Es war kein Aprilscherz, sondern der letzte informationstechnische Aufgalopp der DDR, als am 1. April 1969 in Dresden das Kombinat Robotron gegründet wurde. Unter Walter Ulbricht, dem starken Mann im Zentralkomitee der SED, war zu Beginn der Sechzigerjahre die Konzentration der ostdeutschen Planwirtschaft auf Kybernetik ausgerufen worden – ganz dem internationalen Zeitgeist entsprechend, aber im Wettlauf mit dem Kapitalismus war das angekündigte Überholmanöver ausgeblieben. Nun stand Ulbrichts Nachfolger Erich Honecker schon in den Startlöchern, und mit dem absehbaren Wechsel an der Staatsspitze sollte doch noch einmal eine große technologische Anstrengung unternommen werden. In der Endzeit der DDR arbeiteten an den fünfzehn übers ganze Land verteilten Robotron-Standorten 68.000 Menschen – es war damit das größte aller Kombinate.
Ein erfolgloser Informationstechnologieschub
Einer dieser Standorte war in Leipzig, mitten in der Stadt, ganz nahe am Hauptbahnhof: das Schulungszentrum von Robotron. Dementsprechend verfügte das in Rekordzeit errichtete fünfstöckige Gebäude aus dem Jahr 1970 über große Hörsäle und einen Kinosaal, die in den Nachwende-Jahren für kulturelle Zwecke genutzt wurden. Denn da war Robotron schon wieder Geschichte – aufgelöst am 1. Juni 1990, noch während der staatlichen Eigenständigkeit der DDR, nachdem der Traum einer Fusion mit der Technologiesparte des westdeutschen Siemens-Konzerns geplatzt war (der sogenannte „Rosie“-Plan). Aber das Robotron-Gebäude war dank seiner Kulturnutzung noch jahrelang quicklebendig und dadurch fester im kollektiven Stadtgedächtnis verankert als je zuvor. Man merkt es an den Besucherreaktionen in der jetzt laufenden Leipziger Ausstellung „Robotron – Code und Utopie“.
Um Missverständnisse zu vermeiden (die auch den Reaktionen mancher Besucher abzulauschen sind): Die Schau erzählt nicht die Industriegeschichte des Kombinats. Ausrichter ist die Galerie für Zeitgenössische Kunst, eine bereits Ende 1990 begründete und heute in Kooperation vom Freistaat Sachsen und dem Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie betriebene Institution, deren Ausstellungsprogramme immer wieder überraschen. Diesmal nimmt das Haus die künstlerischen Folgen der Existenz von Robotron in den Blick: solche unmittelbarer Art wie die fünf wandgroßen Reliefs bekannter Leipziger Künstler, die in den Foyers des Robotron-Schulungszentrums installiert waren, und solche indirekter Art wie der Niedergang anderer industrieller Sparten, weil der letztlich erfolglose Informationstechnologieschub den Großteil der Mittel für Industriemodernisierung fraß.

Davon erzählt etwa Tina Baras erst vor wenigen Monaten geschaffene faszinierende vierzigminütige Videoarbeit „BUNA, eine Zeit“, für die Bara eigene Fotos benutzt hat, die sie 1988 im Rahmen eines sogenannten „Pleinairs“ im wichtigsten chemischen Kombinat der DDR aufgenommen hatte. Künstler sollten damals die dortige Arbeit dokumentieren, aber das, was die Beteiligten sahen und in ihren Werken festhielten, war nicht opportun; Bara durfte die Aufnahmen nicht zeigen, Teile ihrer noch unbelichteten Filme wurden beschlagnahmt. Nun sieht man, was sie bewahrte und wie die DDR zugunsten von Robotron BUNA herunterwirtschaftete. Dazu gibt es ein eigens für die Ausstellung geschaffenes Making-of von noch einmal zwanzig Minuten Dauer.
Zu abstrakt, um akzeptiert zu sein
Technikoptimismus war aber nicht nur Sache des Staates, er zeigte sich auch in der damaligen Kunst und Gestaltung. Etwa in Karl Clauss Dietels Produktdesign für den von Robotron gefertigten Großrechner R 300, der zumindest im Aussehen mit den Produkten der westlichen Konkurrenz mithalten konnte. In „Arbeiterklasse und Intelligenz“, Werner Tübkes von 1970 bis 1973 entstandenem, höchst umstrittenem Auftragsgemälde für die damalige Karl-Marx-Universität in Leipzig, figuriert der R 300 als Hintergrund, um vom Siegeszug der Zukunftstechnologie auch im Sozialismus zu künden. In der Realität brauchte die Anlage 45 Schränke auf insgesamt 35 Quadratmetern Grundfläche für eine eher bescheidene Rechenleistung.

Mit Ruth Wolff-Rehfeldt, A. R. Penck und Karl-Heinz Adler sind Künstler vertreten, die in der DDR der Siebziger- und Achtzigerjahre abseits des offiziellen Kunstbetriebs arbeiteten: mit Typewriting-Grafiken (Wolf-Rehfeldt), Computermodell-Motiven (Penck) oder seriellen Linienbildern (Adler), die jeweils viel zu abstrakt waren, um akzeptiert zu werden. Gleichzeitig wurde aber in den fünf Wandreliefs des Robotron-Schulungszentrums durchaus die Grenze zur Abstraktion gestreift. Bevor das Gebäude 2012 abgerissen wurde, wurden sie in situ fotografiert, und diese Aufnahmen sind nun in der Schau zu sehen. Drei der Reliefs wurden sogar in den Nachfolgebau, die Zentrale der Sächsischen Aufbaubank, integriert.
So ist doch noch einiges mehr als bloße Erinnerung an Robotron in Leipzig präsent. Und anderswo. Die Dresdner Kombinatszentrale steht noch, wartet aber auf ein Nutzungskonzept. Derweil macht sich die Kunst einen Spaß damit: Die architektonischen Szenerien und historische Aufnahmen nutzt Nadja Buttendorf seit 2018 für ihr Netzprojekt „Robotron – A Tech Opera“. Und Antye Guenthers „Operation Zwiebelmuster“ erzählt die (teilimaginäre) Farce eines Chipbauplanschmuggels aus Japan mittels Meissener Porzellanmalerei. So gibt es auch zu lachen in dieser Ausstellungsgeschichte einer gescheiterten Hoffnung
Robotron – Code und Utopie. In der Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig; bis zum 22. Februar 2026. Eine Begleitpublikation (Spector Books) soll noch erscheinen.
