Der neue Wiesbadener Tatort: Murot und der Elefant im
Raum (HR-Redaktion: Jörg Himstedt) hatte schon vor Drehbeginn für
Schlagzeilen gesorgt. Die Musikerin,
Autorin und Theatermacherin
Christiane Rösinger sagte
ihre Rolle ab, als klar war, dass auch Christian
„Flake“ Lorenz mitspielen würde, der Keyboarder der Band Rammstein. Rösinger
erklärte im Spiegel,
„dass ich auf keine Weise mit dem System Rammstein in Verbindung gebracht
werden will. Das würde allem widersprechen, was ich die vergangenen Jahrzehnte
mit meiner Musik und meinen Texten vermitteln wollte“.
Tatort-Multitalent Dietrich Brüggemann (Musik, Drehbuch,
Regie) hatte dieses Problem offenbar nicht. Für den Auftritt einer
bekannten, aber schauspielfremden Person gibt es naturgemäß viele
Gründe (Insider-Gag, Freundschaftsdienst, Bekanntschaftsstolz, gute Zeit), Diesmal gibt es von solchen Auftritten aber deutlich weniger als in Das ist unser Haus aus Stuttgart 2021, nur zwei.
Was immer also zur Besetzung des Rammstein-Keyboarders geführt
haben mag (Casting: Nathalie Mischel) – schauspielerische Fähigkeiten können es
nicht gewesen sein, seine Arzt-Sätze entbietet er eher steril („Da haben
Sie Recht, das ist ein interessanter Zufall“). Was auch mit der wenig
beschwingten Gesamtsituation zu tun hat. Anders als die drei Tatort-Folgen
von Brüggemann zuvor – Das ist unser Haus, Stau (2017) und Murot
und das Murmeltier (2019), auf den das Ende dieses Films müde anspielt
–, kommt Murot und der Elefant im Raum nie recht vom Fleck.
Das kann daran liegen, dass es einzig darum geht, ein Kind
zu finden. Eva Hütter (Nadine Dubois) entführt ihren Sohn Benjamin (Lio
Vonnemann) aus der Gerichtsverhandlung über das Sorgerecht in eine abgelegene Hütte.
Weil sie die geliebten Cerealien des Filius aber nicht dabei hat, fährt sie zum
Supermarkt und baut auf dem Rückweg einen Autounfall, der sie bewusstlos ins
Krankenhaus bringt. Der kleine Racker bleibt allein im Wald zurück.
Eine nicht unoriginelle Idee, die am Anfang eines
Horrorfilms oder einer Komödie stehen könnte, in diesem ARD-Sonntagabendkrimi allerdings
schmucklos entfaltet wird. Schon die Entführung sieht albern aus. Hütter rammt
einen Bleistift in den vor ihr liegenden Apfel mit scheinbar cleverer Erklärung
(„Der ist ja ganz schön spitz“), aus der die Drohung sprechen soll,
den Stift notfalls als Waffe zu verwenden. Dafür müsste sie ihn dem Kind
eigentlich an den Hals halten beim Rausgehen mit dem Rücken zur Wand, was
allerdings ein krasses Bild wäre. Deshalb vermeidet der Film es vermutlich, was
ihn wiederum aussehen lässt wie eine unterfinanzierte Theateraufführung, bei
der sich die Betrachterin all das denken muss, wofür kein Geld da war.
In der Hütte spielt Dubois als Mutter so superhöflich am
Kind vorbei, als wolle sie noch dem versammelten Gerichtssaal zur
Wiedergutmachung Liebe und Güte demonstrieren. Diese unpassende Form der
Darstellung verbindet sie mit Joseph Konrad Bundschuh, dem Mimen des getrennt
von Hütter lebenden Kindsvaters, der, nachvollziehbarerweise genervt, wenn
nicht total aggro auftritt. In einem Cafeteria-Gespräch mit Wächter (Barbara
Philipp) sagt er fürs Protokoll plötzlich aber größtmütiges Verständnis für die
nicht leichte Ex-Freundin auf – eine Männerfantasie, die entsprechend leblos
klingt.
Originell ist, wie Murot das verlassene Kind zu finden
versucht. Er schließt sich mit einer Spezialmaschine seines Therapeuten (Robert
Gwisdek) an die Psyche von Eva Hütter an. Das ist nur leider schon der ganze
Witz, die Durchführung in mehreren Versuchen erweist sich als langatmig und dröge.
Während es bei der nicht unähnlichen Struktur von Murot und das Murmeltier
eine einfache, kluge und spannende Vorgabe gab (aus der Zeitschleife entkommt
man erst, wenn niemand stirbt), sind die Regeln hier unklar. Halb ermittelt
Murot was in der Gedankenwelt, halb geht er selbst in dem diffusen Selbstfindungsempfindsamkeitsgerede
auf („sein inneres Kind finden“), was wenig Reiz verströmt, weil man
den psychischen Ballast des Kommissars gar nicht kennt. Für Ulrich Tukur, der
als Schauspieler Wert auf Virtuosität, Formvollendung und Körperspannung legt,
die er noch beim Chatten am Handy in der Bar markieren kann, ist das lange,
glückliche Finale eine ziemliche Herausforderung; seliges Lächeln liegt ihm
nicht.
Stichwort Humor. Den wenigen Gags fehlt es an Timing, wenn
sie nicht als Kalauer eh so pflichtschuldig gemacht werden, dass selbst die
Nacherzählung noch Unverständnis bewirkt. Ein Ort im Film heißt Usingen, was
Murot bei einem Lied im Autoradio, in dem Frauen „You“ trällern, zu
der Bemerkung zwingt, die würden das ja machen – U singen.
Der Tatort lehrt auch, dass nicht jeder Versuch des
Nachäffens etwa von politischer Rhetorik automatisch eine gelungene Persiflage ergibt,
was Drehbuchautor Brüggemann als kreativen Kopf hinter der
misslungenen Coronapolitik-Satire #allesdichtmachen in Erinnerung ruft (bei der Murot-Darsteller Ulrich Tukur
mit von der Partie war). Und ein spezifisches Interesse dieses Films
erkennen lässt.
So macht der im Tatort-Kosmos bereits
vergebene Folgentitel mehr oder überhaupt Sinn, wenn man ihn als
Hundepfeifenpfiff an das Heer der sogenannten Maßnahmenkritiker liest. Mehrfach
empören sich in Murot und der Elefant im Raum zutiefst beleidigte Personen
(Kindsvater, Therapeut), weil sie das Gefühl haben, dass ihnen vonseiten des
Staates übel mitgespielt wird.
Adressat dieses Ärgers ist aber merkwürdigerweise nicht der prominenteste
Staatsdiener in der Runde, Kommissar Murot. Das meiste kriegt vielmehr die arme
Co-Ermittlerin Wächter ab, was immerhin konsequent ist, insofern der Film von
lauter Männern dominiert wird. Wächter muss am Ende an Murots statt die
erlösenden Worte aussprechen: „Es tut uns leid, wir haben unsere Lektion
gelernt.“ Inschallah.
Mit etwas Abstand betrachtet erzählt der Tatort indes
eine andere Geschichte – Ressentiment dreht keine guten Filme.
