Als Selina Freitag am Samstag vor Weihnachten in die Hotelbar „The Old Monk“ im Zentrum von Engelberg kam, war sie schon da, die Frage nach dem Duschgel. „Das war so klar“, sagte die 24-Jährige aus Erlabrunn im Erzgebirge, rollte die Augen, setzte sich, nahm ihre Mütze ab. Sie wollte nicht in diese Rolle der Skispringerin schlüpfen, die nicht nur um Weiten kämpft, sondern auch um Gleichberechtigung. Aber diese Rolle hat sie seit Silvester 2024 nun mal inne.
Freitag erhielt damals für ihren Qualifikationssieg in Garmisch-Partenkirchen kein Preisgeld wie die Männer, sondern eben besagtes Duschgel und vier Handtücher. Diesen Fakt schilderte sie dann im ARD-Interview und schob nach: „Ich möchte ja gar nicht groß darüber meckern, aber da sieht man die Unterschiede.“ Denn der Männer-Qualifikationssieger Jan Hörl durfte sich über 3000 Schweizer Franken freuen. Und schon hatte Freitag mit nur wenigen Sätzen eine große Diskussion entfacht.

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Es war keine neue Debatte. Gleiche Bezahlung, gleiche TV-Präsenz, überhaupt die Frage der Gleichberechtigung, das ist ein uraltes Thema im Profisport der Frauen. Die Gender Pay Gap, die finanzielle Lücke zwischen den Geschlechtern, ist in vielen Sportarten immer noch riesig. Disziplinen wie Biathlon, in denen dasselbe Preisgeld für Frauen und Männer ausgeschüttet wird, sind längst nicht die Regel; im Tennis ist das zumindest bei den Grand-Slam-Turnieren der Fall. Besonders in Teamsportarten wie dem Klubfußball oder -handball klafft die Schere exorbitant weit auseinander. Auch weil die Reichweite und Einschaltquoten, Vermarktung und Werbeeinnahmen im Vergleich zu den Männern nicht so groß sind. Das sind einige der harten Faktoren, nach denen sich die Bezahlung bemisst. Auch im Skispringen.
„Für uns ist es ein bisschen ärgerlich, weil wir genauso den ganzen Sommer trainieren, genauso die Leistung bringen, genauso viel Zeit opfern, um im Winter zu performen“, sagte Selina Freitag in Engelberg. Das Frauenspringen gleiche sich dem Männerspringen immer mehr an: Warum also nicht die Bezahlung? Teamkollegin Katharina Schmid, die siebenmalige Weltmeisterin, die am Samstag ihren Rücktritt zum Saisonende ankündigte, pflichtet ihr bei: „Ich würde es auch gerne verstehen, warum das noch so ist, weil ich glaube, dass wir einen geilen Sport zeigen.“
Von der Saison 2026/2027 an soll der Weltcupkalender der Frauen enger mit dem der Männer verknüpft werden
Zwar wurde das Preisgeld der Skispringerinnen für einen Weltcupsieg im Vergleich zur vergangenen Saison leicht von 4300 auf 5000 Euro angehoben. Aber auch das der Männer wurde erhöht: von 13 000 auf nun 15 000 Euro für den Gewinner eines Weltcups. Der aktuelle Bestverdiener, Domen Prevc aus Slowenien, kommt in diesem Winter vor Beginn der Vierschanzentournee auf Preisgeld in Höhe von knapp 145 000 Franken – die ähnlich erfolgreiche Japanerin Nozomi Maruyama, ebenfalls Weltcupführende, auf knapp 53 000 Euro, also auf kaum mehr als ein Drittel. Bei der WM Anfang 2025 in Trondheim waren die Prämien immerhin paritätisch verteilt. Rekordweltmeisterin Schmid sagte kürzlich in Engelberg: „Ich glaube, die größte Lücke, die wir noch haben, ist das Preisgeld. Das ist schon ein ziemlich großer, aber nicht der letzte Schritt. Da müsste schon noch mehr passieren, damit wir wirklich gleichberechtigt sind.“
Immerhin passiert etwas, im Kleinen wie im Großen. Die Frauen bekommen bei der Two-Nights-Tour dieses Mal 3175 Euro für einen Qualifikationssieg, die Gesamtsiegerin erhält 10 000 Euro (der Sieger der Vierschanzentournee allerdings 100 000 Euro). Die 2023 eingeführte Two-Nights-Tour ist das – wesentlich kleinere – Frauen-Pendant zur Vierschanzentournee der Männer, die beiden Springen finden am 31. Dezember in Garmisch-Partenkirchen und am 1. Januar in Oberstdorf statt. Und womöglich öffnen sich dort von der Saison 2026/27 an neue Türen.
Denn am Bergisel in Innsbruck, der bislang einzigen flutlichtlosen Tourneeschanze, werden dann Strahler installiert, dies wurde kürzlich beschlossen. Das Flutlicht würde auch den Frauen mehr Spielraum ermöglichen, der Weg zu ihrer Vierschanzentournee wäre geebnet. „Innsbruck sollte bei uns in den Kalender kommen, und Bischofshofen auch. Warum sollten wir Frauen dort nicht springen?“, fragt die Österreicherin Lisa Eder rhetorisch: „Ich glaube, dass die Aufmerksamkeit in den letzten fünf, sechs Jahren irrsinnig gestiegen ist.“

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Auch wenn weitere Widerstände überwunden werden müssten. Es gibt zum Beispiel ein Weltcupspringen für die Frauen in Villach; diesmal am 5./6. Januar 2026; das müsste dann für die abschließende Vierschanzentournee-Station in Bischofshofen weichen oder verschoben werden. Außerdem ist die Frage, ob zwei parallel laufende Vierschanzentourneen logistisch machbar sind – zumal bei nicht auszuschließenden Wetterkapriolen. Auch die Hotelkapazitäten sind ein Thema. Eine derzeit diskutierte Möglichkeit wäre, die Wettbewerbe der Frauen jeweils am Qualifikationstag der Männer auszutragen. Die Tendenz ist jedenfalls positiv. Österreichs Frauen-Nationaltrainer Thomas Diethart sagt: „Die Damen hätten sich das sicher verdient, sie kämpfen schon recht lange darum, dass es mehr wird.“
Mehr Wettkämpfe dürfte es mittelfristig in jedem Fall geben. Denn von der Saison 2026/2027 an soll der Weltcupkalender der Frauen enger mit dem der Männer verknüpft werden. Es soll dann zur Regel werden, dass Skispringerinnen und Skispringer ähnlich wie beim Biathlon am selben Tag am selben Ort sind – und dadurch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Es wäre ein weiterer Schritt hin zu einem faireren Umgang mit den Skispringerinnen.
Und was das Duschgel angeht: Die Veranstalter könnten Männern wie Frauen – zusätzlich zur gleichen finanziellen Entlohnung – noch ein paar Pflegeprodukte beilegen. Ansonsten hat auch Frauen-Bundestrainer Heinz Kuttin eine klare Haltung zu dieser Geschichte: „Für mich ist es gut, dass das letztes Jahr angesprochen worden ist. Das hat sehr viel Positives ausgelöst.“ Auch wenn Selina Freitag nun ständig Gleichberechtigungsfragen beantworten muss.
