Die Ratte und der Mensch sind verschiedene Spezies. Evolutionär gehen sie wohl seit rund 90 Millionen Jahren getrennte Wege, sie gehören zwei unterschiedlichen Säugetier-Ordnungen an, und auch vom Körperbau her ist die Verwechslungsgefahr im Allgemeinen gering. Das sei hier betont, damit es nicht aus dem Blick gerät. Denn allen Unterschieden zum Trotz gibt es erstaunlich viel, was die zwei Arten verbindet.
Die Liste der Gemeinsamkeiten ist lang, hier Auszüge: Ratten sind gesellig, sie helfen einander, sie zeigen Dankbarkeit, sie sind mal mehr, mal weniger empathisch. Die Tiere sind kitzlig. Vermutlich berauschen oder beruhigen sie sich auch gerne mit psychoaktiven Substanzen, jedenfalls konsumieren sie unter bestimmten Bedingungen Drogen. Und wie Forscherinnen und Forscher nun in der Fachzeitschrift Neuropsychopharmacology berichten, besteht hier eine weitere mutmaßliche Gemeinsamkeit: Ratten greifen demnach insbesondere dann zu Cannabis, wenn sie sich gestresst fühlen.
Dem Team um die Neurowissenschaftler Ginny Park und Ryan McLaughlin von der Washington State University im Nordwesten der USA geht es eigentlich um Menschen. Zuletzt sei Cannabis in mehreren Staaten legalisiert worden, schreiben sie. Deshalb drängten die Fragen: Was verleitet Menschen eigentlich zum Kiffen? Und warum entwickeln manche einen problematischen Konsum und andere nicht? Gibt es Risikofaktoren?
Weibliche Ratten lösten den Cannabisdampf häufiger aus als männliche
Antworten suchten die Forscher im Tierversuch. Sie unterzogen 48 Long-Evans-Laborratten biologischen Untersuchungen und Verhaltenstests. Außerdem zeigten sie ihnen, wie sie sich Cannabisdämpfen aussetzen konnten: Stießen sie ihre Nasen in die Öffnung einer Apparatur, wurde der Dampf in ihre Kammer geblasen. Über einen Zeitraum von 30 Tagen hinweg zählte das Team, wie oft die Ratten das taten. Die Ergebnisse verglichen sie damit, wie die Versuchstiere in den Tests abgeschnitten hatten.
Dabei stießen sie auf teils überraschende Zusammenhänge. Ein Beispiel: Im Gegensatz zu Menschen, bei denen Männer statistisch intensiver kiffen als Frauen, neigten bei den Ratten die Weibchen stärker dem Cannabis zu. Einen Zusammenhang fanden die Forscher auch mit der Fähigkeit zum Aufgabenwechsel: Je flexibler eine Ratte dabei war, ihre Aufmerksamkeit neuen Aufgaben zuzuwenden, desto seltener ließ sie sich mit Cannabis benebeln. Umgekehrt kifften Tiere häufiger, wenn sie stärker auf unterschiedliche visuelle Reize reagierten.
Der stärkste Zusammenhang jedoch war biologisch: Ratten, deren Blutplasma im Ruhezustand mehr von dem Stresshormon Corticosteron enthielt (bei Menschen übernimmt Cortisol diese Rolle), neigten deutlich stärker dazu, sich mit Cannabis zu beruhigen. Kurzzeitig erhöhte Werte, etwa durch Bewegung oder eine knifflige Aufgabe, führten dagegen nicht zu höherer Motivation zu kiffen.
Kiffen gegen Stress? Auch das klingt fast menschlich. Und für Studienautor Ryan McLaughlin ergibt es Sinn. Der „häufigste Grund für den gewohnheitsmäßigen Cannabiskonsum ist die Bewältigung von Stress“, sagt er laut einer Mitteilung seiner Universität. Und wer weiß? Eines Tages könne man womöglich das Drogensuchtrisiko von Menschen anhand ihrer Stresshormone einschätzen.
