Im gleißend-weißen Neonlicht sitzt das gefleckte Schwein auf einem Sockel und grinst. Ein anarchistisches Muttertier, eine Metapher für das kapitalistische Schweinsystem? „Nee, steht ja drüber“, erwidert Galerist Kai Erdmann. „Bierkasse + Bandsoli in die Sau“, das A in Sau ist umkringelt. Ah, also einfach das kleinbürgerliche Sparschwein von „Boy Division“. Die Hamburger Punk-Band, deren Repertoire ausschließlich auf Coversongs beruht – ein bisschen Nouvelle Vague für Dosenbiertrinker –, hatte zur Eröffnung gespielt.
„Dabei hat dann auch ein Hund in die Galerie gekackt, das hat gut gepasst, leider haben wir es erst bemerkt, als es sich schon breitgetreten hatte“, berichtet Jakob Schäfer, eigentlich Direktor des Eigen+Art Lab in Mitte. Gemeinsam mit Erdmann hat er die Schau „Vernissage (Exhibition on Punk)“ in Erdmanns Berliner Kooperationsraum Nizza kuratiert.
Der Widerspruch des Unterfangens, vollgerotzte Antipampe in den White Cube zu zwängen – und zu verkaufen –, scheint den beiden bewusst, zumindest lässt der Ausstellungstitel darauf schließen, heißt es schließlich im gleichnamigen Song der Hoyerswerdaschen Band Pisse: „Wie sie alle nuckeln/ An ihren Sektflöten/ Du stehst in ihrer Mitte/ Und willst sie alle töten/ Labert die dich voll/ Doch ihre Zunge riecht nach Arsch/ Von dem edlen Prinz/ Der das Ganze hier bezahlt/Vernissage/ Oh Vernissage“.
Schon über dem Türrahmen im Treppenhaus der Galerie thront ein großes „Fuck you“. Die Künstlerin Kerstin Podbiel hat es mit Tusche aufs Papier gesetzt, der Font so stark konstruiert, er lässt unweigerlich an Ed Ruscha denken – ein Satz, für den man das „Fick dich“ wahrscheinlich volle Kanne verdient hat. 17 Positionen haben Erdmann und Schäfer zusammengetragen, bis auf eine geliehene Arbeit der 2020 verstorbenen britischen Legende Genesis P-Orridge sind alle Werke zeitgenössisch, auch wenn viele von ihnen in der klassischen Anmutung des Genres fast anachronistische Sehnsucht nach Vergangenheit versprühen.
„Vernissage (exhibition on punk)“, Nizza, Schweidnitzer Str 17,10709 Berlin
Bis 07.02.2025, am 30. & 31.12. ist die Galerie geöffnet.
Mit Arbeiten von: Antonius Arzt, Hannes Berwing, Tim Bruening, Mark Freeth, Andrew Gilbert, Sue Irion, Magnus Krueger, Jody Korbach, Kang Mao, Mascha Naumann, Genesis P-Orridge, Kerstin Podbiel, Hank Schmidt in der Beek & Mieke Ulfig, Andi Sex Gang, Aleen Solari, Malte Zenses
Art Brut trifft Akademie
Da sind Installationen aus Hinterlassenem, wie eine großartige Leuchte aus Getränkekartons, von Aleen Solari, charmant kopierte Bandplakate von Andrew Gilbert und begehrenswert schmantige Gemälde von Hannes Berwig, dem Sänger der Berliner Band Die Verlierer, die leise in Richtung Jean Dubuffets grüßen.
Überhaupt ist Art Brut hier allgegenwärtig. Und auch in der ordentlichen Kunst frisch von der Universität der UdK-Zipp-Studentin Mascha Naumann werden die Underdogs aufgerufen: In „Sunday Monday“ kombiniert sie brachiale Stahlbügel mit fleckigen Feinrippunterhemden, die sie bei ihrer Arbeit an der Bar in einem Technoclub trug, sowie einem slicken Video im Social-Media-Format voller Jack-Halberstam-Zitate über „Queer Subjects“. Daneben ein bildgewordener Zeigefinger Jody Korbachs: mit weißem Lack auf Biermarken gepinselt die Worte: „At some point you need to grow up and betray your ideals“ (Irgendwann musst du aufwachsen und deine Ideale verraten).
Weit weg von der Streberecke fühlen sich die Werke Antonius Arzt’s an, einem noch jungen Autodidakten, der den Müll der Welt, die abjekten Schätze der Zivilisation und materialgewordene Symbole des Inneren in toll-ekelige Vakuumpäckchen verpackt geschweißt hat: So besteht „Perso“ aus einem laminierten Butt-Plug und einer verknautschten Marlboro-Schachtel, montiert ist das Ganze auf einen Aktendeckel.
Lostreten kann das so viele Assoziationen, es ist vollkommen unverständlich, dass das Werk noch zu erwerben ist. Aufgrund der bislang nicht-akademischen Herkunft des Künstlers übrigens für gar nicht so viel Geld. Ob das jetzt erst recht Punk oder irgendwie dann doch das Gegenteil ist, ist unklar. Galerie bleibt halt Galerie – auch mit Hundekacke.
