Parlamentarisches Scheitern in Hessen: So bewirken Untersuchungsausschüsse nichts

Großes Kino inszenierten die Fraktionen von CDU und FDP im Hessischen Landtag vor drei Jahrzehnten. Dass ein Polizeipräsident in seiner Freizeit unentgeltlich Dienstpferde geritten hatte, veranlasste die Opposition, zu ihrem „schärfsten Schwert“ zu greifen. Die damalige rot-grüne Regierungskoalition musste sich zwei Untersuchungsausschüssen stellen, die sich angesichts des geringfügigen, eher lächerlichen Sachverhalts kaum rechtfertigen ließen.

An die damalige parlamentarische Auseinandersetzung erinnerten nun Grüne und FDP, als der Untersuchungsausschuss zur Entlassung der Wirtschafts-Staatssekretärin Lamia Messari-Becker seine Arbeit im Dezember dieses Jahres beendete. Aber was wollten sie damit sagen? Die Kritik der schwarz-roten Koalition, die Einberufung des Kontrollgremiums sei unverhältnismäßig gewesen, wurde damit jedenfalls nicht widerlegt.

Die sogenannte Reiter-Affäre der Neunzigerjahre taugt nur als besonders anschauliches Beispiel dafür, dass die Opposition das Instrument des Untersuchungsausschusses auch in der Vergangenheit gelegentlich missbraucht hat, um die Mehrheit dadurch in Verlegenheit zu bringen, dass sie deren Regierungs­handeln öffentlichkeitswirksam skanda­lisiert.

Eine Pressemitteilung mit Folgen

Darum ging es auch, nachdem Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) im Juli 2024 bekanntgegeben hatte, dass er sich von seiner Staatssekretärin ein halbes Jahr nach ihrer Vereidigung wieder trennen werde. In einer Pressemitteilung führte er ein „nicht hinnehmbares Fehlverhalten“ ins Feld. Dahinter verbarg sich der Vorwurf, sie habe ihr politisches Amt für den Versuch missbraucht, ihrer Tochter in deren Darmstädter Gymnasium eine bessere Abiturnote zu verschaffen.

Damit habe Mansoori den Ruf, den sie sich 30 Jahre lang aufgebaut habe, „in einer beispiellosen Aktion in einer medialen Sekunde zerstört“, klagte Messari-Becker, die inzwischen in die Wissenschaft zurückgekehrt ist. Die Staatskanzlei hatte dem Minister geraten, in seiner Pressemitteilung keinen Grund für die Entscheidung zu nennen, weil es für die Trennung von politischen Beamten ausreicht, wenn das Vertrauensverhältnis nicht mehr gegeben ist.

So verkündete das von Messari-Becker angerufene Verwaltungsgericht Wiesbaden schon im Dezember des vergangenen Jahres, dass ihre Versetzung in den einstweiligen Ruhestand rechtmäßig gewesen sei. Das sei nichts Neues, erklärten Grüne, FDP und AfD. Sie hatten den Ausschuss, der den Steuerzahler eine Million Euro kostet, durchgesetzt und hielten Mansoori vor, die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht verletzt zu haben, indem er Messari-Becker mit seiner Pressemitteilung öffentlich belastet habe. Zwei juristische Gutachter stimmten darin überein, dass es letztlich darauf ankomme, was genau sich in dem Darmstädter Gymnasium zugetragen habe.

Die Regierung konnte den Spieß umdrehen

Die Befragung von drei Lehrern brachte Klarheit. Der Direktor berichtete, dass Messari-Becker mehrfach darauf hingewiesen habe, Professorin und Staatssekretärin im hessischen Wirtschaftsministerium zu sein, um so eine Änderung der Note ihrer Tochter zu erreichen. Das bestätigten zwei weitere Lehrer. So ist es nachzulesen auf den Seiten 27 bis 172 des Wortlautprotokolls der Sitzung vom 28. März 2025.

Messari-Becker bestreitet alle gegen sie gerichteten Vorwürfe, doch der Ausschuss, der sich ursprünglich gegen Mansoori richtete, wurde zu einer öffentlichen Plattform, auf der eine ganze Reihe von Zeugen Messari-Becker belasteten. Dass es der Opposition nicht gelingt, ihre Vorwürfe im Laufe der Befragungen zu belegen, ist keine Seltenheit. Aber dass die Regierung den Spieß umdreht und die Opposition mit ihrer Kronzeugin so in die Defensive drängt, dürfte in der Geschichte des hessischen Parlamentarismus beispiellos sein.

Zunächst wird über den Corona-Untersuchungsausschuss gestritten

Dasselbe gilt, wenn auch in einer ganz anderen Hinsicht, für den Corona- Untersuchungsausschuss. Er wurde schon im Juli 2024 eingesetzt, hat aber mit der Befragung von Zeugen und Gutachtern bis heute nicht begonnen. Durchgesetzt hatte ihn die AfD mit der Unterstützung eines fraktionslosen Abgeordneten. Den im Juli 2024 eingereichten Antrag zur Einsetzung hielten die übrigen Fraktionen für verfassungswidrig.

Drei durch den Landtag beauftragte Juristen monierten, dass der Untersuchungsgegenstand nicht genau genug gefasst sei. Außerdem überschreite der Fragenkatalog die Zuständigkeit des Landes in den zahlreichen Fragen, die den Bund beträfen. Schließlich wurden Schuldzuweisungen und das Vorwegnehmen vermeintlicher Ergebnisse bemängelt.

Das Gesetz verbiete es dem Landtag, ein verfassungswidriges Gremium einzusetzen, erklärten CDU, SPD, Grüne und FDP. Sie strichen 36 der von der AfD vorgelegten 43 Fragen und stellten mit dem Rest einen neuen Einsetzungsantrag zusammen, den sie im Plenum des Landtags mit großer Mehrheit beschlossen, sodass das Gremium sich konstituieren konnte. Zur Befragung von Zeugen und Gutachtern ist es bis heute nicht gekommen.

Stattdessen wurde über Verfahrensfragen gestritten. Gleichzeitig zog die AfD-Fraktion mit einer Verfassungsklage vor den Staatsgerichtshof – und unterlag. Der Umgang des Landtags mit dem Antrag der AfD sei „weit überwiegend“ mit der hessischen Verfassung vereinbar, erklärten die Richter. Allerdings hielten sie vier der 36 gestrichenen Fragen für zulässig. Im Januar 2026, eineinhalb Jahre nach der Einsetzung des Gremiums, können die Abgeordneten mit dem Studium der Unterlagen beginnen. Erwartet werden zunächst 340 Papieraktenordner und erhebliche Datenmengen.

Opposition geht ohne Juristen in den Rechtsstreit

In Hessen fanden in den zurückliegenden Jahrzehnten im Durchschnitt zwei Untersuchungsausschüsse in einer Legislaturperiode statt. Die NSU-Mordserie und der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) waren gewichtige Anlässe. Auch für die Einsetzung des Ausschusses zu den Anschlägen von Hanau sprach einiges.

Doch mit den beiden Ausschüssen des zurückliegenden Jahres wurden die Möglichkeiten des klassischen Kontrollinstruments der Opposition überdehnt. Der AfD ging es allein darum, in einer öffentlichen Streiterei die aus der Pandemie hervorgegangenen Verschwörungstheorien wiederzubeleben.

Grüne und FDP erinnerten daran, dass die Fraktion die Möglichkeit gehabt habe, ihre Fragen durch geringe Veränderungen oder Ergänzungen in zulässige Punkte umzuformulieren. Dies habe sie stets abgelehnt. Doch das bekam die Öffentlichkeit nicht mit.

Hingegen konnten Grüne, FDP und AfD von dem gegen Mansoori gerichteten Ausschuss nicht profitieren – im Gegenteil. Nach der handwerklich missglückten Pressemitteilung des Wirtschaftsministers im Sommer 2024 trieb die Opposition ihn zunächst mit einer professionellen Kampagne monatelang öffentlich vor sich her. Doch mit der Einsetzung des Untersuchungsausschusses begann das Rückspiel, das klar zugunsten von Mansoori ausging.

Das lag auch daran, dass in dem Ausschuss von den ordentlichen Mitgliedern der Opposition niemand über eine rechtswissenschaftliche Ausbildung verfügte. Marius Weiß, der einzige Volljurist der SPD-Fraktion, übernahm den Vorsitz des Ausschusses. Die CDU war mit erfahrenen Parlamentariern vertreten, darunter drei Juristen, von denen zwei als Rechtsanwalt tätig sind. Solche Abgeordnete üben in Untersuchungsausschüssen quasi ihren Beruf aus – im Auftrag ihrer Fraktion. Der damit verbundene operativ-taktische Vorteil ist immens.

Die wichtigste Gemeinsamkeit der beiden Untersuchungsausschüsse besteht in der Tatsache, dass im zurückliegenden Jahr keine neuen inhaltlichen Erkenntnisse gewonnen wurden. Dies ist einer der Gründe dafür, dass das Interesse der Öffentlichkeit sich in Grenzen hielt. Das ist gravierend. Denn Untersuchungsausschüsse sind keine Gerichtsverfahren, an deren Ende ein Urteil steht.

Stattdessen handelt es sich um eine Art Schaukampf, zu dessen Verlauf sich jeder Zuschauer sein eigenes Bild machen kann. Diese beiden Fälle waren allerdings kaum von Interesse. Nur wenn die Opposition es schafft, die Regierung mit neuen Fakten und schlagenden Argumenten unübersehbar in die Enge zu treiben, hat sie ihr „schärfstes Schwert“ so erfolgreich genutzt, wie das Format es prinzipiell ermöglicht. Das war im zurückliegenden Jahr allerdings mitnichten der Fall. Kommt so etwas häufiger vor, wird die Klinge stumpf.