Ein eigenartiges architektonisches Ensemble begegnet dem Flaneur nun an der zentralen Kreuzung von Harlem, dem African Square. Da ist an der Nordseite des Platzes das brutalistische Ungetüm der New Yorker Verwaltung aus den 70er Jahren, benannt nach dem legendären schwarzen Senator Adam Clayton Powell. Schräg gegenüber liegt das Art-déco-Hochhaus des einst glanzvollen Theresa Hotel, in dem Prominenz von Muhammad Ali über Fidel Castro bis zu Jimi Hendrix abgestiegen ist. Eine Platte im Bürgersteig davor gedenkt des Besuchs von Nelson Mandela 1990 in der „Hauptstadt des schwarzen Amerika“.
Auf der anderen Seit des A. C. Powell Boulevard ist seit Neuestem ein eklektizistisches Trio an Gebäuden zu bewundern, das in seiner Gebrochenheit den Charakter des Platzes spiegelt: Auf der Ecke ein gesichtsloser Glaskubus für das Servicezentrum eines Mobilfunkanbieters, etwas weiter eines der reich ornamentierten Lagerhäuser aus dem späten 19. Jahrhundert und dazwischen drängt wie eine dunkle Festung das gerade neu eröffnete Studio Museum of Harlem des britisch-ghanaischen Architekten David Adjaye hervor, ganz in schwarzem Beton.
Die Schwere des Gebäudes, das der Architekturkritiker der New York Times, Michael Kimmelman, als „muskulös“ bezeichnet, widerspricht beim ersten Augenschein dem Anspruch des Museums, sich ganz dem Viertel zu öffnen und ein Teil von Harlem zu sein. Dass sich die vielfach gebrochene und verschachtelte Fassade wie „ein Essay über Blackness“ liest, wie Kimmelman schreibt, erscheint eher abstrakt. Und ob wohl der Kniff Adjayes funktioniert, die typischen Treppenaufgänge zu Harlemer Wohnhäusern – oft Zentrum des sozialen Lebens des Viertels – ins Gebäudeinnere zu verlegen?
Mit dem Museum festigt Adjaye seine Reputation als der exponierteste schwarze Architekt, der nicht nur wichtige Kulturinstitutionen wie das Museum für afroamerikanische Geschichte an der National Mall in Washington, D. C., geplant hat, sondern auch der afrikanischen Diaspora eine eigene architektonische Sprache verleiht. Sein Renommee aber erlitt einen schweren Schlag, als 2023 Anschuldigungen sexueller Belästigung gegen ihn vorgebracht wurden. Auch von der Arbeit am Studio Museum musste er vorzeitig zurücktreten.
Bescheidene Anfänge
Die Architektur des 160-Millionen-Dollar-Baus trägt weiterhin die Handschrift Adjayes. Und sie ist ein Statement: Der Bau sticht heraus. Denn trotz seiner bescheidenen Anfänge ist das Studio Museum zu einer weltweit bedeutenden Institution für die Kultur der afrikanischen Diaspora geworden.
Als es 1968 in einem Loft über einem Schnapsladen nahe dem heutigen Standort eröffnete, sollte es den in traditionellen Institutionen dramatisch unterrepräsentierten afroamerikanischen Künstlern einen Raum zum Arbeiten und Ausstellen geben und dies möglichst nah an den Menschen des Viertels. Sammeln gehörte damals nicht zur Mission des Museums. Heute besitzt das Studio Museum mehr als 9.000 Werke schwarzer Künstler mit großen Namen wie Jacob Lawrence, Romare Bearden, Jean-Michel Basquiat und Kehinde Wiley. Der Wert seines Sammlungsbestands wird auf 300 Millionen geschätzt.
Es ist klar, dass die heutige Institution eine andere Rolle spielen muss als das alte Studio Museum. Nicht nur das Museum ist stark gewachsen, auch sein Kontext hat sich verändert: Harlem ist anders geworden, New York ist anders geworden, und die amerikanische Kulturlandschaft ist anders geworden.
Die Treppen im Atrium von Adjayes Neubau sollen an Feuertreppen in Harlem erinnern, die auch als sozialer Treffpunkt fungieren
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Albert Vecerka/Esto; Courtesy Studio Museum Harlem
Die USA waren 1968 auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung, Martin Luther King war gerade ermordet worden, Harlem hatte die schlimmsten Unruhen seiner Geschichte erlebt. Zugleich standen in New York 21 Mitglieder der Black Panthers vor Gericht. Im Studio Museum und auf den Straßen des Viertels wurde darum gerungen, schwarzes Bewusstsein, eine schwarze Sprache zu finden. Derweil war der Stadtteil selbst vernachlässigt und verfallen.
Das Studio Museum könnte zur Pilgerstätte für Coolness-Jäger werden
2025 hat die amerikanische Kultur bewegte fünf Jahre hinter sich. Nach dem Mord an George Floyd 2020 stolperten sich amerikanische Kunstinstitutionen geradezu über die Füße, das zu tun, was das Studio Museum schon immer getan hat: schwarze Kunst zu zeigen, zu fördern und zu sammeln. Dann kam Trump erneut an die Macht und stellte die Kunsteinrichtungen unter Druck, ihre Inklusionsbemühungen wieder einzustellen. Das schwarze Harlem wird unterdessen von einer Gentrifizierungswelle überrollt.
Querschnitt dessen, was schwarze Kunst sein soll
Direktorin Thelma Golden sieht ihr Museum in diesen Zeiten nach wie vor als Fels in der Brandung: „Das Museum soll das sein, was es schon immer war – ein Raum, der sich mutig und radikal durch die Stimmen und die Vision schwarzer Künstler definiert.“ So zeigt die Eröffnungsausstellung in den verschachtelten, vieldimensionalen Galerien des Adjaye Baus einen beeindruckenden Querschnitt dessen, was schwarze Kunst seit 200 Jahren alles sein kann – von Porträts aus dem frühen 19. Jahrhundert bis zur Performance-Kunst von David Hammons.
Welche Rolle schwarze Kunst in einem sich verändernden politischen und kulturellen Kontext spielen kann, bleibt jedoch ebenso unklar wie diejenige, die das Museum in New York spielen wird. Thelma Golden möchte, dass es ein Ort ist, der Hoffnung macht, an dem Auseinandersetzung mit komplexen Ideen möglich ist. Gefährdet wird ihr Ansinnen freilich nicht nur durch die feindselige Politik in Washington. Eher dadurch, dass schwarze Kunst trotz Donald Trump weiterhin als schick gilt; das Studio Museum könnte zur Pilgerstätte für Coolness-Jäger werden.
Dann würde das Museum mit seinem Stararchitekten-Bau unweigerlich die Aufwertung Harlems vorantreiben. Zugleich ist es ohnehin als etablierte Institution längst wie andere New Yorker Museen Spielball eines Interessengeflechts aus Finanz und Politik. Es ist ein kompliziertes Terrain, auf dem Thelma Golden da zu navigieren hat.
