier in den Anden zum Beispiel, bei dessen Herstellung ursprünglich Spucke verwendet wurde, ist so außergewöhnlich, dass es die Grenzen dessen erweitert, was Bier sein kann. Dabei spielt es keine Rolle, was der Einzelne für Bier hält, es geht darum, was im technischen Sinn ein Bier ist: ein auf Getreidebasis fermentiertes Getränk.
Was treibt Sie an bei den Reisen, wollen Sie neue Zutaten entdecken?
Auf jeden Fall. In Afrika etwa war es faszinierend, neue Getreidearten kennenzulernen. Auch die unterschiedlichen Herstellungsweisen interessieren mich. Hirse zum Beispiel hat sehr kleine Körner, deshalb gibt es besondere technische Herausforderungen beim Bierbrauen. Spannend sind auch Fragen wie: Welche Möglichkeiten gibt es, ein Bier ohne Kühlung zu brauen?

Sie sind Craftbrauer ohne eigene Brauerei, ein Wanderbrauer. Wie sind Sie dazu gekommen?
Ich bin Quereinsteiger. Zunächst habe ich eine kaufmännische Ausbildung gemacht. Seit 2004 beschäftige ich mich intensiv mit Bier. Angefangen habe ich mit Exkursionen in die Niederlande und nach Belgien, eher hobbymäßig. Dann habe ich immer mehr Bierbrauer aus anderen Ländern kennengelernt, bin viel gereist und habe mit einem professionellen Bierprojekt begonnen: Freigeist Bierkultur. Seit 13 Jahren arbeite ich für die Produktion meiner Biere mit zwei Brauereien in Deutschland und einer in Kentucky zusammen.
Craftbrauer – wie definieren Sie das?
Ein Craftbrauer konzentriert sich auf handwerklich hergestelltes Bier – was ihn erst einmal nicht von vielen kleineren traditionellen Betrieben in Deutschland unterscheidet. Er interessiert sich aber außerdem für ungewöhnliche Brautechniken, Rezepte, Sorten und Zutaten, auch jenseits des Reinheitsgebots. Craftbrauer arbeiten häufiger mit Kräutern, Früchten, Gewürzen und anderen Zutaten wie Champagnerhefe.
Wollen Sie ein Bier brauen, wie es noch keines gab, oder vergessene historische Bierstile aufleben lassen?
Ursprünglich ging es mir um historische Bierstile. Mein erster Sud war ein Lichtenhainer, ein Stil, der früher in Jena-Lichtenhain vor allem unter Studenten populär war. Beschrieben wurde das Bier als rauchiges, saures Weizenbier. Ich mag rauchige Biere, ich finde saure Biere spannend, das passte. Auch Grätzer ist ein toller Stil, ebenfalls ein Rauchbier, leicht im Alkohol, gleichzeitig bitter. Faszinierend fand ich immer schon die Braunschweiger Mumme, ein dunkles, schweres Bier, bei dem ganz unterschiedliche Zutaten verwendet werden konnten: getrocknete Pflaumen, Birkenrinde, Fichtenspitzen, Majoran. Ich braue allerdings nicht historisch auf Teufel komm heraus, ich muss die Biere ja auch verkaufen. Wenn ich ein Rote-Bete-Bier mache, muss das nicht nur Erstaunen hervorrufen, sondern auch schmecken.

Wie viele Länder haben Sie schon bereist?
Insgesamt mehr als 80. Mit exotischeren Zielen begann es bei mir 2017.
2016 waren Sie viel im früheren Jugoslawien und in Osteuropa unterwegs. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht?
Es gibt dort viel helles Lagerbier, das noch den früheren österreichischen Einfluss verrät, das wissen viele von ihren Urlaubsreisen her. Eigenständig in Osteuropa ist Kwas, ein auf Grundlage von altem Roggenbrot erzeugtes bierartiges Getränk, dem auch Früchte beigefügt werden können. Es wird oft auf Märkten aus großen Tankwagen verkauft. Sehr guten Kwas haben wir unter anderem in Transnistrien getrunken.
Sind Sie auf Biere gestoßen, die überhaupt nicht schmeckten? Oder liegt es in der Natur des Biers, dass es frisch immer irgendwie schmeckt?
Es gibt schon viele schlechte Biere. Wenn die Rezeptur einfach schlecht ist, wenn es technische Mängel gibt, wenn sie falsch abgefüllt wurden, zu alt sind oder eine Infektion abbekommen haben.

Bier und Tee haben ja viele aromatische Gemeinsamkeiten, doch es gilt als schwierig, mit Tee zu brauen. Gehen die beiden überhaupt zusammen?
Das geht wunderbar zusammen. Ich habe es selbst in einer Teebier-Serie für eine befreundete Bar in Aachen ausprobiert. Das erste Bier ist ein Pale Ale mit Ceylon-Tee. Das weist eine erstaunliche Zitrusfruchtigkeit auf, zugleich eine herbale, nachhallende Bitterness vom amerikanischen Hopfen, die klasse ist. Wir haben auch ein Rauchteebier hergestellt, mit einem Kellerbier als Basis und geräuchertem chinesischem Tee, Lapsang Souchong. Das schmeckte fast wie Bamberger Rauchbier, ohne dass wir Rauchmalz verwendet hätten. Die Aromen gingen rein vom Tee aus. Zuletzt haben wir ein West Coast IPA mit Assam-Tee hergestellt. Ich würde mir wünschen, dass viel mehr mit Tee gebraut wird.
Kennen Sie ein Teebier, das einigermaßen etabliert ist?
Das bekannteste ist aus meiner Sicht das Earl-Grey-IPA der britischen Brauerei Marble. Das Bergamotte-Aroma ist überwältigend. Ich habe sogar die passende Kneipe dazu im Kopf: „Marble Arch“ in Manchester. Ein Heritage-Pub, von der Brauerei selbst geführt, eine Gaststätte mit wunderbarer Atmosphäre.
Lagerbier europäischer Brauart ist in den USA gerade angesagt. Dabei ist Lager dort auch ein traditionelles Bier.
Ja, aber durch die Prohibition gingen viele Betriebe verloren. Übrig blieb die dünne Lager-Plörre. Jetzt merkt man, dass Lager richtig gut schmecken kann. Als ich mit Craftbier anfing, hieß es in der amerikanischen Szene: Ihr in Deutschland habt ja nur langweiliges Lagerbier; ein gutes Bier muss obergärig sein. Mittlerweile sind Brauer und Konsumenten vom klassischen Lagerbierbrauen beeindruckt. Diese Entwicklung ist auch eine Reaktion auf die Exzesse mit „noch mehr Hopfen“ im Bier, noch mehr Fassreifung.

War das unter Craftbrauern verpönte Reinheitsgebot am Ende doch eine gute Idee?
Für klassische Lagerbiere braucht man nicht unbedingt andere Zutaten, als das Reinheitsgebot zulässt. Aber es ist ganz normal, dass in den USA viele Variationen auch innerhalb der Lagerbiere gebraut werden, die Zutaten jenseits des Reinheitsgebots verwenden: Das kann ein Mexican Lager oder ein Rice Lager und vieles mehr sein.
Fühlen Sie sich in den USA beim Bier besser versorgt als in Deutschland?
Es kommt darauf an, wo man sich aufhält. Wenn ich in Bamberg bin, fühle ich mich hervorragend aufgehoben. Der Vorteil in den USA ist, dass man in der Regel eine größere Auswahl hat und immer auf etwas Gutes zurückgreifen kann. Wenn das Fassbier nichts taugt, kann man meist auf ein gutes Standardbier wie Sierra Nevada aus der Flasche zurückgreifen.
Was gefällt Ihnen am Bier in Brasilien?
Die gigantische Vielfalt an Möglichkeiten: exotische Früchte, Fässer aus exotischen Hölzern wie Amburana,ungewöhnliche Kräuter und Gewürze. Es gibt auch einen eigenen anerkannten brasilianischen Bierstil, das Catharina Sour, das im Grunde einer Berliner Weißen mit exotischen Früchten entspricht.

Haben Sie selbst etwas gebraut in diesem Stil?
Ja, ich bin ein großer Fan der Cashew-Frucht, nicht zu verwechseln mit der Nuss, die sich außerhalb der Frucht befindet. In Porto Alegre haben wir damit ein Bier gebraut, das sehr gut geworden ist. Wenn ich in Brasilien über den Markt laufe, rieche ich die Frucht sofort heraus, sie verströmt eine parfümierte, honigartige Lieblichkeit. Brasilien ist auch prädestiniert dafür, beim Brauen Kaffee oder Kakao zu verwenden.
Wo stand die beste Kneipe, die Sie gesehen haben?
Schwierig, es gibt zu viele. Im Idealfall bietet die beste Kneipe eine tolle, ursprüngliche und gemütliche Atmosphäre und hat großartiges Bier und Essen. Spannend im deutschsprachigen Raum sind der Ausschank der Brauerei Spezial in Bamberg und das Augustiner-Bräu Kloster Mülln in Salzburg. In England mag ich das „The Bridge Inn“ in Topsham und das „The Bell Inn“ in Aldworth.
Wie unterscheidet sich das Trinkverhalten weltweit?
Es gibt große Unterschiede. Wir sitzen hier in einer Kölschkneipe, das Bier fließt schnell. In den USA habe ich Kölsch-Verkostungen gemacht, all-inclusive, die Teilnahmegebühr war recht hoch. Es war faszinierend: Die Teilnehmer bekamen ein Kölsch und nippten daran wie an einem Sekt, einige haben 20 Minuten für eine Stange gebraucht.

Welche Bierkultur war Ihnen besonders fremd?
Das möchte ich gerne umdrehen: Überall, wo Bier getrunken wird, fühle ich mich zu Hause. Normal stichst du als Nicht-Einheimischer im Alltag heraus wie ein bunter Hund. Wenn ich irgendwo in der Welt in eine Bierkneipe gehe, ist mir nichts fremd, und ich habe das Gefühl, auch den Einheimischen nicht fremd zu sein.
Wo stehen in Ihrem Bierstadt-Ranking Köln, Düsseldorf, München und Bamberg?
Bamberg steht ganz weit oben – ohne Zweifel. Bei den anderen Städten spielt der persönliche Geschmack eine größere Rolle. Ich liebe Düsseldorf als Bierstadt. Köln und München sind solide, ich persönlich würde aber die beiden ersten Städte bevorzugen.
Wo siedeln Sie Berlin und Hamburg an?
Weltweit gesehen, sind sie biertechnisch bedeutungslos.
Welche Städte stehen unter Bier-Aspekten weit oben?
Als passionierter Biertrinker bin ich immer gerne in Prag, London und vielen anderen britischen Städten mit tollen Kneipen wie Manchester, Sheffield und Leeds.
Was bedeutet Ihnen das Bierland Belgien?
In meinen Anfangsjahren war ich viel in Belgien, ich komme aus der Aachener Gegend. Heute bin ich nur noch selten dort, der hohe Alkoholgehalt und auch das häufig wiederkehrende Geschmacksbild der sehr einseitig fruchtigen Hefigkeit haben mich etwas ermüdet. Es gibt aber natürlich tolle Brauereien dort.
Welches ist aus Ihrer Sicht der interessanteste Brauer?
Da gibt es viele. Eine Brauerei, die immer wieder spannende Kreationen veröffentlicht, ist die Brauerei Scratch aus Illinois. Die kombinieren in ihrem Bier selbstgesammelte Kräuter, Gewürze und Pilze.
