
Cristiano Ronaldo und Luka Modric sind dabei, Lionel Messi ziert sich noch und lässt sich bitten: Eine außergewöhnliche Generation Fußballer lädt bei der Weltmeisterschaft 2026 zum letzten Tanz. Es wird die große, bunte Gianni-Show.
Der Traum des Menschen von der Unsterblichkeit ist so alt wie der Mensch selbst. Es waren schließlich Adam und Eva, die durch ihre Sünde den Tod in die Welt brachten. Heutzutage kommt kaum eine Privatparty, egal welcher Generation, ohne „Forever Young“ von Alphaville aus. Auch wenn die wenigsten wissen mögen, dass es in diesem 80er-Jahre-Hit eigentlich um die Angst vor dem Atomkrieg ging.
Und jetzt die wirkliche Überraschung: Cristiano Ronaldo, 40, hat angekündigt, dass die kommende seine letzte Fußball-WM sein wird.
Ob hinter dieser seltenen Demut die Bodenständigkeit eines Odysseus steht, der lieber zu seiner Familie nach Ithaka zurückkehrte, als bei der Nymphe Kalypso unsterblich zu werden, sei dahingestellt. Der Vergleich mit dem antiken Helden dürfte Ronaldo jedenfalls gefallen. Auch er darf sich mit den Göttern im Bunde fühlen, zumindest mit denen des Fußballs: Der Weltverband Fifa von Gianni Infantino missachtete sogar die eigenen Regeln, damit Ronaldo am 17. Juni in der Arena von Houston/Texas einlaufen kann, wenn unter geschlossenem Dach das erste Gruppenspiel Portugals gegen einen noch zu ermittelnden Rivalen ansteht.
Lex Ronaldo hilft dem Superstar
Bei einem Qualifikationsmatch in Irland war Ronaldo wegen einer Tätlichkeit vom Platz gestellt worden. Im Fifa-Reglement heißt es dazu: Sperre von mindestens drei Pflichtspielen. In der Realität wurde geurteilt: Sperre von einem Spiel; genau das konnte Ronaldo noch in der Qualifikation absitzen.
Der kleine Kniff diente als Ouvertüre für eine „Auslosung“, bei der so viele Variablen vorbestimmt wurden, dass die Fifa gleich zwei Events daraus machen konnte. Erst wurden in Washington die Mannschaften in Gruppen zugewiesen, 24 Stunden später dann die Spiele auf Städte und Anstoßzeiten verteilt. Der zuständige Fifa-Direktor berichtete von einer schlaflosen Nacht, so tief habe man sich über das Tableau gebeugt. Womöglich musste er auch ziemlich viele Telefonate entgegennehmen. Jedenfalls waren die großen Nationen am Ende irgendwie besonders zufrieden.
Um es mit dem Vorspann der Zeichentrickserie von Bugs Bunny zu sagen: Es ist die große, bunte Gianni-Show, und sie sind alle mit dabei. Außer Russland, da kann bisher nicht mal Infantino etwas machen, so gern er würde.
Mit von der Partie ist natürlich zuvorderst Donald Trump, der sich in Washington stolz die Goldmedaille des neuen Fifa-Friedenspreises umhing. Das komplette Podium wurde nicht bekannt gegeben, Silber ging im Zweifelsfall an Mohammed bin Salman aus Saudi-Arabien. Der Fifa-Premiumpartner und Ausrichter der WM 2034 darf in der Erleichterung regieren, dass die Vergabe eines asiatischen Playoff-Turniers an Saudi-Arabien wie gewünscht in der WM-Qualifikation gemündet war.
Messi entscheidet spontan
Jetzt ziert sich nur noch einer: Lionel Messi war ja schon immer ein bisschen sperriger als Ronaldo. Lust habe er schon, sagte der achtfache Weltfußballer, über seine Zusage entscheiden mag er aber erst in der Vorbereitung auf die nächste Saison, die bei seinem Klub Inter Miami im Februar beginnt. „Ich versuche, mich gut zu fühlen, und vor allem ehrlich zu mir selbst zu sein“, so Messi. „Wenn ich mich gut fühle, habe ich Spaß, aber wenn nicht, habe ich keine gute Zeit, deshalb will ich lieber nicht dabei sein, wenn ich mich nicht gut fühle.“ So weit, so verständlich.
Messi ist immerhin schon Weltmeister. Nach dem Titel 2022 in Katar erklärte er, dass er jetzt einfach noch ein paar Länderspiele absolvieren wolle, entspannt, ohne den ewigen Druck. Daraus wurde dann unter anderem eine Südamerika-Meisterschaft, und weil er auch in der US-Soccer-Liga weiter alles in Grund und Boden trickst, sieht außer ihm niemand den Grund für seine Zweifel. Das Recht, sich etwas bitten zu lassen, hat er natürlich trotzdem. Notfalls wird der Gianni schon nachhelfen und Messi persönlich um drei Uhr nachts MEZ auf den Rasen der Kansas City Chiefs karren. Dort eröffnet Argentinien einen halben Tag vor Portugal das Double Feature der Methusalems.
So nichts dazwischenkommt, werden Ronaldo und Messi als erste Spieler zum sechsten Mal an einer WM teilnehmen und damit unter anderem Lothar Matthäus hinter sich lassen. Bei allen Verbesserungen von Medizin, Ernährung und Betreuung sind das titanische Leistungen, die bei Messi sein übersinnliches Fußballverständnis ermöglicht und bei Ronaldo sein übermenschlicher Ehrgeiz. Ronaldo wird zum Turnierstart 41 sein, Messi während der Vorrunde seinen 39. Geburtstag feiern.
Ältester WM-Feldspieler bleibt der legendäre Roger Milla, der just in den USA 1994 mit 42 Jahren für Kamerun auf dem Platz stand. Außerdem waren zwei Torhüter noch älter als Ronaldo. Essam El Hadary (45 Jahre, Ägypten 2018) und Faryd Mondragón (43, Kolumbien 2014) gehörten allerdings wie Milla nicht mehr zur Stammelf und kamen nur in bereits bedeutungslosen Gruppenspielen zum Einsatz, wohl als Hommage. Ronaldo hingegen ist bei Portugal weiterhin als Starter im Sturmzentrum eingeplant, auch wenn er bei der EM 2024 nicht alle Beobachter von der Sinnhaftigkeit dieses Privilegs überzeugen konnte.
Sicher könnte er sich damit arrangieren, im fünften Lebensjahrzehnt den WM-Pokal in die Luft zu heben, wie 1982 Italiens Torwart Dino Zoff. Davon reden mag Ronaldo allerdings nicht. Der Weltmeistertitel sei „kein Traum von mir“, erklärte er, denn er würde „nichts ändern an der Form, in der ich die Dinge sehe oder in der ich den Fußball sehe“. Nach seinem tränenreichen Abgang von der WM 2022 hatte er noch verkündet: „Eine WM mit Portugal zu gewinnen, war der größte und ambitionierteste Traum meiner Karriere.“
Neymar ist gefühlt so alt wie Messi und Ronaldo zusammen
Eher nicht Traum, sondern Obligation sind WM-Titel für Brasilien. Länger als fünf Endrunden in Serie blieb der Rekordchampion nie ohne Titel, zuletzt brach er so einen Zyklus 1994 in den USA, und 2026 wäre es nach dem bislang letzten Erfolg 2002 wieder an der Zeit. Für das große Ziel flirtet Brasilien mit einem eigenen Beitrag zum Turnier der alten Männer. Seit Monaten und Jahren debattiert das Land über eine Rückkehr von Neymar. Der neue Trainer Carlo Ancelotti steht dem grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber, aber bisher verhinderten Blessuren jeden Probelauf.
Neymar ist mit 33 zwar jünger als Ronaldo und Messi, aber gefühlt so alt wie beide zusammen. Spätestens jenseits der 30 beginnt das Leben seinen Tribut zu fordern – ob seine Partys die vielen Verletzungen verursachten oder die Verletzungen die vielen Partys, ist unerheblich, wenn der Körper nicht mehr mittut. Einen halbwegs fitten Neymar aber wollen nicht nur Legenden wie Romário („Nur mit Neymar kann Brasilien die WM gewinnen“) und Ronaldo („Wir haben keinen Zweiten wie Neymar“) im gelben Hemd sehen. Zuletzt sicherte er seinem Jugendklub Santos sogar halb humpelnd den Klassenerhalt mit vier Toren in den letzten drei Spielen.
Eine außergewöhnliche Generation bittet zum letzten Tanz, das gilt auch für den Kroaten Luka Modric – der ehemalige Weltfußballer führt mit 40 Jahren immer noch Regie im Mittelfeld. Und noch ist ja auch nicht auszuschließen, dass Torwartlegende Manuel Neuer, der im März den runden Geburtstag feiert, noch auf den WM-Zug gebeten wird. Womöglich gemeinsam mit dem 22 Jahre jüngeren Lennart Karl.
So wie Messi auf den mit 18 bereits als Star etablierten Lamine Yamal aus Spanien treffen könnte, seinen designierten Nachfolger im FC Barcelona. Oder Neymar seine Rolle mit dem ebenfalls 18-jährigen Estêvão teilen, dem aktuell größten Talent aus Südamerika. Wie weit tragen Erfahrung und zeitlose Klasse? Es ist die Frage des kommenden Sportjahrs, denn auch bei dessen zweitem Höhepunkt wird sie verhandelt: Als Topstory der Olympischen Winterspiele kündigt sich der Auftritt von Lindsey Vonn an. Die Grand Dame mit Titan im Knie gewann diese Saison schon im Ski-Weltcup; mit 41 war sie dabei sieben Jahre älter als die vorherige Rekordhalterin auf der Piste.
Die große Gianni-Show
Zurück beim Fußball liefert Gastgeber USA aber auch ein Beispiel für die Abgründe, in die eine Sehnsucht nach Ewigkeit führen kann. 1994 gingen nach dem Auftaktspiel Argentiniens die Bilder eines entfesselten Diego Armando Maradona um die Welt. Der von vielen abgeschriebene Heros, damals 33, schien ein brillantes Comeback zu feiern. Doch nach dem zweiten Match wurde er positiv auf die verbotene Substanz Ephedrin getestet und ausgeschlossen.
Heutzutage hat die Fifa nach ihren jüngsten Winkelzügen so viel Glaubwürdigkeit verloren, dass das Publikum kaum noch erwartet, von eventuellen Skandalen überhaupt zu erfahren. „Sie macht sogar den grauen Himmel blau“, versprach früher von sich die große bunte Bunny-Show. Bei der Gianni-Show spielen vermeintlich gesperrte Legenden. Wie es damals weiter hieß: „Das ist für jeden was, das wird ein Riesenspaß: Das Spiel beginnt, die Bühne frei.“
