Lisa Maria Potthoff als „Sarah Kohr“ im ZDF

Als die LKA-Beamtin Sarah Kohr (Lisa Maria Potthoff) bei ihrer abendlichen Joggingrunde direkt in Nils Köppke (Steve Windolf) hineinrennt, ist sie bass erstaunt. Nicht nur, weil der Mann, den sie kennt und schätzt, gerade Pizza in der Hand hält, ein Gericht, das der disziplinierten Kommissarin nie in den Ernährungsplan käme. Köppke lebt mit neuer Identität im Zeugenschutzprogramm in Regensburg. Hamburg ist für ihn tabu, seit sein großer Bruder geschworen hat, ihn zu töten.

Erst der Nahkampf, dann die Sprengstoffladung

Kohr ist freilich nicht nur verwundert, sie rennt Köppke in der ersten von zahlreichen rasanten Verfolgungsjagden hinterher. Schließlich geht sie zu Boden, ausgeknockt durch die Autotür des Lieferwagens, in dem Köppkes Komplizen sitzen. Mit Lars Rütger (Julius Nintschkoff), dem „Blonden“, und Rainer Quentin (Bozi Kocevski), dem „Irren“, fährt der Sprengstoffexperte nach der Konfrontation direkt zum Museum, welches das Trio auszurauben gedenkt. Kohr stellt ihn erneut und nimmt den Nahkampf mit dem Blonden und dem Irren auf. Ihr Bekannter hält sich auffallend zurück. Ein zweites Mal gebremst wird die Kampfmaschine Kohr durch die Sprengstoffladung, die hinter ihr die Mauer durchschlägt.

Der nach der Action herbeigeeilte Oberstaatsanwalt Anton Mehringer (Herbert Knaup) sorgt sich wie immer vergeblich um seine Mitarbeiterin. Worum geht es? Was vor allem, mag sich der Zuschauer fragen, soll die Renaissance von Panzerknackern im Fernsehen, wo doch Kryptowährungsraub und Internetkriminalität State of the Art sind? Die erste Antwort: Eine zünftige Mauersprengung passt eben besser zur Reihe „Sarah Kohr“, genau wie eine zünftige Schlägerei oder eine zünftige Geiselnahme mit Selbstbefreiung. Die zweite: Einst waren Köppke und sein Bruder in Hamburg so etwas wie „Ocean’s Two“. Alles eben etwas bescheidener im deutschen Fernsehen, bis auf die Moral von der Geschichte.

Zwei gegen eine? Für Sarah Kohr (Lisa Maria Potthoff, M.) kein Problem.
Zwei gegen eine? Für Sarah Kohr (Lisa Maria Potthoff, M.) kein Problem.ZDF/Christine Schroeder

Fans von Sarah Kohr, der unkaputtbaren Kein-Nonsens-Polizistin mit messerscharfer Kombinationsgabe, werden auch bei ihrem zwölften TV-Einsatz auf ihre Kosten kommen. Figuren wie sie, von Lisa Maria Potthoff mit großem körperlichem Einsatz und stoischer Miene gespielt, sollen suggerieren, dass es bei der Polizei Beschützer gibt, die die Gesellschaft nicht nur vor amoralischen Halunken bewahren, sondern auch empathisch sind.

Sarah Kohr mag zwar nur zielgerichtet reden und lieber mit vollem Körpereinsatz agieren, sie hat den moralischen Kompass verinnerlicht, den kein noch so geschickt eingesetztes Magnetfeld ablenken kann. Die Frau geht zu Boden, steht auf, teilt aus und lässt sich verprügeln, entführen, niederzwingen, hat aber am Ende die Gesamtlage im Blick und alle Fäden in der Hand.

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Ohne Logik geht es leichter

Als sie Köppkes großen Bruder Sven (Jakob Diehl) in seiner Bewährungsunterkunft für unheilbar Kranke besucht, schaut sie dem verurteilten Raubmörder tief ins Auge und stößt den König auf seinem Schachbrett um. Schachmatt. Schubs. Okay, das ist als Spielausgang unlogisch, weil alle anderen Figuren stehen. Unlogisch ist auch, dass Nils Köppkes Türschlüssel am ersten Tatort verloren geht und die Polizisten sofort zur richtigen Adresse gehen. Unlogisch ist schließlich, dass sich Mathehirn Nils von seiner Partnerin nach Strich und Faden hat hereinlegen lassen. Und jeder Logik entbehren die ständigen Auftritte der Gefängnisärztin Dr. Alicia Bauer (Jasmin Gerat), die in der Haftanstalt ganz allein Diagnosen stellt. Dass Kohr in der Krankenhaus-Notaufnahme ausgerechnet dann von ihrer Mutter Heike (Corinna Kirchhoff) behandelt wird, als Dr. Bauer auf dem Gang mit einem Herzspezialisten konspiriert, und Mutter Kohr den Hintergrund des Falls erklärt, der ihrer Tochter (und uns) noch fehlte, passt ins Schema.

Es mag zu viel verlangt sein, von solchen auf Schnelligkeit, Wendungen und Haudrauf-Qualitäten lebenden Geschichten erzählerische Raffinesse oder glaubwürdige Psychologie zu verlangen. Jedenfalls ist die Superwoman-Reihe „Sarah Kohr“ im ZDF bemerkenswert erfolgreich. Das allerdings mag daran liegen, dass der Autor Timo Berndt bislang alle Folgen geschrieben hat und die Rollenprofile entsprechend stimmig sind (Regie hat zum zweiten Mal Kirsten Laser, Kamera Rodja Kükenthal). Die Musik von Boris Bojadzhiev übertreibt den Suspense gewaltig, aber auch das gehört hier dazu.

Ein gewisses Highlight mag darin bestehen, dass die schlagkräftige Einzelgängerin Kohr auf Martin Wuttke trifft. Als schmieriger, gewissenloser und gewalttätiger Oberschurke Mark Obsian ist Wuttke eine schauspielerische Bank. Potthoffs und Wuttkes Konfrontationen weist die Inszenierung die Aufgabe zu, für stetige Verunsicherung zu sorgen. Am Ende soll alles gut ausgehen. Und wir sollen uns merken, dass wir solange sicher sind, wie Polizistinnen wie Sarah Kohr unsere Werte verteidigen.

Sarah Kohr – Großer Bruder läuft am Montag, 29. Dezember, um 20.15 Uhr im ZDF und im ZDF-Stream.