Die Geschäftsführer der Luxusmarke Kiton über ihren Erfolg

„Begonnen haben wir einst mit zwei Jacken für Frauen“

Maria Giovanna Paone, Geschäftsführerin und Chefdesignerin der Kiton-Damenmode

Frau Paone, Sie sind Chefdesignerin der Damenmode von Kiton. Wohin geht der Trend?

Das kann ich Ihnen nicht sagen, denn wir sind nicht von Trends abhängig. Wir richten uns nicht an Menschen, die Modisches suchen, wir legen Wert auf Qualität und Eleganz.

Aber wie modernisieren Sie die Kollektion?

Wir dekonstruieren einige Schultern und geben den Jacken mehr Raum. Sie sind nicht so streng wie Herrensakkos und leichter.

Ihr Cousin Antonio trägt einen Nadelstreifenanzug. Wären solche Streifen nicht auch etwas für Frauen?

Ja, aber mehr Ton in Ton, denn wir wollen als Frau nicht aggressiv wirken, sondern feminin, ein bisschen sexy, aber nicht zu aufdringlich.

Die Damenmode macht bei Kiton schon 20 Prozent des Gesamtgeschäfts aus. Wie war es am Anfang?

Wir hatten nur zwei Jacken, eine zweireihige und eine einreihige. Jetzt ist es eine ganze Kollektion, mit Handtaschen, Kleidern, Strickwaren, Leder und für den Winter Lammfell.

Sie haben 1986 angefangen . . .

. . . ja, als ich 18 war, meine Güte. Aber es fühlt sich an, als hätte ich gerade erst begonnen.

Was hat sich in der Zeit am meisten verändert?

An der Qualität und der Mentalität haben wir nichts geändert. Aber als wir immer größer wurden, haben wir Organisation, Produktion und Auslieferung neu aufgestellt.

Ihr Vater hat die Sachen noch einfach in sein Auto gepackt und ist nach Deutschland gefahren.

Ja, um die Kollektion zu präsentieren, denn wir hatten keinen Showroom. Wir verkauften an den Großhandel und präsentierten die Produkte. Sie sollten die Sachen ausprobieren, denn niemand kannte sie. Jetzt kommen sie hierher.

Sind Sie mitgefahren nach Deutschland?

Ja, zur Kölner Herrenmodemesse, das war damals eine große Sache. Dann eröffneten wir einen Showroom in Düsseldorf. Das Schicksal der Kölner Messe zeigt, wie wichtig es ist, Dinge zu modernisieren. Man muss die Tradition bewahren, aber weiterentwickeln.

Ciro Paone von der italienischen Herrenmodemarke Kiton
Ciro Paone von der italienischen Herrenmodemarke KitonArchiv

Scheint ein deutsches Problem zu sein. Wir hatten viele wichtige Familienmarken wie Escada und Strenesse, die untergegangen sind . . .

Das Geheimnis: Man muss die Familie zusammenhalten. Ich hatte Glück, denn ich habe immer mit meinem Vater, meiner Schwester und meinen Cousins gearbeitet, Leuten aus der Familie mit unterschiedlichen Charakteren und Fähigkeiten. Meine Schwester und ich sind das genaue Gegenteil. Meine Cousins und ich sind alle verschieden. Aber wir arbeiten für das gemeinsame Ziel Kiton, nicht für unseren eigenen Ruhm. Das ist wichtig.

Seit wann sind Sie für die Damenkollektion verantwortlich?

So richtig haben wir damit begonnen, als wir 2013 in diesen Palazzo an der Via Pontaccio eingezogen sind. Dann wuchs das Geschäft, wir brauchten neue Designer, da ich mich vor allem mit Anzügen, Jacken und Mänteln auskenne.

Sie brauchten neben Tailleur auch Flou, wie die Franzosen es nennen.

Ja. Denn von meinem Vater habe ich alles über die Eleganz einer Jacke gelernt, aber natürlich nichts über Feminines, denn nicht meine Mutter war in der Firma, sondern mein Vater. Es war eine Entdeckung für mich. Die Designer müssen sich aber auf unsere Vorstellungen einlassen und nicht nach ihren Wünschen handeln. Manchmal wählen sie zum Beispiel modischere Qualitäten, die nicht so gut zu uns passen.

Haben Sie eine eigene Produktion?

Alle Schneiderarbeiten werden in Neapel ausgeführt, aber in einer neuen Abteilung, da die Stücke anders gefertigt werden. Wir haben 45 Mitarbeiter in einem separaten Bereich für Jacken und Mäntel. Und mehr als 60 Frauen arbeiten mit Seide, Leinen, Baumwolle.

Je mehr eigene Geschäfte es gibt, desto mehr Produkte muss man dort präsentieren.

Ja. Früher waren die Geschäfte nur auf Männer ausgerichtet. Jetzt, da wir einige neue Geschäfte eröffnen, haben wir Mitarbeiter, die auch für die Damen da sind. Und wir haben die richtigen Räumlichkeiten, denn Frauen brauchen mehr Platz und nehmen sich mehr Zeit. Sie überlegen lange und wollen alles anprobieren.

Ihr Vater Ciro Paone, der Kiton 1956 gründete, war ein Kontrollfreak . . .

Ja, er kontrollierte einfach alles.

Ein bisschen, mit meinen Kindern. Martina, die Ältere, hilft mir bei der Damenmode. Mein Sohn Ulderico arbeitet mit Totò zusammen und kümmert sich um Accessoires und Schuhe. Es ist sehr wichtig, dass sie sich zuerst kleinen Dingen widmen und dann den Horizont erweitern. Mit meinen Neffen und Nichten gehe ich sanfter um. Dass sich die neue Generation so ernsthaft engagiert, liegt auch an meinem Vater. Noch als er im Rollstuhl saß, kam er jeden Tag rein. Sie spürten seine Leidenschaft.

Haben Ihre Kinder auch im Geschäft gearbeitet?

Ja. Meine Tochter während ihres Studiums in London den ganzen Nachmittag in unserem dortigen Geschäft, Ulderico in New York. Das Geschäft ist der erste Schritt in die Welt eines Unternehmens. Da sieht man all die guten Dinge, aber auch die weniger guten. Und man bekommt ein Gespür für den Kunden. Man muss Psychologe sein, um erfolgreich zu sein.

Auch Sie sind nach England gegangen.

Ja, ich war sehr schlecht in Fremdsprachen. Mein Englischlehrer war ein deutscher Priester, weil ich auf eine katholische Schule ging. Mein Englisch war schrecklich, also schickte mich mein Vater nach der Schule für ein Jahr nach England. Danach ging ich zurück zu meinem Englischlehrer und begrüßte ihn auf Englisch – denn er hatte gesagt, ich würde es nie lernen.

Deutsch brauchten Sie dann nicht mehr zu lernen, weil heute jeder Englisch spricht.

In Japan, China und Korea ist es noch schwierig. Daher lernt die Tochter meiner Schwester nun Chinesisch. Und die andere Tochter meiner Schwester arbeitet im Marketingteam. Wir hatten dort nie jemanden aus der Familie, daher wurde unsere Philosophie manchmal missverstanden. Marketing ist sehr wichtig. Den wahren Wert mussten wir erst erkennen.

CEO Antonio De Matteis im Mailänder Showroom von Kiton
CEO Antonio De Matteis im Mailänder Showroom von KitonHelmut Fricke

„Meine Leute nennen mich weiter einfach Totò“

Antonio de Matteis, Geschäftsführer von Kiton

Herr De Matteis, Sie sind seit 2023 Präsident der Modemesse-Gesellschaft Pitti Immagine. Wie steht es denn um die italienische Modebranche?

Es ist keine einfache Zeit. Die geopolitische Lage ist schwierig. Aber die meisten Unternehmen werden überleben. Denn die Italiener sind am besten, wenn die Zeiten schwierig sind.

Aber die Zahlen sehen wirklich schlecht aus.

Auf unserer Messe im Sommer war die Stimmung positiv. Und die Pitti Uomo ist weiter die wichtigste Messe der Welt für Männermode. Das sage ich jetzt nicht einfach nur, weil ich der Präsident bin.

Sie haben einige Schauen junger Designer gesehen. Haben Sie sich für Kiton inspirieren lassen?

Das tue ich immer. Wir hatten vielversprechende junge Designer wie Niccolò Pasqualetti dabei und einige neue Namen aus Korea. Die Modewelt sucht ja immer nach Neuem.

Könnten die Koreaner eine echte Gefahr werden für italienische Modeunternehmenn?

Auf keinen Fall. Aber nicht, weil ich denke, wir wären besser. Nein, es gibt Platz für alle. Und: Sie können neues Interesse an Mode wecken, besonders bei der jungen Generation.

Und wie läuft das Geschäft bei Kiton?

Wir hatten ein phantastisches Jahr 2024. Im Vergleich zu 2023 sind wir um zehn Prozent gewachsen, auf 225 Millionen Euro Umsatz. Und das erste Halbjahr 2025 war für uns sehr positiv, unser Einzelhandelsgeschäft wächst deutlich. Wir leiden nur unter den Problemen des Großhandels, also der Kaufhäuser.

Wir sind für das Jahresende positiv gestimmt. Ich bin etwas abergläubisch, schließlich bin ich Neapolitaner. Daher werde ich Näheres erst sagen können, wenn das Jahr gelaufen ist.

Ihr Geschäft läuft nur in bestimmten Grenzen, da Sie Maßanzüge herstellen. Die können Sie nicht wie Konfektionsware über das Internet verkaufen.

Aber wir bieten heute in unserer Kollektion viel mehr an. Das Formelle macht nur noch 25 Prozent des Umsatzes aus. Der Rest sind Jeans, Sport- und Freizeitkleidung. Und 20 Prozent entfallen heute auf Damenmode.

Damenmode wird also immer wichtiger.

Viel wichtiger! Darin liegt viel Potential.

Kaufen Männer anders ein als Frauen?

In ihrem Kaufverhalten ähneln sie immer mehr den Frauen. Sie kaufen nicht mehr einfach so, sondern gezielt. Seien es Anzüge oder Freizeitkleidung für den Urlaub – sie schauen genau hin. Mein 17 Jahre alter Sohn Umberto zum Beispiel will für jeden Anlass das richtige Outfit haben. Wir waren früher entspannter.

Wachsen die jungen Leute in Ihre Marke hinein?

Wir waren schon immer eine Marke, die auch bei Jüngeren ankommt. Natürlich können wir unsere Sachen nicht an Zwanzigjährige verkaufen, wenn sie nicht mit dem Vater kommen, weil sie es sich einfach nicht leisten können. Aber es wächst etwas nach. Unsere wichtigste Klientel ist zwischen 35 und 65 Jahren alt.

Und was ist mit den deutschen Kunden?

Ich liebe Deutschland! Als ich angefangen habe, war Deutschland unser größter Markt – und machte fast 50 Prozent unseres Umsatzes aus. Die Deutschen stehen unserer Markenphilosophie sehr nahe, weil sie zurückhaltend sind, sie wollen nicht zu sehr protzen. Deshalb sind wir sehr zuversichtlich, dass der deutsche Markt wieder stark wachsen kann.

Welchen Anteil hat der deutsche Markt aktuell?

Nur noch etwa sechs Prozent. Man muss aber dazu sagen: Als der Anteil bei 50 Prozent lag, war unser Unternehmen wesentlich kleiner und nicht so globalisiert. Bei einem Umsatz von 225 Millionen sind diese sechs Prozent viel mehr als früher. Aber wir können uns noch steigern. Deshalb haben wir im Oktober das Geschäft in Hamburg am Neuen Wall eröffnet. Und wir haben weitere Pläne in Deutschland.

Die USA erheben hohe Zölle, die Lage in Russland ist katastrophal, in China ist sie schwierig . . .

In Russland ist es wegen der Sanktionen praktisch unmöglich, zu verkaufen. Natürlich hoffen wir, dass dieser Krieg bald vorbei ist, nicht weil wir verkaufen wollen, sondern wegen der Menschen, die sterben. In China hingegen zeichnet sich eine Aufhellung ab. Vor allem die größeren Städte wie Schanghai und Hongkong erholen sich. Der asiatische Markt wächst, einschließlich Vietnam, Korea und Japan.

Und welche Märkte haben das größte Potential?

Alle! Ich bin immer noch mehr als 200 Tage im Jahr unterwegs in aller Welt. Und ich sehe, dass es überall Gentlemen gibt.

Aber bei den Preisen für Luxusprodukte sind die Grenzen des Wachstums langsam erreicht.

Es ist wichtig, dass hinter dem Preis die richtige Qualität und der richtige Service stehen. Man muss auch an die Gehälter denken, wir zahlen viel mehr als andere. Aber manche Unternehmen – ich möchte keine Namen nennen –nutzen das gute Wachstum aus und treiben die Preise auf dreiste Weise in die Höhe.

Und wie rechtfertigen Sie Ihre Preise?

Wir arbeiten 25 Stunden an einer Jacke. Drei Schneider fertigen also jeweils einen Tag lang eine Jacke. Sie sind Künstler, man muss sie sehr gut bezahlen. Unsere Preise sind nicht so stark gewachsen wie bei anderen, denn wir sind nicht so bekannt wie andere Marken, und wir sind ein Familienunternehmen, kein Finanzinvestor. Unsere Gewinnmarge liegt immer bei 15 oder 16 Prozent. Die ist anderswo viel höher.

Ist es also schwer, als Familienunternehmen zu überleben?

Nein! Die Familie ist die Stärke unseres Unternehmens! Wenn man eine Entscheidung trifft und alle in die gleiche Richtung gehen, ist das eine große Kraft. Jeder arbeitet mit, jeder hat seinen Arbeitsbereich, jeder kennt das Problem, jeder kennt das Ergebnis, jeder weiß alles.

Wann hat Bernard Arnault von LVMH Sie das letzte Mal angerufen?

Ich habe nie einen Anruf von ihm bekommen.

Und Kering-Chef François-Henri Pinault?

Auch nicht. Wir wollen nicht verkaufen. Da geht es ja nicht nur um Finanzielles, sondern vor allem um Familiäres. Das Unternehmen ist für uns wie ein Kind. Verkauft man sein Kind?

Apropos Kinder: Arbeiten Ihre zwei älteren Söhne schon in der Firma mit?

Ja, Mariano und Walter sind schon im Unternehmen. Bei Umberto dauert es noch etwas.

Ihre Produkte bleiben zu 100 Prozent italienisch?

100 Prozent. Wir haben fünf Standorte: Neapel mit mehr als 500 Mitarbeitern, Caserta für Sportswear, Fidenza für Strickwaren, Parma für Oberbekleidung und Biella für Stoffe. Wir haben fast 1000 Mitarbeiter.

So viele? Haben Sie trotzdem noch die Kontrolle über alle Ihre Mitarbeiter?

Ja. Alle nennen mich noch einfach Totò.