Der Vatikan verbietet den Marientitel Miterlöserin

Schmückt sich die Mutter Jesu, die Gottesmutter gar, mit Titeln, die ihr nicht zustehen? Um Gottes willen, da sei der Vatikan vor! Alarm im Dikasterium für die Glaubenslehre, der vormaligen Glaubenskongregation, der vormaligen Inquisitionsbehörde. Der Präfekt des Dikasteriums, in dieser Funktion ein später Nachfolger Joseph Ratzingers, Víctor Manuel Kardinal Fernández, setzt eine autoritative Erklärung auf, um Schlimmeres zu verhüten. Das Alarmschreiben, päpstlich gebilligt, trägt die Überschrift „Lehrmäßige Note zu einigen marianischen Titeln, die sich auf das Mitwirken Marias am Heilswerk beziehen“, gegeben zu Rom am 4. November 2025. In dem Dokument heißt es unter Nummer 22, eine mutmaßlich eingerissene liederliche Sprachgewohnheit der Frömmigkeitsgeschichte berichtigend: „Angesichts der Notwendigkeit, die Christus gegenüber untergeordnete Rolle Marias im Erlösungswerk dazulegen, ist die Verwendung des Titels der Miterlöserin immer unangemessen, wenn es darum geht, Marias Mitwirkung daran zu definieren.“

Miterlöserin – immer unangemessen. Ein Schockmoment in der katholischen Christenheit, die sich über Jahrhunderte hinweg auch unter diesem Titel an Maria gewandt hatte, als Fürsprecherin, natürlich nicht als Göttin, das war insoweit jeder Bäuerin klar. Der nicht dogmatisierte Titel, einer von etlichen, vermeintlich theologisch abgestimmten Kosenamen Mariens (wie „geheimnisvolle Rose“, „Morgenstern“, „Pforte des Himmels“), hatte unter der Hand etwas Offizielles bekommen, Päpste und etliche Heilige verwendeten ihn. All denen ruft jetzt ein theologisch eher unbeschriebenes Blatt wie Fernández nach, dass diese fromme Sprachpraxis doch unangebracht gewesen sei, die Rezeptionsgeschichte des Titels Miterlöserin habe es im Jahre 2025 ans Licht gebracht.

Auch der Titel der Gottesmutter ist deutungsbedürftig

Fortschritt muss sein, wobei es, versteht man die Note recht, bei dieser Rezeptionsgeschichte weniger um die (im Wesentlichen unanstößige) Empirie geht (die Leute wussten, wie gesagt, was gemeint war und was nicht) als vielmehr um die spekulative, in der begrifflichen Tendenz angelegte Möglichkeit, einer falschen Fährte aufzusitzen: Dieser Titel, so Fernández, „birgt die Gefahr in sich, die einzigartige Heilsvermittlung Christi zu verschleiern und kann daher zur Verwirrung und einem Ungleichgewicht in der Harmonie der christlichen Glaubenswahrheiten führen“. Deshalb die Weisung, den Titel aus dem Verkehr zu ziehen, Gefahren sind in ihren Anfängen zu wehren.

Ohne nun gleich in die komplexen Verästelungen der Mariologie einzusteigen, jener dogmatisch der Gnadenlehre zugeordneten theologischen Disziplin, erstaunt diese Intervention schon insoweit, als es ja in der Natur der Sprache liegt, Missverständnissen Raum zu geben. Das Deutungsgeschäft der Begriffe ist natürlich gerade auch in der Theologie kein hieb- und stichfestes. Welche Ansätze für blühende Phantasien bieten etwa die dogmatisierten Marientitel der leiblich in den Himmel Aufgenommenen, der jungfräulich Gebärenden, der ohne Erbschuld Empfangenen? Und nicht zuletzt der grundlegende Titel einer Gottesmutter? Sind das etwa Titel, denen das Gütesiegel der Eindeutigkeit zukommt? Welche dieser Begrifflichkeiten würde nicht viele und ständige Erklärungen erfordern? Zumal ein wunderträchtiges Vokabular ist ja alles andere als „selbsterklärend“, wie es im flotten epistemischen Zugriff neuerdings heißt, wenn man, der Worte leid, eine apodiktische Setzung vornehmen möchte. Nichtsdestotrotz statuiert die Fernández-Note: „Wenn eine Begrifflichkeit viele und ständige Erklärungen erfordert, um einem abweichenden und irrigen Verständnis entgegenzuwirken, leistet sie dem Glauben des Volkes Gottes keinen Dienst und wird unpassend.“ Welcher theologische Begriff wäre bei dieser puristischen Prämisse vor dem revisionistischen Zugriff des römischen Präfekten sicher?

Am 22. Dezember 2025 wurde die Statue der „Madonna der Hoffnung“ aus San Marco di Castellabate in der Provinz Salerno nach Rom gebracht, wo sie während der Weihnachtsgottesdienste im Petersdom aufgestellt ist.
Am 22. Dezember 2025 wurde die Statue der „Madonna der Hoffnung“ aus San Marco di Castellabate in der Provinz Salerno nach Rom gebracht, wo sie während der Weihnachtsgottesdienste im Petersdom aufgestellt ist.Vatican News

So hat die vatikanische Mariennote denn auch die Mariologie in Wallung gebracht. In einem dreiundzwanzigseitigen Schreiben hat unlängst die Theologische Kommission der Internationalen Mariologen-Vereinigung (IMA) das Glaubensdikasterium zu einer Überprüfung des Schreibens aufgefordert, da mehrere Aspekte fehlerhaft oder verkürzt dargestellt seien, Belege eklektisch herangezogen würden und das Dokument daher einer „erheblichen Klarstellung“ bedürfe. Zur Rolle von Joseph Ratzinger, der sich als Kardinal skeptisch zum Miterlöser-Titel geäußert hatte, wird darauf hingewiesen, dass er den Titel vor dreißig Jahren lediglich als noch nicht ausgereift angesehen, ihn aber nicht grundsätzlich infrage gestellt habe.

Alle Getauften sind am Erlösungswerk beteiligt

Die vatikanische Maßregelung wirkt aber nicht nur aus sprachphilosophischen Gründen unangemessen, ja kurios. Sie setzt, so sie exklusiv mariologisch verfährt, mit der Titelei gleichsam zu hoch an. Denn das Attribut der Miterlösung ist ja nicht auf Maria beschränkt, sondern in einem weiter gefassten Sinn auf alle Getauften beziehbar, die – in scholastischer Nomenklatur – als Zweitursache am Heilswerk beteiligt sind, dabei in völliger Abhängigkeit zur göttlichen Erstursache gedacht. Die Gläubigen als „Miterlöser im Erlöser“, wie Ratzinger als Papst Benedikt XVI. in seiner Fatima-Botschaft vom 13. Mai 2010 an die Kranken schrieb. Nicht angemessen am Ende auch diese an die Fundamente christlicher Lebensauffassung rührende Aussage der Kreuzestheologie? Dass Maria als „Mutter Gottes“ bei dieser Miterlösung aller Gläubigen noch einmal eine unvergleichliche Bedeutung zukommt, ist eine sich schon phänomenologisch aufdrängende Grundthese der Mariologie.

Die vatikanische Note setzt freilich nicht nur zu hoch an, sondern auch zu spät. Ihre Unangemessenheit besteht in dem Umstand, dass sie den Gedanken eines göttlichen Heilswerks, rechtfertigungsbedürftig in seinen Grundschichten, als ein Titel-Problem der Mariologie meint führen zu sollen. Hier wird um einer Titelei willen unbefragt vorausgesetzt, was doch zuvörderst der begrifflichen Analyse bedarf, sollen theologische Axiome wie Gnade und Erlösung nicht ausschließlich in ihrer scholastischen Eigenlogik verhandelt werden, sondern einen Bezug zur Wahrheit als personalem Beziehungsgeschehen herstellen. Es ist aber ein performativer Missgriff, in ein solches Beziehungsgeschehen (hier zwischen Gläubigen und Maria) sprachkritisch dazwischenfahren zu wollen.

Mit anderen Worten: Víctor Manuel Kardinal Fernández hat im Gebetsleben der Gläubigen nichts zu suchen, er kann sich für sprachliche Normierungen in offiziellen Lehrtexten starkmachen, aber unter welchen Titeln die Frommen Maria als Fürsprecherin anrufen oder Mariens Leben meditieren, gläubig über die feinmotorische Einflussnahme der Gottesmutter (statt sagen wir der Karten) auf die individuelle Biographie staunen – das legt den kirchlichen Autoritäten Zurückhaltung auf in ihrem Urteil über Angemessenheit oder Unangemessenheit. Man fragt sich, welches Verhältnis Fernández zum geistlichen Leben anderer Leute hat, wenn er darin mit sprachlichen Verdikten meint herumstapfen zu können. Schreibt man denn einander eng verbundenen Menschen vor, mit welchen innigen Bildern sie sich anzureden haben? Die Übergriffigkeit dieses vatikanischen Glaubenshüters bezieht sich nicht nur auf die Abkanzelung früherer kirchlicher Autoritäten, und zwar von einer blasiert auf das eigenwillige Lehramt von Papst Franziskus bezogenen Position her (Fernández war dessen Protegé). Sondern sie kommt eben auch pastoral als ungeistliche Brachialität daher.

Das Dikasterium zitiert Dante

In der lehrmäßigen Note heißt es unter Nummer 53: „Obwohl die heilige Jungfrau Maria in herausragender Weise ,voll der Gnade‘ und ,Mutter Gottes‘ ist, ist sie wie eine Adoptivtochter des Vaters und auch, wie der Dichter Dante Alighieri schreibt, ,Tochter deines Sohnes‘. Sie wirkt in der Heilsökonomie durch eine abgeleitete und untergeordnete Teilhabe; daher muss jede Rede über Marias ,Vermittlung‘ von Gnade in entfernter Analogie zu Christus und dessen einzigartiger Mittlerschaft verstanden werden.“ So weit die quasi rechtgläubige Klarstellung nun auch des weiteren Titels „Mittlerin aller Gnaden“. Aber noch einmal: Wo wäre die überbordende Empirie zu finden, die diese Klarstellung infrage stellte, indem sie okkulte Praktiken einer als Göttin aufgefassten Maria veranschaulichen würde? Das Problem ist schlichtweg nicht vorhanden und wenn, dann nur in einer unbedeutenden Größenordnung.

Was es aber mit der hier geltend gemachten „Heilsökonomie“ auf sich hat, das steht in den Sternen statt in der Note. Warum soll ein Gott überhaupt den Weg über einen Menschen nehmen, wenn er sich nicht deistisch aus der Affäre stiehlt, sondern sich in einem prononciert materialistischen Sinne mit seiner – biblisch gesprochen – seufzenden Schöpfung verbindet? Wie soll man sich so etwas wie ein Innenleben Gottes vorstellen, wie von dessen Antrieben für die Inkarnation sprechen? Wie weit führt, anders gefragt, hier der anthropomorphe Zugang, auf den der Mensch doch angewiesen bleibt? Die Gestalt der Maria wirft Fragen auf, die an den Grundüberzeugungen des Christentums rühren. Der behördlichen Note erscheinen sie unangemessen.