

Friedrich Merz (CDU) will weniger „Misstrauensgesetzgebung“, wie der Kanzler dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall diesen Monat versicherte. Ein Paradebeispiel für Gesetzgebung, die Unternehmen mit mehr staatlicher Kontrolle, neuen Berichtspflichten und verschärfter Haftung überzieht, ist die EU-Entgelttransparenzrichtlinie. Das Regelwerk zielt darauf, die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern zu schließen. Zwar gibt es schon seit 2017 das Entgelttransparenzgesetz. Aber das sei zu schwach, monieren Kritiker. Frauen verdienen hierzulande im Durchschnitt sechs Prozent weniger in der Stunde als ihre männlichen Kollegen mit vergleichbarer Tätigkeit, Erwerbsbiografie und Qualifikation.
Nach der Entgelttransparenzrichtlinie müssen Unternehmen schon Stellenbewerbern Auskunft über Einstiegsgehälter oder Gehaltsspannen geben, etwa in Stellenanzeigen. So sollen die Bewerber „fundierte und transparente“ Gehaltsverhandlungen führen können. Außerdem ist vorgesehen, dass Beschäftigte von ihrem Chef Auskunft darüber verlangen können, wie sie im Vergleich zu Kollegen entlohnt werden, die den gleichen oder einen gleichwertigen Job haben.
Unternehmen mit mindestens 100 Mitarbeitern müssen überdies Berichte zur Vergütung ihrer männlichen und weiblichen Beschäftigten veröffentlichen. Beträgt das Lohngefälle fünf Prozent oder mehr und gibt es dafür keine objektiven und geschlechtsneutralen Rechtfertigungsgründe, muss der Arbeitgeber gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretungen Abhilfe schaffen.
„Mittelstandsfeindliche Kontrollbürokratie“
Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände auf der einen Seite und Gewerkschaften und ihnen nahestehende Verbände auf der anderen Seite haben allerdings sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie der deutsche Gesetzgeber diese europäischen Vorgaben ausbuchstabieren soll. Auf Bundesgleichstellungsministerin Karin Prien (CDU) kommen damit turbulente Wochen und Monate zu. Gleich zu Beginn des neuen Jahres will Prien loslegen. „Anfang 2026“ soll das Gesetzgebungsverfahren beginnen und der Entwurf noch im ersten Quartal ins Kabinett kommen, skizzierte eine Ministeriumssprecherin gegenüber der F.A.Z. den Zeitplan für die Umsetzung der europäischen Vorgaben.
Der Kardinalfehler liegt nach Ansicht der Arbeitgeber aber schon darin, dass es die EU-Entgelttransparenzrichtlinie überhaupt in ihrer aktuellen Fassung gibt. Aus Sicht von BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter handelt es sich um „mittelstandsfeindliche Kontrollbürokratie“, die bestehende tarifvertragliche Regelungen ignoriere. Kampeter kritisiert aber nicht nur den Mehraufwand für Unternehmen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sieht den verfassungsrechtlichen Schutz der Tarifautonomie in Gefahr.
Bundesverfassungsgericht fordert Zurückhaltung der Politik
Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt darauf hingewiesen, dass es in erster Linie Sache der Sozialpartner sei, Vereinbarungen zu den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu treffen. So ließen sich eher Ergebnisse erzielen, die nicht nur im Interesse der Arbeitgeber und Gewerkschaften lägen, sondern auch dem Gemeinwohl entsprächen, argumentieren die Karlsruher Richter. Das bedeutet aber auch: Die Politik hat sich weitgehend zurückzuhalten, gerade auch beim Thema Arbeitsentgelt.
Das deutsche Entgelttransparenzgesetz enthält in seiner aktuellen Fassung eine gesetzliche Vermutung, dass tarifvertragliche Vergütungssysteme dem Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ entsprechen. Für Gerichtsprozesse wegen angeblicher Lohndiskriminierung folgt daraus, dass die Gerichte zunächst davon ausgehen müssen, dass ungleiche Entgelte, die aus Tarifregeln folgen, rechtmäßig sind. Diese zurückgenommene Kontrolle beruht auf der – durch das Bundesverfassungsgericht gestützten – Annahme, dass die Tarifparteien einen angemessenen Interessenausgleich schaffen.
Regelung in Gefahr
Aber nun ist diese Regelung in Gefahr. Denn in der Entgelttransparenzrichtlinie findet sich keine explizite Sonderregelung für Tarifverträge. Künftig dürfe deshalb nicht mehr pauschal vermutet werden, dass tarifvertragliche Lohngestaltung angemessen sei, folgert etwa der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB).
Rückenwind bekommen die Gewerkschafter unter anderem aus dem Umfeld des Bundesarbeitsgerichts (BAG). So befürwortet die ehemalige BAG-Richterin Regine Winter eine systematische Überprüfung von Tarifverträgen. Andernfalls habe die Behauptung, tarifvertragliche Vergütungsstrukturen seien frei von Diskriminierung „keine Grundlage“, schreibt Winter in einem Aufsatz für die wissenschaftliche Zeitschrift „Soziales Recht“.
Zurückhaltende Kontrolle sei gerechtfertigt
Der Rechtswissenschaftler Clemens Höpfner (Universität Köln) widerspricht deutlich: Mit den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden stünden sich zwei gleich starke Verhandlungspartner gegenüber. Schon das rechtfertige ungeachtet des verfassungsrechtlichen Schutzes der Tarifautonomie eine zurückhaltende gerichtliche Kontrolle tarifvertraglicher Vergütungssysteme. „Ansonsten droht eine gerichtliche Tarifzensur unter dem Deckmantel des Diskriminierungsschutzes“, mahnte der Professor für Arbeitsrecht gegenüber der F.A.Z. Im Übrigen seien Diskriminierungen in Tarifverträgen allein bei empirischer Betrachtung deutlich seltener als in Individualverträgen. Um die eigene Legitimationskraft und Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, hätten Tarifvertragsparteien eine „intrinsische Motivation“, Diskriminierungen in Tarifverträgen ein Ende zu bereiten, argumentiert Höpfner.
Zumindest „voreilig“ ist aus Sicht des Rechtsprofessors auch die Annahme, das EU-Recht lasse keinen Spielraum mehr für die Vermutung, dass tarifvertragliche Vergütungssysteme nicht diskriminierten. Vielmehr sei es erklärtes Ziel der Entgelttransparenzrichtlinie, die Besonderheiten tarifvertraglicher Lohngestaltung zu berücksichtigen. Diese Vorgabe müsse der deutsche Gesetzgeber zwingend beachten, hob Höpfner gegenüber der F.A.Z. hervor.
Arbeitgebern fehlt Bekenntnis zur Tarifautonomie
Im Hause von Ministerin Prien gibt man sich ungeachtet der Kontroverse optimistisch, dass es gelingen werde, „Tarifautonomie und Entgeltgleichheit in einen guten Ausgleich bringen“, wie die Ministeriumssprecherin gegenüber der F.A.Z. versicherte. Sie verwies auf Vorschläge der Kommission „Bürokratiearme Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie“. Das von Prien eingesetzte Expertengremium hatte im November seinen Abschlussbericht vorgelegt. Darin fänden sich Empfehlungen, „wie tarifgebundene Arbeitgeber in Form von Verfahrenserleichterungen privilegiert werden können, warb die Sprecherin.
Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände hingegen vermissen in dem Kommissionsbericht ein klares Bekenntnis zur Tarifautonomie. Es müsse bei der Vermutung bleiben, dass tarifvertragliche Lohnregelungen einen angemessenen Interessenausgleich schafften. Das Entgelttransparenzgesetz könne sonst ein „brachialer Angriff auf die Tarifautonomie werden“, mahnt Arbeitgebervertreter Kampeter.
